„Wie kannst du ernstlich meinen, daß ich eine französische Karawane überfallen soll, da du doch ein Freund der Franzosen bist.“
„Ich?“ fragte Richemonte erstaunt. „Wer hat dir das gesagt?“
„Ich vermute es.“
„Weshalb?“
„Weil du mit jenen verkehrst.“
„Allah behüte deinen Verstand. Wo soll ich mit ihnen verkehren?“
„In der Stadt Algier.“
„Dort? Ich bin ja niemals dort gewesen.“
„Und doch, hier Saadi, der Mann meiner Tochter, hat dich dort gesehen.“
Richemonte spielte den Überraschten. Er sah den Genannten erstaunt an und fragte:
„Du? Du willst mich in Algier gesehen haben?“
„Ja“, antwortete dieser ruhig.
„So zürne deinen Augen, denn sie haben dich belogen.“
„Meine Augen haben mir noch niemals die Unwahrheit gesagt. Ich habe dich gesehen, du gingst zum Generalgouverneur. Ich weiß auch deinen Namen.“
„Allah schütze dich! Natürlich weißt du meinen Namen. Jedermann hier im Lager kennt ihn. Man wird ihn dir gesagt haben. Ich heiße Malek Omar.“
„Ja, Malek Omar, der Fruchthändler, der Fakihadschi.“
„Ich verstehe dich nicht. Ich bin niemals Fruchthändler gewesen!“
Der Scheik machte eine Gebärde der Ungeduld und fragte ihn:
„Du hast von dem gehört, welchen wir das ‚Auge der Franzosen‘ nennen?“
„Ja.“
„Du hast ihn auch gesehen?“
„Nie.“
„O doch!“
„Allah il Allah! Wo soll ich diesen geheimnisvollen Mann gesehen haben?“
„Überall, wo du nur bist. Du brauchst nur in einen Spiegel oder in ein Wasser zu sehen, so erblickst du ihn.“
Der Scheik hatte die Absicht, ihn zu überrumpeln, aber es gelang ihm nicht. Richemonte besaß genug Geistesgegenwart, ruhig zu bleiben.
„Ich verstehe dich nicht“, sagte er, „du sprichst in Rätseln, welche ich nicht zu lösen vermag. Ich bitte dich, deutlicher zu reden.“
„Nun, so will ich deutlicher sprechen. Du selbst bist das Auge des Franzosen.“
Bei dieser dunklen Anklage spielte Richemonte den Erstaunten so vortrefflich, daß er jeden anderen getäuscht hätte.
„Bist du toll, Scheik Menalek!“ rief er. „Willst du mich beleidigen? Willst du die Sünde auf dich laden, einen treuen Anhänger des Propheten einen französischen Spion zu nennen? Kennst du mich nicht besser?“
„Ich kenne dich nicht! Du hast mir nie gesagt, wo deine Zelte stehen.“
Richemonte fühlte, daß er, um den Verdacht, dessen Ursache er nicht begriff, zu zerstreuen, jetzt den Namen irgendeines Ortes nennen müsse.
„Meine Heimat ist Sella im Norden der Harudschberge“, sagte er.
„Auch Ben Ali stammt dorther?“
„Ja; er ist ja mein Sohn.“
„Wohnen dort Franzosen?“
„Nein.“
„Bist du jemals mit Franzosen zusammengekommen?“
„Niemals. Ich schwöre es bei Allah und dem Propheten.“
„Aber dennoch sprichst du ihre Sprache.“
Richemonte glaubte, der Scheik wolle nur auf den Busch schlagen. Er antwortete:
„Wie kommst du auf diesen Gedanken? Ich verstehe kein Wort davon.“
„Auch Ben Ali, dein Sohn nicht?“
„Auch er nicht.“
Er war so sehr bemüht, sich zu rechtfertigen, daß er die verstohlenen Winke, welche ihm sein Cousin gab, gar nicht bemerkte oder beachtete.
„Und auch er ist nie mit Franzosen zusammengekommen?“
„Niemals, gerade so wie ist.“
„Allah il Allah! Du bist ein Ungläubiger, ein Giaur!“ rief da der Scheik.
„Ich? Ein Giaur?“, entgegnete Richemonte mit erhobener Stimme. „Zügle deine Zunge, Scheik Menalek. Wäre ich nicht dein Gast, so würde ich dir mein Messer zwischen die Rippen stoßen.“
„Und dennoch bist du ein Giaur.“
„Beweise es!“
„Du schwörst bei Allah und dem Propheten und redest doch die Unwahrheit. Das tut nur ein Giaur, der nicht an Allah glaubt und den Propheten schändet.“
„Dein Vorwurf trifft mich nicht! Wie kannst du sagen, daß ich die Unwahrheit spreche? Sage mir eine einzige Lüge, welche du von mir gehört hast!“
„Du sagst, dein Sohn verstehe nicht die Sprache der Franzosen.“
„Das ist die Wahrheit.“
„Nein, sondern das ist eine Lüge, denn ich selbst habe ihn mit diesen meinen Ohren französisch sprechen gehört.“
Erst jetzt warf Richemonte einen beobachtenden Blick auf seinen Cousin. Er sah, daß dieser leise mit den Augenlidern zwinkerte und ahnte sogleich, daß irgendeine Unvorsichtigkeit vorgefallen sei.
„Du selbst? Wo?“ fragte er.
„Draußen vor den Zelten, als ich ihn mit meiner Tochter überraschte.“
„Hat er fremde Worte gebraucht, so ist es nicht französisch, sondern eine andere Sprache gewesen. Er versteht die Sprache der Türken.“
„Diese war es nicht. Hier, Saadi versteht das Französische und hat mit deinem Sohne in dieser Sprache gesprochen.“
„Er lügt!“
Die Angst Richemontes trieb diese Worte in einem zornigen Ton heraus. Kaum aber waren sie ausgesprochen, so riß Saadi sein Messer aus dem Gürtel und sprang auf, um sich auf den Sprecher zu werfen. Aber der Scheik faßte ihn noch zur rechten Zeit, hielt ihn fest und sagte:
„Halt! Ich befehle dir, dein Messer einzustecken! Dieser Mann wohnt unter meinem Zelt und hat mein Brot gegessen. Noch steht er unter meinem Schutz.“ Und sich wieder zu Richemonte wendend, fügte er hinzu: „Du sagst, deine Heimat sei Sella, im Norden der Harudschberge. Sprichst du die Sprache dieser Gegend?“
„Ja“, war Richemonte gezwungen, zu antworten.
„Nein. Ich kenne Sella. Ich war dort und auch in Fugha, als ich meine erste Pilgerreise machte. Ich kennen jenen Dialekt. Du redest unsere Sprache, wie sie von den Franken gesprochen wird. An dir ist alles Lüge. Dieser Mann ist dein Sohn gar nicht.“
„Beweise es.“
„Er müßte deinen Namen tragen und Ben Malek Omar heißen.“
„Ich habe ihn nach seinem Großvater genannt, welcher Ali hieß.“
„Das ist nicht wahr, denn dann wäre sein Name Ben Malek Omar Ibn Ali. Du verrätst dich selbst; du kennst unsere Sitte nicht. Dieser, von dem du sagst, daß er dein Sohn sei, hat das Gastrecht verletzt, indem er Liama, meine Tochter, beleidigte. Sie hat mit ihm ringen müssen. Das tut kein wahrer Anbeter des Propheten, kein echter Sohn eines Beduinen. Ihr seid Spione der Franzosen und kommt, um mich zu einer Tat zu verleiten, welche großes Unheil über mich und meinen Stamm bringen würde. Ich bin euer Gastfreund nicht mehr. Jetzt ist euer Leben noch nicht in Gefahr. Verlaßt augenblicklich mein Zelt! Befindet Ihr euch in einer Stunde noch in der Nähe meines Lagers, so werde ich euch ohne Gnade töten lassen.“
Er hatte sich von seinem Sitz erhoben und sprach diese Worte in einem so gebieterischen Ton, daß die Franzosen von ihren Matten auffuhren.
„Redest du wirklich im Ernst?“ fragte Richemonte.
Es kam das alles vollständig unerwartet über ihn; er konnte das Verhalten des Scheiks nicht recht begreifen; aber sein Schnurrbart zog sich in die Höhe, und seine Zähne zeigten jenes raubtierartige Fletschen, welches bei ihm stets ein Zeichen einer gefährlichen Seelenerregung war.
„Es ist mein Ernst“, antwortete der Scheik.
„Weißt du, welchen Schimpf du uns antust?“
„Ja, eine todeswürdige Schande.“
„Nun gut, wir gehen. Du wirfst einen unaustilgbaren Fleck auf die Gastfreundschaft der Beni Hassan; du entehrst und beschimpfst die, denen du Schutz und Freundschaft zugesagt hast. Die Folgen werden über dich kommen.“
„Ich verachte deine Drohung.“
„Und was sagst du zu diesen drei Kriegern der Tuareg?“
„Sie sind eure Brüder und auch Spione. Sie mögen gehen.“
Da standen auch die Tuaregs von ihren Plätzen auf. Der Sprecher fragte den Scheik: