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„Ja, mein Vater.“

„Du hast sehr unrecht getan.“

„Vielleicht verzeihst du mir, wenn du erfährst, was ich hörte.“

„So sage es.“

„Sie redeten von unseren Freunden, den Beni Hassan“, antwortete der Sohn.

„In welcher Weise sprachen sie von ihnen?“

„In sehr feindseliger Weise. Sie fluchten ihnen. Es war ein alter Mann mit einem großen und dichten Schnurrbart und ein jüngerer, ungefähr so alt wie ich. Ich hörte aus ihrem Gespräch, daß sie Gäste der Beni Hassan gewesen, aber von ihnen als Spione fortgejagt seien. Der Jüngere scheint die Tochter des Scheiks begehrt zu haben, doch ist diese bereits mit Saadi versprochen gewesen.“

„Saadi, der Bruder Hassans, des Zauberers? Ich kenne ihn. Er ist der tapferste und umsichtigste unter allen jungen Männern.“

„Ferner sprachen sie von einem Deutschen, welcher mit Schätzen aus Timbuktu kommt. Sie wollen ihn mit Hilfe der Tuareg überfallen.“

„O Allah! Einen Deutschen? Haben sie seinen Namen genannt?“

„Ja. Er heißt Königsau.“

„Königsau?“

Dieses Wort kam fast wie ein Schrei aus der schneller atmenden Brust des Sterbenden.

„Hast du diesen Namen richtig verstanden?“ fragte er weiter.

„Ja, mein Vater. Ich habe mir denselben ganz genau gemerkt.“

„Hast du nicht gehört, was er ist?“

„Oberlieutenant.“

„O Allah! Und er soll überfallen werden?“

„Überfallen und getötet.“

„Wo?“

„Auf dem Gebiet der Beni Hassan, damit der Verdacht und die Schuld auf diese falle.“

„Welch ein teuflischer Plan! Oh, mein Sohn, wie gut ist es, daß du gelauscht hast. Allah selbst ist es gewesen, der deine Schritte gelenkt hat, um eine finstere, blutige Tat zu verhüten. Eile, eile zu den Nachbarn, um dir das schnellste Pferd zu leihen. Reite zu Menalek, dem Scheik der Beni Hassan. Erzähle ihm alles, was du gehört hast, und sage ihm, daß ich ihm im Namen des gerechten und allbarmherzigen Gottes befehle, mit seinen Kriegern diesem Königsau entgegen zu reiten, um ihn zu beschützen. Eile, eile, mein Sohn!“

„Mein Vater, ich darf dich doch nicht verlassen. Du bist krank.“

„Allah wird mich schützen.“

„Du kannst dich nicht einmal erheben.“

„Allah wird mich stützen.“

„Du könntest unterdessen sterben.“

„Allah wird mein Helfer sein. Eile, eile, mein Sohn.“

„Vielleicht hat es noch Zeit, mein Vater. Die beiden Männer sprachen davon, daß sie erst in neun Tagen zu den Tuareg kommen wollten.“

„Gott ist gnädig. Diese Frist genügt. Aber hast du auch recht gehört?“

„Ja. Sie haben zwei Wochen Zeit.“

„Wohin wollten sie?“

„Das habe ich nicht gehört; sie sprachen davon nicht.“

„Wir brauchen es auch nicht zu wissen. Es genügt, daß der Überfall erst so spät stattfinden soll. Oh, wie mich diese Nachricht ergriffen hat!“

Er hatte das härene Gewand, welches ihn bedeckte, halb von sich geschoben, und nun wurden zwei Arme frei, welche nur noch aus den Knochen bestanden, um welche die Falten der Haut schlotterten. Der Turban war ihm entfallen, und es kam ein kahler, haarloser Schädel zum Vorschein, der ganz und gar einem anatomischen Präparat glich.

Der Sohn ließ sich kniend an dem Lager nieder.

„Du bist so schwach, mein Vater“, sagte er im Ton der größten Zärtlichkeit und Besorgnis. „Soll ich dir Wasser zur Stärkung reichen?“

„Nein. Ich bedarf keiner irdischen Stärkung mehr. Oh, Allah, ich danke dir, daß dieser Überfall noch Frist hat. Du erlaubst mir, in den Armen meines Sohnes zu sterben.“

„Mein Vater.“

In diesen zwei Worten sprach sich der ganze Schmerz eines Kindes aus, welches den Vater von dem nahen Tod sprechen hört.

„Sei still“, bat der Alte. „Ich gehe zu Gott, von dem ich gekommen bin. Ich verlasse das Land der Trübsal, des Irrtums und der Sünde, um in die Gefilde der Reinheit und der Seligkeit zu fliehen. Ist die Sonne bereits untergegangen?“

Der Sohn eilte zum Eingange, blickte hinaus und antwortete:

„Nein, mein Vater. Ihre letzten Strahlen sind noch zu sehen.“

„So trage mich hinaus. Ich will das scheidende Licht des Tages sehen und den Aufgang der Sterne. Mein Scheiden hier wird auch ein Aufgang sein, ein Aufgang jenseits der Grenzen dieser schönen und doch trügerischen Erde.“

Der Sohn beeilte sich, Moos vor die Hütte zu schaffen. Dann umschlang er den sterbenden Vater mit kräftigen Armen, trug ihn hinaus und setzte ihn so nieder, daß er mit dem Rücken an der Mauer der Hütte lehnte und die goldenen Strahlen schauen konnte, mit welchen die scheidende Königin des Tages den westlichen Horizont überflutete.

Die Augen des Marabut waren auf diese blitzenden Feuergarben gerichtet.

„Mein Sohn“, sagte er. „Du hast vorhin das Abendgebet der gläubigen Moslemin gesprochen. Kennst du noch die Lieder der Christen, welche ich dich lehrte?“

„Ja.“

„Auch das Abendlied, welches von der sinkenden Sonne und den tausend aufgehenden Sternen spricht?“

„Ich kenne es.“

„Bete es, mein Sohn.“

Sie falteten beide die Hände. Der Sohn kniete nieder und betete mit lauter Stimme diese Verse des Liedes. Es war gewiß wunderbar, hier vor dem Heiligtum eines Marabut ein christliches Kirchenlied erklingen zu hören. Als die Worte:

„Wer bin ich? Staub und Sünder;  Doch, Vater aller Kinder,  Auch mich begnadigst Du.  Wenn still gemeinte Zähren  Dir meine Reu' erklären,  So rufest du mir Gnade zu!“

gesprochen worden waren, senkte der Alte langsam das Haupt und sagte ein tiefes, seufzendes Amen.

Der Sohn blieb auf den Knien liegen. Es herrschte eine ernste Stille an diesem einsamen, abgeschiedenen Ort. Das Licht des Tages verschwand, und mit der jenen Gegenden eigentümlichen Schnelligkeit kam die Dunkelheit von Osten her geflogen. In der Nähe des Äquators gibt es keine Dämmerung.

Die beiden Lauscher hielten noch unter den Bäumen. Sie hatten keine Ahnung davon, daß sie selbst heute von dem Sohn des Marabut belauscht worden seien.

„Das muß der alte Heilige sein“, flüsterte der Cousin, als der Sohn den Vater aus der Hütte getragen brachte und ihm seinen Platz vor derselben gab.

„Jedenfalls“, antwortete Richemonte. „Sieh, die alte Vogelscheuche! Es scheint, die muselmännische Heiligtuerei macht nicht fett. Horch, ich glaube, sie beten.“

Der Sohn kniete eben nieder und betete das Lied.

„Tausend Donner!“, sagte Richemonte. „Sie beten französisch! Das ist ja ein Lied, wie es daheim in den Kirchen geplärrt wird! Ist das nicht wunderbar?“

„Ungeheuer! Ich glaube, wenn wir sie belauschen könnten, würden wir ganz außerordentliches zu hören bekommen. Sollten diese verkappten Muselmänner etwa gar geborene Franzosen sein?“

„Das möchte man fast wahrscheinlich nennen. Die Sonne geht unter. In fünf Minuten ist es dunkel. Wenn wir uns vorsichtig an die andere Seite des Häuschens schleichen, können wir alles hören, was jene sprechen.“

„Aber wenn wir bemerkt werden?“

„Was schadet das? Fürchtest du etwa dort das heilige Gerippe oder den, der am Boden kniet, um fromme Lieder zu plappern?“

„Nein.“

„Also. Wir zwei nehmen hundert solche Kerls auf uns. Laß uns am Rand der Büsche hinschleichen, daß wir auf die andere Seite kommen. Ich soll möglichst viel über diesen frommen Marabut erfahren, und ich glaube, daß wir gerade zur richtigen Stunde gekommen sind, um Dinge zu hören, welche sonst keiner weiß. Komm.“

Sie huschten hinweg von dem Ort, an welchem sie bisher gelegen hatten. Die schnell hereinbrechende Dunkelheit begünstigte ihr Vorhaben, so daß sie völlig unbemerkt an die Hinterwand der Hütte gelangten, vor welcher sich der sterbende Einsiedler mit seinem Sohn befand. Bis jetzt hatten beide nach dem Gebet geschwiegen. Nun aber sagte der Alte, indem er langsam den gesenkten Kopf emporhob: