„Ah! Ihr bliebt nicht zusammen?“
„Nein. Es war in Berlin, als sie mir einen Sohn gebar. Margot, Königsau und dessen Mutter waren Paten, als dieser getauft wurde. Ich ließ ein Bild des Kindes anfertigen und sandte es der Mutter. Sie schickte es wieder retour. Ich wurde zornig und später auch verbittert. Mein Weib mußte das empfinden. Unser Sohn warst du. Deine Geburt hatte deiner Mutter die Schönheit und die Gesundheit gekostet; ich hörte auf, sie zu lieben.“
„Meine arme, arme Mutter!“
„Jawohl, arm! Bald haßte ich sie. Ich gab ihr die Schuld an allem, was ich getan und zu tragen hatte. Ich vernachlässigte sie; ich machte ihr Vorwürfe. Sie wurde von Tag zu Tag unglücklicher, und eines Abends, als ich nach Hause kam, war sie verschwunden.“
„Allah! Wohin?“
„Ich wußte es lange nicht.“
„Allein?“
„Nein. Sie hatte dich mitgenommen.“
„Ah! Was tatest du? Sie hatte mich lieber als du!“
„Nein, mein Sohn. Ich war grausam gegen sie; an dir aber hing meine ganze Seele, denn du warst mein Ebenbild. Dich wollte und konnte ich nicht missen; ich mußte dich wieder haben. Ich begann meine Nachforschungen.“
„War sie nicht nach der Heimat gegangen?“
„Das ahnte ich auch.“
„Du folgtest ihr?“
„Ja, und ich fand, daß ich mich nicht getäuscht hatte. Ich fand ihre Spur, aber dabei auch diejenige eines Menschen, in dessen Gesellschaft ich Berta niemals vermutet hätte.“
„Wer war dieser Mensch?“
„Kapitän Richemonte, welcher Margot, seine eigene Schwester, dem Kaiser hatte zubringen wollen. Wie war er auf Berta getroffen? Welche Absichten hatte er mit ihr?“
„Hast du es erfahren?“
„Das erstere wohl, aber das letztere nicht.“
„Du hast sie beide getroffen?“
„Ja. Richemonte war aus irgendwelchen Gründen, die ich nicht erfuhr, aus dem Offizierskorps gestoßen worden und zunächst nach Deutschland gegangen. Er mochte in Berlin nach Königsau gesucht haben, um sich an diesem zu rächen, hatte aber vielleicht keine Gelegenheit dazu gefunden. Da traf er Berta, die er von Schloß Jeannette her kannte. Er erfuhr, daß sie meine Frau sei und höchst unglücklich mit mir lebe. Einem Menschen von seinen Eigenschaften konnte es nicht schwer fallen, die von mir auf das äußerste gebrachte Frau zu bereden, mich zu verlassen. Er hatte sie bis nach Marseille geführt, wo sie eine Anstellung finden sollte. Sie beide waren nur zwei Tage vor mir angekommen.“
„Du fandest sie und suchtest sie auf?“
„Ja. Er war ausgegangen. Nur Berta war daheim im Gasthof.“
„Wohnten sie beisammen?“
„Nein. Die Geliebte eines anderen Mannes hätte Berta niemals werden können. Sie hatte mich verlassen, um nicht länger mit mir unglücklich zu sein, und war ihm gefolgt, weil er ihr bei Verwandten von sich eine Stellung angeboten hatte. Das war alles.“
„Besaß jener denn Verwandte in Marseille?“
„Nein, so viel ich weiß. Es mußte ihn also irgendeine geheime, jedenfalls schlimme Absicht veranlaßt haben, mir das Weib und den Sohn zu entführen. Ich habe sie aber weder erfahren, noch erraten können.“
„Wie empfing dich meine Mutter?“
„Sie war voller Schreck, doch faßte sie sich schnell. Ich bat sie, wieder mit mir umzukehren; sie weigerte sich. Ich drohte ihr; auch das half nichts. Ich verlangte wenigstens mein Kind. Da sagte sie, daß sie sich lieber töten, als von demselben trennen werde.
Ich konnte weder durch Bitten, noch durch Drohungen in deinen Besitz gelangen. Sie stellte sich wie eine Löwin, welche ihr Junges zu beschützen hat, vor dein Bettchen. Auf dem Tisch hatte ein Messer gelegen, spitz und scharf wie ein Dolch. Sie ergriff es und drohte, mich zu erstechen, falls ich Gewalt anwende. Ich lachte über diese Worte. Ich kannte den Mut einer Mutter noch nicht. Ich faßte sie an, um sie von dir fortzuschleudern. Sie wehrte sich. Wir kamen in das Ringen. Ihre Kräfte waren den meinigen nicht gewachsen. Da gebrauchte sie das Messer. Sie stieß es mir durch den Arm. Aufgeregt durch mein Verlangen, dich zu besitzen, durch Bertas Widerstand und durch den Stich, den ich erhalten hatte, riß ich ihr das Messer, welches sie sofort wieder aus der Wunde gezogen hatte, um einen zweiten Stich zu versuchen, aus der Hand. Ich kannte mich vor Wut nicht mehr und stieß zu. Mit einem halblauten Aufschrei brach sie zusammen. Ich hatte sie mitten in das Herz getroffen.“
„O Allah il Allah! Du warst ihr Mörder.“
„Ja, mein Sohn, ich war und bin ihr Mörder“, sagte der Alte.
Es trat eine Pause ein, während welcher eine tiefe Stille herrschte. Dann brach Arthur das Schweigen zuerst. Er fragte:
„Was dachtest und was tatest du nun, mein armer Vater?“
„Ich starrte vor Entsetzen wie abwesend auf die Leiche der einst so sehr Geliebten. Aber die Angst um mich und ebenso die Sorge, dich nun ganz zu verlieren, brachten mich bald zur Besinnung. Ich mußte handeln.“
„Hatte man euch denn nicht gehört?“
„Ich glaube, nein. So lebhaft unser Wortwechsel gewesen war, wir hatten ihn doch nur mit halblauter Stimme geführt, und der Kampf war fast lautlos vor sich gegangen.“
„So konntest du entkommen?“
„Ja. Ich riß mir den Rock herunter und band mir das Taschentuch fest um die Wunde, dann nahm ich dich, hüllte dich in dein Kleidchen und verließ mit dir das Zimmer, dessen Schlüssel ich zu mir steckte, nachdem ich die Tür verschlossen hatte.“
„Warum tatest du das?“
„Richemonte sollte bei seiner Rückkehr, und ebenso auch die Bediensteten des Hauses, denken, daß Berta bereits schlafen gegangen sei. Auf diese Weise gewann ich einen weiten Vorsprung zur Flucht.“
„Aber die Mutter mußte sich ja rettungslos verbluten, falls der Stich vielleicht nicht tödlich gewesen wäre.“
„Er war absolut tödlich gewesen. Ich untersuchte sie ja. Sie war eine Leiche.“
„Aber Richemonte mußte bei seiner Rückkehr erfahren, daß ein Fremder zur Mutter gegangen sei. Das mußte seinen Verdacht erwecken?“
„Man hatte mich nicht gesehen. Ich war unbemerkt bei ihr eingetreten, denn ich hatte sie am erleuchteten Fenster stehen sehen. Zum Glück gelang es mir, ebenso unbemerkt zu entkommen, wie ich zu ihr gelangt war.“
„Aber du warst verwundet; du warst voller Blut! Wie entkamst du?“
„Es galt zunächst, unbemerkt das Zimmer in meinem Hotel zu erreichen. Ich hatte das Glück eines Bösewichtes: Es gelang mir auch das. Du warst ruhig, du schliefst in meinen Armen; von dir hatte ich keinen Verrat zu befürchten. Zum größten Glück wußte ich, daß in meinem Hotel ein Schiffer aus Ajaccio wohnte, welcher noch diese Nacht nach Hause segeln wollte. Ich fragte ihn, ob er mich mitnehmen wollte, und er machte nicht die geringsten Schwierigkeiten, da ich Geld hatte und mich im Besitz guter Papiere befand. Natürlich hatte ich mich gewaschen und andere Kleider angelegt. Während du schliefest, brachte ich dich in einem leeren Reiseköfferchen an Bord. Ich befand mich bald in Ajaccio und also wenigstens einstweilen in Sicherheit.“
„Was wird man gesagt haben, als man am anderen Morgen die Leiche fand?“
„Das erfuhr ich auf Korsika. Man hatte Bertas Leiche bereits während der Nacht entdeckt. Das Blut war durch die Decke gedrungen. Die Mutter war erstochen worden, und das Kind fehlte. Von ihren Habseligkeiten war nicht das geringste entwendet worden. Wer konnte der Täter sein? Kein anderer als der Vater, dem sie entflohen waren. Man forschte und erfuhr, daß ich sie wirklich verfolgt hatte. Nun war man außer allem Zweifel. Ich durfte nie mehr nach der Heimat zurückkehren.“
Das Sprechen griff den Kranken von Minute zu Minute mehr an. Er war erschöpft und machte eine Pause; auch der Sohn schwieg. Ihn erfüllte eine Traurigkeit, nicht geringer als die Reue, welche der Vater fühlte. Endlich ergriff dieser letztere wieder das Wort: