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„So war aus einem Dieb ein Mörder geworden und aus dem Mörder ein heimatloser Ahasver, welchen die Furien von Ort zu Ort verfolgten. Ich erfuhr, daß man meine Flucht nach Ajaccio entdeckt hatte und dort weiter nach mir suchte. Wo fand ich Sicherheit? Ich ging nach Ägypten. Nicht lange war ich dort, so hörte ich, daß man bereits von meinem Aufenthalt auf Sizilien wisse. Bald mußte man erfahren, daß ich von dort nach Ägypten gegangen sei. Um sicher zu sein, galt es, mich von dir zu trennen. Du mußtest unbedingt für das Kind eines Moslem gelten; daher war es notwendig, dich zu beschneiden. Aber das durfte ich keinem anderen überlassen. Ich beschnitt dich selbst, und nachdem die Wunde geheilt war, brachte ich dich in eins der Findelhäuser, welche damals noch mit einigen Moscheen in Kairo verbunden waren. Ich wartete im verborgenen, bis man dich gefunden und aufgenommen hatte und ging nun den Nil aufwärts bis über die Grenze von Nubien. Dort blieb ich zwei Jahre lang. Während dieser Zeit hatte ich gelernt, das Arabische zu sprechen wie ein Eingeborener. Die größte Sicherheit bot sich mir, wenn ich mich für einen geborenen Araber, für einen wahren Gläubigen ausgab. Ich tat dies und bin niemals in Verdacht gekommen.“

„Jetzt, mein Vater, erwacht meine Erinnerung. Ich sehe mich bei alten bärtigen Männern in einem heißen Hof, welcher mit einer hohen Mauer umschlossen ist, und viele andere Knaben sind bei mir.“

„Das ist der Findelhof an der Moschee. Ich kehrte nach Kairo zurück und suchte dich auf. Ich sagte, daß ich ein kinderloser Mann sei und die Absicht habe, einen Knaben an Kindesstatt zu mir zu nehmen. Gegen ein Geschenk an die Moschee durfte ich unter den Knaben wählen. Ich erkannte dich wieder, auch gab man mir das Kleidchen, welches du getragen hattest, als man dich fand. Ich hatte es bei einem Juden in einem der engsten Gäßchen von Kairo gekauft. Es war gerade die Zeit der großen Pilgerreise nach Mekka. Ich schloß mich an, denn ich wollte von nun an nur dir leben, und das konnte ich nur dann, wenn ich als echter Muselman in vollkommener Sicherheit war.

In Mekka blieb ich fünf volle Jahre, um den Islam zu studieren. Dann aber sehnte ich mich nach einem Aufenthalt, an welchem es möglich war, zuweilen etwas von der Heimat zu hören. Ich verließ also Arabien und ging nach Ägypten zurück, und von da die Wüste nach Tunesien und später nach Algerien.

In Mekka hatte ich einen arabischen Namen getragen. Auf diesen hatte mir der Scherif meine Zeugnisse und Legitimationen ausgestellt. Ich hatte den Koran aus Mekka am Hals hängen, ich trug das Fläschchen mit dem Wasser des heiligen Brunnen Zem-Zem am Gürtel; ich besaß viele Reliquien der heiligen Stadt und ebenso von Medina. Ich galt überall als ein außerordentlich frommer Hadschi (Pilger). Kein Mensch hätte in mir einen entflohenen Mörder vermutet. Der Gram und die Reue hatten mich abgezehrt, die Sonne hatte mich schwarz gebrannt. Ich trug sogar den grünen Turban der Abkömmlinge des Propheten, was ich zwar in Algerien, nie aber in Mekka wagen durfte. Und wenn mir jetzt meine Mutter oder Margot oder selbst dieser Richemonte begegnet wäre, keins von ihnen hätte mich erkannt.

Ich wollte dein Vater und zugleich dein Lehrer sein. Von mir solltest du alle diejenigen Schätze des Charakters und Gemütes empfangen, welche meiner Jugend gefehlt hatten. Ich träumte von einem Sohne, welcher berufen sein solle, eine hohe Stelle einzunehmen. Aber dieser Traum zerrann in nichts, nicht schnell und plötzlich, sondern nach und nach, aber desto sicherer. Ich hatte in der Heimat die Universität besucht und mich vorzugsweise mit Medizin beschäftigt. Auf diesen Bergen wachsen tausend heilsame Kräuter. Ich sammelte sie und erprobte ihre Wirkung. Bald war ich der Wohltäter vieler Stämme. Konnte ein schöneres, besseres Los eines Mörders harren?“

„Nein, mein Vater!“

„Du hast recht, und ich danke dir. Ich baute mir diese Hütte und blieb, was ich war. Du solltest mein Nachfolger werden, niemals solltest du erfahren, wer ich war, und wer du eigentlich bist.“

„Und dennoch hast du es mir erzählt.“

„Mein Sohn, die Gedanken und Entschlüsse des Menschen sind wie das Haar, welches sich auf dem Sand niedergelassen hat. Der erste Lufthauch nimmt es mit sich fort. Ich war dein Vater und Beschützer. Nun aber gehe ich von hinnen, und du bleibst allein zurück. Wen sollst du lieben, und wer liebt dich? Du wirst unter Moslemim stehen, allein, zwar hoch geehrt, aber dein Herz wird keine Worte finden dürfen. Ich habe dich in die Wüste geführt, ich habe dich der Zivilisation und dem göttlichen Erlöser geraubt. Ich muß dich dahin zurücksenden, von wo dein Leben ausgegangen ist.“

„Soll ich dich verlassen, mein Vater? Niemals!“

„Mein Leben ist zu Ende. Nach wenigen Augenblicken werde ich zu Staub geworden sein.“

„Soll ich dein Grab verlassen?“

„Ja. Mein Segen und mein Geist werden bei dir sein! Und nun, Arthur, mein Sohn, hast du meine Beichte vernommen. Dein Vater liegt vor dir, seine Seele steht unter Tränen bitterer und lange verborgener Reue, und sein Herz schreit auf nach einem Wort der Vergebung. Da droben strahlen Gottes Sterne; sie leuchten Liebe und Barmherzigkeit herab. Du kennst mein Tun. Verdamme oder begnadige mich, wie dir es der Allwissende eingibt jetzt in der Stunde, welche die letzte meines Lebens ist. Ich habe zu viel gesprochen, ich bin müde zum ewigen Schlaf. Bereits werden die Beine kalt und starr. Vielleicht ist in wenigen Augenblicken das Ohr nicht mehr offen, um deinen Richterspruch zu hören.“

Er faltete die Hände. So wartete er auf das Wort, welches er aus dem Mund des Sohns ersehnte. Dieser schluchzte laut vor Schmerz und umschlang den sterbenden Vater mit beiden Armen.

„Mein Vater, o mein Vater!“, meinte er. „Will Gott dich wirklich von mir nehmen, sollen wir wirklich scheiden, so habe Dank für deine tausendfältige Liebe und für dein treues Sorgen! Ich wollte, ich könnte mit dir sterben!“

„Keinen Dank!“ antwortete der Alte. „Den Richterspruch!“

„Gott ist die Liebe, mein Vater. Er zürnt dir nicht, sondern er hat dir vergeben.“

„Und du, Arthur?“

„Auch ich. Mein Schmerz um dein Scheiden ist unsäglich, aber der Wunsch, alle Schuld von dir zu nehmen, ist noch tausendfältig größer. Gehe getrost aus dieser Welt, da oben wird es keinen Vorwurf für dich geben.“

Da entflog dem Mund des Sterbenden ein langer, tiefer Seufzer unendlicher Erleichterung. Man sah beim Schein der Sterne, daß sich ein seliges Lächeln über sein Antlitz breitete.

„Ich danke dir, mein Sohn, oh, ich danke dir!“, sagte er langsam und mit Anstrengung. „Nun sterbe ich ruhig, denn ich habe Barmherzigkeit gefunden. Grabe in der Hütte unter meinem Lager nach. Dort findest du wohl verwahrt das Kleidchen, welches du in Marseille trugst, meine Aufzeichnungen, welche dich legitimieren werden, den Schmuck und den Rest des Geldes, welches ich raubte. Gehe damit nach Jeannette und siehe, ob du dort Gnade findest, so wie ich sie bei dir gefunden habe.“

Der Sohn hielt den Vater noch immer fest umschlungen. Er küßte ihn auf den bleichen, bereits erkaltenden Mund und fragte unter strömenden Tränen:

„Ist's wahr, ist's denn wirklich wahr, daß du sterben mußt?“

„Ja, mein Sohn, mein lieber, lieber Sohn. Und wenn ich tot bin, so lege mich in die Hütte und maure, ehe du gehst, den Eingang zu. Nur oben laß gegen Osten eine kleine Öffnung, damit täglich ein Strahl der aufgehenden Sonne in das Grab des Mannes falle, dessen Leben von so wenigen Strahlen erwärmt und erleuchtet wurde.“

„Ich werde es tun! Ja, mein Vater, ich werde es tun.“

„Und noch den letzten Wunsch, mein Kind. – Bereits kann ich – kaum mehr sprechen, du hast vorhin ein Lied gebetet. Jetzt – das Lied noch von – Leben und vom Ende.“