„Wer soll ihn denn – hm!“
„Was?“
„Wer soll ihm denn zum Verschwinden helfen, meine ich, du oder ich?“
„Natürlich du!“
„Warum ich? Du triffst viel sicherer.“
„Das mag sein; aber ich werde mich hüten, für einen anderen die gebratenen Kastanien aus dem Feuer zu holen und mir die Finger zu verbrennen.“
„Für einen anderen? Dieser andere bin ich, dein Adoptivsohn. Du genießt die Früchte ebenso wie ich!“
„Das gilt erst abzuwarten. Ich war vorher bereit, dem Kerl meine Kugel zu geben; wie die Sache aber jetzt steht, sehe ich hiervon ab, deiner Liama wegen.“
„Ihretwegen? Das begreife ich nicht.“
„Es ist doch sehr leicht erklärlich. Sie weiß, daß du nicht der Sohn des Marabuts bist. Sie kann alles verraten, und in diesem Fall will wenigstens ich nicht derjenige sein, dem man den Mord aufwalzt.“
„Ist es das? Gut, so werde ich den Schuß abgeben. Für dieses Mädchen tue ich alles. Aber es wird uns nicht verraten.“
Richemonte lachte in sich hinein. Er hätte die Ermordung des Opfers auf keinen Fall auf sich genommen. Es lag ihm sehr daran, an dem späteren Baron de Sainte-Marie ein willenloses Werkzeug zu besitzen, und dies war nur dann der Fall, wenn er ihn mit Drohungen einzuschüchtern vermochte. Einem Mörder ist am leichtesten zu drohen.
Sie huschten leise zwischen den Bäumen hindurch, bis sie die Lichtung wieder erreichten. Dort duckte Richemonte sich auf den Boden nieder und kroch langsam und leise auf die Hütte zu. Der andere folgte ihm. Auf halbem Weg blieben sie plötzlich halten. Es war ein lichter Strahl aus dem Inneren der Hütte auf den Platz herausgefallen.
„Gut für uns“, flüsterte der Kapitän. „Er ist drin. Wir können herankommen, ohne kriechen zu müssen. Er hat Licht. Das gibt für dich ein festes, sicheres Ziel. Machen wir uns den Spaß, ihn zu überraschen. Welch ein Gesicht er machen wird, wenn so plötzlich zwei unbekannte Personen inmitten der Nacht bei ihm erscheinen.“
„Er wird Waffen in der Hütte haben.“
„Feigling! Ein Marabut und Waffen!“
„Von früher her vielleicht.“
„In diesem Fall erwarte ich, daß du schneller bist als er. Komm!“
Sie schlichen sich leise bis an die Mauer. Dort lehnte noch der tote Marabut. Sie schritten um denselben und standen nun vor dem Eingang, wo sie das Innere der Hütte überschauen konnten.
Ein kleines Tongefäß, mit Fett gefüllt, in welchem ein Docht steckte, bildete eine Lampe, deren Licht gerade hinreichend genug war, die Gegenstände im Inneren der Hütte erkennen zu lassen. Der Sohn des toten Heiligen hatte das Lager zur Seite geschoben und war damit beschäftigt, mit einem spatenartigen Werkzeug den Boden aufzugraben. Da ertönten plötzlich, so daß er erschrocken emporfuhr, hinter ihm die lauten Worte:
„Mesalcheer – guten Abend.“
Er drehte sich um und sah zwei bewaffnete Beduinen am Eingang stehen. So sehr erschreckt er war, er faßte sich doch schnell und antwortete:
„Allah jumessik! Was wollt ihr?“
„Wir kommen, um einige Worte mit dir zu sprechen“, antwortete Richemonte.
„Tretet näher.“
Sie traten ein, und nun fragte der Kapitän, auf das Loch deutend:
„Was tust du hier?“
„Ich grabe die Grube für den Toten, welcher draußen vor der Türe liegt“, antwortete er, schnell gefaßt.
„Wer ist dieser Tote?“
„Mein Vater, der fromme Marabut Hadschi Omanah.“
„Du lügst.“
„Du irrst! Ich sage keine Lüge.“
„Und dennoch lügst du.“
„Ich kenne euch nicht; ihr seid Fremde; darum will ich euch verzeihen. Ein Mann eines der nahe wohnenden Stämme würde anders sprechen. Aber auch für euch ziemt es sich nicht, den Mann, unter dessen Dach ihr tretet, einen Lügner zu nennen. Die Leiche eines Marabut heiligt den Ort, an dem sie sich befindet, ihr aber entweiht und entheiligt ihn.“
Er hatte sehr ernst und furchtlos gesprochen: der Kapitän aber antwortete ganz in seiner vorigen Weise:
„Ich wiederhole, daß du lügst. Ich kenne den Mann, dessen Leiche ich da draußen liegen sah.“
„Wenn du ihn besser kennst als ich, der ich sein Sohn bin, so sage mir, wer du meinst, daß er sei.“
„Jetzt ist er nichts als Staub und Erde. Vorher aber war er der Baron Alban de Sainte-Marie“, sagte Richemonte in französischer Sprache.
„Allah!“ rief der junge Mann erschrocken.
„Der Mörder seines eigenen Weibes.“
Die Augen Arthurs öffneten sich weit vor Entsetzen.
„Der seine eigene Mutter beraubte und bestahl.“
„Wer seid ihr?“ stieß der Überraschte hervor.
„Ich bin derjenige, von dem er dir vorhin erzählt hat.“
„Ah! Ihr habt uns belauscht?“
„Ja. Hast du dir den Namen Richemonte gemerkt? Ich bin es.“
„Gott schütze mich!“
„Ja, Gott schütze dich!“, rief jetzt der andere. „Aber er wird es nicht vermögen, dich, den abtrünnigen Muselman, zu schützen.“
Er zog blitzschnell seine Pistole hervor, zielte und drückte ab. Der Schuß krachte weit in die Nacht hinaus. Arthur de Sainte-Marie stürzte lautlos mit zerschmetterter Stirn zur Erde. Der Kapitän beugte sich nieder und untersuchte ihn.
„Ausgezeichnet gemacht, mein Junge!“, sagte er. „Die Kugel ist ihm bis ins kleine Gehirn gedrungen. Er war sofort tot und hat nicht viel zu leiden gehabt. Auch das ist der Tod eines Heiligen.“
Der Mörder aber drehte sich scheu zur Seite. Er wagte kaum, einen Blick auf sein unschuldiges Opfer zu werfen.
„Du meinst, ich habe gut getroffen?“ fragte er, um nur etwas zu sagen. „So schaffe ihn hinaus. Ich mag den Kerl nicht vor Augen haben. Dieses Loch im Kopf, diese krampfhaft geballten Fäuste, diese starren, fürchterlichen Augen!“
Er schüttelte sich, als ob es ihn fröstele.
„Hasenherz! Aber es ist dennoch wahr. Wir müssen ihn hinausschaffen, um Platz zu haben, seine begonnene Arbeit fortzusetzen. Faß an.“
„Tue es allein.“
„Meinetwegen. Ich brauche mich nicht zu fürchten und zu scheuen, denn ich bin es nicht, der ihn erschossen hat. Ich bin unschuldig an diesem Blut.“
Diese Worte trafen den anderen wie ein Donnerschlag.
„Du unschuldig?“ fragte er. „Hast du nicht die ganze Sache angestellt?“
„Pah! Mußt du tun, was andere sagen? Wenn ich dir rate, dir selbst eine Kugel durch den Kopf zu jagen, wirst du es auch tun? Ein jeder trägt die Verantwortung seines Tuns. Die Gründe dazu liegen in ihm selber, wenn auch zehnmal der Anstoß von außen kommen sollte. Ich wünsche übrigens nicht, daß du mir noch einmal zu hören gibst, ich sei es, der dich zu diesem Mord veranlaßt habe.“
In diesem Augenblick begann er die Taktik, welche er dann später auch auf Schloß Ortry zu befolgen pflegte. Er faßte den Erschossenen bei den Armen und schleifte ihn auf dem Rücken hinaus vor die Tür. Wieder eingetreten, untersuchte er das Loch und gebot dann seinem Gefährten:
„Nun, was soll die Pistole noch in der Hand? Der Geruch des Blutes hat dich wohl um die Besinnung gebracht? Hier, grabe weiter, mein Junge!“
Der andere gehorchte, ohne eine Widerrede zu versuchen. Er steckte die Pistole in die Tasche, ergriff den Spaten und begann zu graben. Bereits nach kurzer Zeit stieß er auf etwas Hartes.
„Schaffe die Erde weg. Ich bin begierig, zu sehen, was es ist.“
Dies geschah, und nun zeigte es sich, daß ein großer, vasenartiger Topf, welcher mit einem tönernen Deckel belegt war, in der Erde steckte.
Der Kapitän nahm denselben ab. Ein ziemlich dickes Papierheft kam zum Vorschein. Richemonte öffnete es, beleuchtete es mit der Lampe und blätterte darin umher.