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Dann ging sie, seufzend, schwer riß sie sich los, sie durfte nicht bleiben.

Goldmund blieb allein zurück, glücklich und auch traurig. Spät erst erinnerte er sich des Brotes, des Specks und aß einsam, es war schon ganz Nacht.

Achtes Kapitel

Eine lange Weile schon war Goldmund gewandert, selten ein zweites Mal am selben Ort zur Nacht, überall von Frauen begehrt und beglückt, von der Sonne braungebrannt, vom Wandern und von schmaler Kost gemagert. Viele Frauen hatten in der Morgenfrühe von ihm Abschied genommen und waren gegangen, manche mit Tränen, und manches Mal hatte er gedacht: »Warum bleibt keine bei mir? Warum, wenn sie schon mich lieben und einer Liebesnacht wegen die Ehe brechen – warum kehren sie alle sofort zu ihren Männern zurück, von denen sie meistens Prügel zu fürchten haben?« Keine hatte ihn ernstlich gebeten dazubleiben, keine einzige hatte ihn je gebeten, sie mitzunehmen, und war aus Liebe bereit gewesen, Freude und Not der Wanderschaft mit ihm zu teilen. Er hatte zwar keine dazu eingeladen, hatte keiner diesen Gedanken nahegelegt; wenn er sein Herz befragte, so sah er, daß seine Freiheit ihm lieb war, und er konnte sich keiner Geliebten erinnern, nach der die Sehnsucht ihn nicht in den Armen der nächsten verlassen hätte. Aber dennoch war es ihm wunderlich und ein wenig traurig, daß überall Liebe so sehr vergänglich schien, die der Frauen wie seine eigene, daß sie ebenso schnell satt war wie entflammt. War das richtig? War das immer und überall so? Oder lag es an ihm selbst, war er vielleicht so beschaffen, daß die Weiber ihn zwar begehrten und schön fanden, aber keine Gemeinschaft mit ihm verlangten als die kurze, wortlose im Heu oder auf dem Moos? Lag es daran, daß er auf Wanderschaft lebte und daß die Seßhaften vor dem Leben der Heimatlosen ein Grauen fühlten? Oder lag es allein an ihm, an seiner Person, daß die Frauen ihn wie eine hübsche Puppe begehrten und an sich drückten, dann aber alle zu ihren Männern zurückliefen, auch wenn dort Schläge sie erwarteten? Er wußte es nicht.

Von den Frauen zu lernen wurde er nicht müde. Zwar zog es ihn mehr zu den Mädchen, zu den ganz Jungen, die noch keine Männer hatten und nichts wußten, in sie konnte er sich sehnlich verlieben; aber meistens waren die Mädchen unerreichbar, die geliebten, die schüchternen und wohlbehüteten. Aber auch von den Frauen lernte er gern. Jede ließ ihm etwas zurück, eine Gebärde, eine Art von Kuß, ein besonderes Spiel, eine besondere Art von Sichgeben oder von Sichwehren. Goldmund ging auf alles ein, er war unersättlich und biegsam wie ein Kind, er stand jeder Verführung offen: nur dadurch war er selbst so verführend. Seine Schönheit allein hätte nicht genügt, ihm die Frauen so leicht zuzuführen; es war diese Kindlichkeit, dies Offenstehen, diese neugierige Unschuld der Begierde, diese vollkommene Bereitschaft zu allem, was eine Frau irgend von ihm begehren mochte. Er war, ohne es selbst zu wissen, bei jeder Geliebten gerade so, wie sie ihn wünschte und erträumte, bei der einen zart und abwartend, bei der andern rasch und zupackend, einmal kindlich wie ein zum erstenmal eingeweihter Knabe, einmal künstlich und unterrichtet. Er war zum Spielen bereit und zum Kämpfen, zum Seufzen und zum Lachen, zur Scham und zur Schamlosigkeit; er tat einer Frau nichts, was sie nicht begehrte, nichts, was nicht sie aus ihm hervorlockte. Das war es, was jede Frau von klugen Sinnen rasch in ihm witterte, dies machte ihn zu ihrem Liebling. Er aber lernte. Er lernte nicht nur in kurzer Zeit viele Liebesarten und Liebeskünste und nahm die Erfahrungen von vielen Geliebten in sich auf. Er lernte auch, die Frauen in ihrer Mannigfaltigkeit zu sehen, zu fühlen, zu tasten, zu riechen; er bekam ein zartes Ohr für jede Art von Stimme und lernte bei manchen Frauen schon aus deren Klang unfehlbar ihre Art und den Umfang ihrer Liebesfähigkeit erraten; er betrachtete mit immer neuem Entzücken die unendlich verschiedenen Arten, wie ein Kopf auf einem Halse sitzen, eine Stirn sich vom Haarwuchs sondern, eine Kniescheibe sich bewegen konnte. Er lernte im Dunkeln, mit geschlossenen Augen, mit zart prüfenden Fingern eine Art Frauenhaar von der andern unterscheiden, eine Art von Haut und Flaum von der andern. Er begann zu merken, schon früh, daß vielleicht hierin der Sinn seiner Wanderschaft liege, daß er vielleicht deshalb von einer Frau zur andern getrieben werde, damit er diese Fähigkeit des Kennens und Unterscheidens immer feiner, immer vielfältiger und tiefer erlerne und übe. Vielleicht war das seine Bestimmung: die Frauen und die Liebe auf tausend Arten und in tausend Verschiedenheiten bis zur Vollkommenheit kennenzulernen, so wie manche Musikanten nicht nur ein Instrument zu spielen wissen, sondern drei, vier, viele. Wozu freilich dies gut ist, wohin es führe, wußte er nicht; er spürte nur, daß er auf dem Wege sei. Mochte er für Latein und Logik zwar fähig, aber nicht in besonderer, erstaunlicher, seltener Weise begabt sein – für die Liebe, für das Spiel mit den Frauen war er es, hier lernte er ohne Mühe, hier vergaß er nichts, hier häuften und ordneten die Erfahrungen sich von selbst.

Einst, nachdem er schon ein Jahr oder zwei unterwegs gewesen war, kam Goldmund auf den Hof eines wohlhabenden Ritters mit zwei schönen jungen Töchtern. Es war im Frühherbst, bald würden die Nächte kühl werden, im vergangenen Herbst und Winter hatte er das gekostet, nicht ohne Sorge dachte er an die kommenden Monate, im Winter war die Wanderschaft schwer. Er fragte um Essen und Nachtlager. Man nahm ihn artig auf, und als der Ritter hörte, der Fremde habe studiert und könne Griechisch, ließ er ihn vom Tisch der Dienstboten an den seinen herüberkommen und behandelte ihn beinah wie seinesgleichen. Die beiden Töchter hielten die Augen gesenkt, die Ältere war achtzehn, die Kleine kaum sechzehn Jahre alt, Lydia und Julie.

Andern Tages wollte Goldmund weiter. Es bestand keine Hoffnung für ihn, eines dieser schönen blonden Fräulein gewinnen zu können, und andere Frauen waren nicht da, um derentwillen er hätte bleiben mögen. Da nahm ihn nach dem Morgenessen der Ritter beiseite und führte ihn in eine Kammer, die er sich für besondere Zwecke eingerichtet hatte. Bescheiden sprach der alte Mann zu dem Jüngling von seiner Liebhaberei für Gelehrsamkeit und Bücher, zeigte ihm eine kleine Truhe voll Schriften, die er gesammelt, zeigte ihm ein Schreibepult, das er sich hatte bauen lassen, und einen Vorrat von schönstem Papier und Pergament. Dieser fromme Ritter war, wie Goldmund später allmählich erfuhr, in seiner Jugend auf Schulen gewesen, hatte sich dann aber ganz dem Kriegs- und Weltleben ergeben, bis in schwerer Krankheit eine göttliche Mahnung ihn veranlaßt hatte, als Pilger auszuziehen und seine sündige Jugend zu bereuen. Er war nach Rom und sogar bis nach Konstantinopel gekommen, hatte nach der Heimkehr seinen Vater tot und das Haus leer gefunden, hatte sich da niedergelassen, geheiratet, die Frau verloren, die Töchter auferzogen, und jetzt im Beginn seines Alters hatte er sich hingesetzt und darangemacht, einen ausführlichen Bericht über seine einstige Pilgerreise aufzuschreiben. Er hatte auch mehrere Kapitel zustande gebracht, aber – wie er dem Jüngling gestand – sein Latein war recht mangelhaft und hemmte ihn überall. Er bot nun Goldmund ein neues Kleid und freie Unterkunft an, wenn dieser ihm das bisher Geschriebene korrigieren und ins Reine schreiben sowie bei der Fortsetzung behilflich sein wolle.

Es war Herbst, Goldmund wußte, was das für einen Landfahrer bedeute. Das neue Gewand war ebenfalls wünschenswert. Vor allem aber gefiel dem Jüngling die Aussicht, noch lange Zeit im selben Hause mit den beiden schönen Schwestern zu bleiben. Er sagte ohne Besinnen ja. Schon nach wenigen Tagen mußte die Beschließerin den Tuchschrank öffnen, es fand sich ein schönes braunes Tuch, von dem wurde ein Anzug und eine Mütze für Goldmund m Arbeit gegeben. Der Ritter zwar hatte an Schwarz gedacht und an eine Art Magisterkleid, aber davon wollte sein Gast nichts wissen und wußte es ihm auszureden, und es entstand nun eine hübsche Tracht, halb Page, halb Jäger, die ihm sehr gut zu Gesicht stand.