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»Setz deine Mütze auf«, sagte der Ritter, »ich habe einen Gang mit dir zu tun.«

Goldmund nahm seine Mütze vom Nagel und folgte seinem Herrn die Treppe hinab, über den Hof und zum Tor hinaus. Ihre Sohlen knirschten hell im leicht überfrorenen Schnee, am Himmel war noch Morgenrot. Schweigend ging der Ritter voran, der Jüngling folgte und blickte mehrmals nach dem Hof zurück, nach dem Fenster seiner Kammer, nach dem beschneiten steilen Dach, bis es versank und nichts mehr zu sehen war. Nie würde er dies Dach und diese Fenster wiedersehen, nie mehr die Schreibstube und Schlafkammer, nie mehr die beiden Schwestern. Seit langem war der Gedanke an ein plötzliches Scheiden ihm vertraut, dennoch zog sich sein Herz schmerzlich zusammen. Bitter weh tat ihm dieser Abschied.

Eine Stunde lang gingen sie so, der Herr voran, beide ohne zu sprechen. Goldmund begann an sein Schicksal zu denken. Der Ritter war bewaffnet, vielleicht würde er ihn erschlagen. Er glaubte jedoch nicht daran. Die Gefahr war klein; er brauchte nur davonzulaufen, so stand der alte Mann mit seinem Schwerte hilflos. Nein, sein Leben war nicht in Gefahr. Aber dieses Gehen und Schweigen, hinter dem beleidigten feierlichen Manne her, dies stumme Davongeführtwerden wurde ihm von Schritt zu Schritt peinlicher. Endlich blieb der Ritter stehen.

»Du wirst nun«, sagte er mit geborstener Stimme, »allein weitergehen, immer in dieser Richtung, und wirst dein Wanderleben führen, wie du es gewohnt warst. Solltest du dich jemals wieder in der Nähe meines Hauses zeigen, so wirst du abgeschossen. Ich will keine Rache an dir nehmen; ich hätte klüger sein und einen so jungen Menschen nicht in die Nähe meiner Töchter kommen lassen sollen. Solltest du es aber wagen zurückzukommen, so ist dein Leben verloren. Geh nun, möge dir Gott verzeihen!«

Er blieb stehen, im fahlen Schneemorgenlicht sah sein graubärtiges Gesicht wie erloschen aus. Wie ein Gespenst blieb er stehen und wich nicht von der Stelle, bis Goldmund über den nächsten Hügelkamm verschwunden war. Die rötlichen Schimmer am Wolkenhimmel hatten sich verloren, keine Sonne kam hervor, es begann langsam in dünnen, zögernden Flocken zu schneien.

Neuntes Kapitel

Von manchem Ritt her kannte Goldmund die Gegend; jenseits des gefrorenen Rieds wußte er eine Scheune des Ritters stehen, weiterhin auch einen Bauernhof, wo man ihn kannte; an einem dieser Orte würde er rasten und nächtigen können. Das Weitere mußte sich morgen finden. Allmählich kam wieder das Gefühl der Freiheit und der Fremde über ihn, dessen er sich eine Zeitlang entwöhnt hatte. Sie schmeckte an diesem eisig mürrischen Wintertag nicht lieblich, die Fremde, sie roch sehr nach Mühsal, nach Hunger und Bedrängnis, und doch klang ihre Weite, ihre Größe und harte Unerbittlichkeit seinem verwöhnten und verwirrten Herzen beruhigend und beinahe tröstlich.

Er lief sich müde. Mit dem Reiten ist's nun vorbei, dachte er. O weite Welt! Es fiel wenig Schnee, in der Ferne liefen Waldrücken und Wolken grau ineinander, unendlich lag die Stille, bis ans Ende der Welt. Was war nun wohl mit Lydia, dem armen ängstlichen Herzen? Bitter tat es ihm leid um sie; zärtlich dachte er an sie, während er, mitten im leeren Ried, unter einer alleinstehenden kahlen Esche saß und rastete. Endlich vertrieb ihn die Kälte, mit steifen Beinen stand er auf, brachte sich langsam in einen zügigen Schritt, schon schien das dürftige Licht des trüben Tages wieder abzunehmen. Während des langen Trabens übers leere Gefild vergingen ihm die Gedanken. Es galt jetzt nicht zu denken oder Gefühle zu hegen, seien sie noch so zärtlich, seien sie noch so schön; es galt sich warm zu halten, es galt beizeiten das Nachtlager zu erreichen, es galt sich wie Marder und Fuchs durch diese kalte, unwirtliche Welt zu bringen und womöglich nicht jetzt schon im freien Feld kaputt zu gehen; alles andere war nicht wichtig.

Verwundert blickte er um sich, als er einen fernen Hufschlag zu hören glaubte. War es möglich, daß man ihn verfolgte? Er griff nach dem kleinen Jagdmesser in seiner Tasche und machte die hölzerne Scheide locker. Nun bekam er den Reiter zu Gesicht und erkannte von weitem ein Pferd aus des Ritters Stall, hartnäckig hielt es auf ihn zu. Fliehen wäre unnütz gewesen, er blieb stehen und wartete, ohne eigentliche Furcht, doch sehr gespannt und neugierig, mit beschleunigtem Herzschlag. Heftig zuckte es ihm einen Augenblick durch den Kopf: »Wenn es mir gelänge, diesen Reiter umzubringen, wie gut ginge es mir da; ich hätte ein Roß, und die Welt gehörte mir!« Aber als er den Reiter erkannte, den jungen Stallknecht Hans, mit seinen hellblauen Wasseraugen und dem guten verlegenen Knabengesicht, mußte er lachen; diesen lieben guten Kerl totzuschlagen, dazu hätte ein Herz von Stein gehört. Freundlich begrüßte er den Hans, und zärtlich begrüßte er auch das Pferd Hannibal, das ihn sofort erkannte, und streichelte ihm den warmen feuchten Hals.

»Wo willst denn du hm, Hans?« fragte er.

»Zu dir«, lachte der Bursche mit blanken Zähnen. »Du bist schon ein braves Stück gelaufen! Also aufhalten darf ich mich nicht, ich soll dich bloß grüßen und dir das übergeben.«

»Von wem denn grüßen?«

»Vom Fräulein Lydia. Na, du hast uns da einen sauren Tag eingebrockt, Magister Goldmund, ich bin froh, daß ich mich ein bißchen verziehen konnte. Obwohl der Herr es nicht merken darf, daß ich fort war und Aufträge hatte, es ginge mir schön an den Kragen. Also nimm!«

Er streckte ihm einen kleinen Packen hin, den Goldmund m Empfang nahm.

»Sag, Hans, hast du etwa ein Stück Brot in der Tasche? Dann gib mir's.«

»Brot? Wird sich schon noch eine Kruste finden.« Er bohrte in seinen Taschen und brachte ein Stück Schwarzbrot heraus. Dann wollte er wieder davonreiten.

»Was macht denn das Fräulein?« fragte Goldmund. »Hat sie dir nichts aufgetragen? Hast du kein Brieflein?«

»Nichts. Ich sah sie bloß einen Augenblick. Schlechtes Wetter im Haus, weißt du; der Herr läuft herum wie König Saul. Also ich soll dir das Zeug da abgeben, weiter nichts. Ich muß zurück.«

»Ja, nur noch einen Augenblick! Du, Hans, könntest du mir nicht dein Jagdmesser abtreten? Ich habe bloß ein kleines. Wenn die Wölfe kommen, und so – es wäre schon besser, wenn ich was Rechtes in der Hand hätte.«

Aber davon wollte Hans nichts wissen. Es sollte ihm leid tun, meinte er, wenn dem Magister Goldmund etwas passieren sollte. Aber sein Stoßmesser, nein, das würde er niemals hergeben, auch nicht für Geld, auch nicht im Tausch, o nein, und wenn die heilige Genoveva selber ihn darum bäte. So, und nun müsse er eilen, und er wünsche gute Zeit, und es täte ihm leid.

Sie schüttelten einander die Hände, der Bub ritt davon; mit sonderbar wehem Herzen blickte Goldmund ihm nach. Dann packte er das Zeug auseinander, froh über den guten Riemen aus Kalbleder, mit dem es verschnürt war. Innen fand er ein gestricktes Unterwams aus starker grauer Wolle, offenbar eine Handarbeit, die Lydia gemacht und ihm zugedacht hatte, und in dem Wollzeug steckte, gut eingewickelt, noch etwas Hartes, das war ein Stück Schinken, und in den Schinken war ein kleiner Schlitz geschnitten, in dem steckte ein blanker goldener Dukaten. Geschriebenes war nicht dabei. Mit Lydias Geschenken in den Händen stand er da im Schnee, unentschlossen, dann zog er die Jacke aus und schlüpfte in das Wollzeug, es gab angenehm warm. Schnell zog er sich wieder an, verbarg das Goldstück in der sichersten Tasche, schnallte den Riemen um und lief weiter querfeldein; es war Zeit, einen Rastort zu erreichen, er war sehr müde geworden. Aber zum Bauern mochte er nicht, obwohl es dort wärmer gewesen und wohl auch Milch zu finden gewesen wäre; er mochte nicht schwatzen und ausgefragt werden. In der Scheune übernachtete er, zog früh bei Frost und scharfem Winde weiter, von der Kälte zu großen Märschen getrieben. Viele Nächte träumte er vom Ritter und seinem Schwert und den zwei Schwestern; viele Tage lang drückte ihm Einsamkeit und Schwermut das Herz.