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Nun aber näherten sie sich dem Ziel, und nach einigen Tagen war es erreicht. Kurz ehe Turm und Dächer des Klosters sichtbar wurden, ritten sie über jene steinigen Brachfelder hin, auf denen er, o vor wie langer Zeit, einst Johanniskraut für den Pater Anselm gesucht hatte und von der Zigeunerin Lise zum Mann gemacht worden war. Und nun ritten sie durchs Tor von Mariabronn und stiegen unter dem welschen Kastanienbaum von den Pferden. Zärtlich berührte Goldmund den Stamm und bückte sich nach einer der zersprungenen stacheligen Fruchtschalen, die braun und verwelkt am Boden lagen.

Achtzehntes Kapitel

Goldmund wohnte die ersten Tage im Kloster selbst, in einer der Gastzellen. Dann wurde ihm auf seine Bitte in einem der Wirtschaftsgebäude, die den großen Hof wie einen Marktplatz umstanden, Quartier gemacht, der Schmiede gegenüber.

Mit einem so heftigen Zauber, daß er selbst sich manchmal darüber verwunderte, ergriff ihn das Wiedersehen. Niemand hier kannte ihn außer dem Abt, niemand wußte, wer er sei; die Menschen hier, Brüder sowohl wie Laien, lebten in einer festen Ordnung und waren beschäftigt, sie ließen ihn in Ruhe. Aber es kannten ihn die Bäume des Hofes, es kannten ihn die Portale und Fenster, die Mühle und das Wasserrad, die Fliesen der Gänge, die welken Rosenbüsche im Kreuzgang, die Storchennester auf Kornhaus und Refektorium. Es duftete aus jeder Ecke seine Vergangenheit, seine erste Jugendzeit ihm süß und rührend entgegen, Liebe trieb ihn, alles wiederzuschauen, alle Klänge wiederzuhören, die Vesperglocke und das Sonntagsgeläut, das Rauschen des dunklen Mühlbachs in seinen engen moosigen Mauern, das Schreiten der Sandalen auf den Steinplatten, den abendlichen Klang des Schlüsselbundes, wenn der Bruder Pförtner schließen ging. Neben den steinernen Abflußrinnen, in die vom Dach des Laienrefektoriums das Regenwasser fiel, wucherten noch immer dieselben kleinen Kräuter, Storchschnabel und Wegerich, und der alte Apfelbaum im Garten der Schmiede hielt noch immer seine weitgreifenden Äste gleich gewunden. Stärker aber als alles andere bewegte es ihn jedesmal, wenn die kleine Schulglocke zu hören war und wenn in der Erholungsstunde alle die Klosterschüler die Treppen herab und auf den Hof gepoltert kamen. Wie jung und dumm und hübsch waren ihre Knabengesichter – war wirklich auch er einmal so jung, so täppisch, so hübsch und kindisch gewesen?

Aber außer diesem wohlbekannten Kloster fand er auch ein beinah unbekanntes wieder, schon in den ersten Tagen stach es ihm in die Augen, wurde ihm immer wichtiger und verband sich mit dem Wohlbekannten nur langsam. Denn war auch hier nichts Neues hinzugekommen, stand auch alles gleich, wie es in seiner Schülerzeit und vorher hundert und mehr Jahre gestanden war, so sah er es doch nicht mit den Augen des Schülers. Er sah und fühlte die Maße dieser Bauten, die Gewölbe der Kirche, die alten Malereien, die steinernen und hölzernen Figuren auf den Altären, in den Portalen, und obwohl er nichts sah, was nicht auch damals schon an seinem Ort gewesen wäre, sah er doch jetzt erst die Schönheit dieser Dinge und den Geist, der sie geschaffen hatte. Er sah die alte steinerne Mutter Gottes in der obern Kapelle, auch als Knabe schon hatte er sie gern gehabt und hatte sie abgezeichnet, aber erst jetzt sah er sie mit wachen Augen, und sah, daß sie ein Wunderwerk war, das er auch mit der besten und geglücktesten Arbeit niemals übertreffen konnte. Und solche wunderbare Dinge gab es viele, und jedes stand nicht für sich und war ein Zufall, sondern jedes stammte aus demselben Geist und stand zwischen den alten Mauern, Säulen und Gewölben als in seiner natürlichen Heimat. Was hier in ein paar hundert Jahren gebaut, gemeißelt, gemalt, gelebt, gedacht und gelehrt worden war, das war eines Stammes, eines Geistes, und paßte zusammen wie die Äste eines Baumes zusammenpassen.

Inmitten dieser Welt nun, dieser stillen mächtigen Einheit, fühlte Goldmund sich sehr klein, und nie fühlte er sich kleiner, als wenn er den Abt Johannes, seinen Freund Narziß, in dieser gewaltigen und doch still-freundlichen Ordnung walten und regieren sah. Mochte zwischen dem gelehrten, schmallippigen Abt Johannes und dem einfachen, gütig schlichten Abt Daniel ein noch so großer Unterschied der Personen bestehen, jeder von ihnen diente doch der gleichen Einheit, demselben Gedanken, derselben Ordnung, erhielt durch sie seine Würde, brachte ihr seine Person zum Opfer. Das machte sie einander ebenso ähnlich, wie die Klostertracht es tat.

Inmitten dieses seines Klosters wurde Narziß in Goldmunds Augen unheimlich groß, ohne daß er doch sich gegen ihn anders denn als freundlicher Kamerad und Wirt betragen hätte. Bald wagte er kaum mehr, ihn du und »Narziß« zu nennen.

»Höre, Abt Johannes«, sagte er einmal zu ihm, »allmählich werde ich mich doch wohl an deinen neuen Namen gewöhnen müssen. Ich muß dir sagen, daß es mir bei euch sehr wohl gefällt. Beinah hätte ich Lust, dir eine Generalbeichte abzulegen und nach getaner Buße um die Aufnahme als Laienbruder zu bitten. Aber sieh, dann würde unsere Freundschaft zu Ende sein; du wärest der Abt und ich der Laienbruder. Aber so neben dir hinzuleben und deine Arbeit zu sehen und selber nichts zu sein und zu leisten, das ertrage ich nicht länger. Auch ich möchte gern arbeiten und dir zeigen, was ich bin und kann, damit du sehen kannst, ob es sich gelohnt hat, mich vom Galgen loszubitten.«

»Ich freue mich darüber«, sagte Narziß und sprach seine Worte noch präziser und formulierter als sonst. »Du kannst zu jeder Stunde beginnen, dir deine Werkstatt einzurichten, sofort werde ich den Schmied und den Zimmermann anweisen, zu deiner Verfügung zu sein. Was an Arbeitsmaterial hier am Ort aufzutreiben ist, darüber verfüge! Was von auswärts bestellt werden muß, durch Fuhrleute, darüber fertige eine Liste an. Und nun höre, wie ich über dich denke und über deine Absichten! Du mußt mir etwas Zeit lassen mich auszudrücken: ich bin Gelehrter und möchte versuchen, dir die Sache aus meiner Denkwelt heraus darzustellen, ich habe keine andere Sprache als diese. Also folge mir noch einmal, wie du es in früheren Jahren oft so geduldig getan hast.«

»Ich versuche dir zu folgen. Sprich nur.« »Erinnere dich daran, wie ich dir schon in unsern Schüler-Zeiten manchmal sagte, daß ich dich für einen Künstler halte. Damals schien mir, es könnte ein Dichter aus dir werden; du hattest beim Lesen und Schreiben eine gewisse Abneigung gegen das Begriffliche und Abstrakte und liebtest in der Sprache die Worte und Klänge besonders, denen sinnlich-dichterische Qualitäten eigen waren, also die Worte, bei welchen man sich etwas vorstellen kann.«