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Nachdenklich sagte er einmaclass="underline" »Ich lerne viel von dir, Goldmund. Ich beginne zu verstehen, was Kunst ist. Früher schien mir, sie sei, mit dem Denken und der Wissenschaft verglichen, nicht ganz ernst zu nehmen. Ich dachte etwa so: da nun einmal der Mensch eine zweifelhafte Mischung aus Geist und Materie ist, da ihm der Geist die Erkenntnis des Ewigen öffnet, die Materie aber ihn hinabzieht und ans Vergängliche fesselt, sollte er von den Sinnen weg ins Geistige streben, um sein Leben zu erhöhen und ihm Sinn zu geben. Ich gab zwar vor, die Kunst hochzuachten, aus Gewohnheit, aber eigentlich war ich hochmütig und sah auf sie herab. Jetzt erst sehe ich, wie viele Wege zur Erkenntnis es gibt und daß der Weg des Geistes nicht der einzige und vielleicht nicht der beste ist. Es ist mein Weg, gewiß; ich werde auf ihm bleiben. Aber ich sehe dich auf dem entgegengesetzten Weg, auf dem Weg durch die Sinne, das Geheimnis des Seins ebenso tief erfassen und viel lebendiger ausdrücken, als die meisten Denker es können.«

»Du begreifst nun«, sagte Goldmund, »daß ich nicht verstehen kann, was Denken ohne Vorstellungen sein soll?«

»Ich habe es längst begriffen. Unser Denken ist ein beständiges Abstrahieren, ein Wegsehen vom Sinnlichen, ein Versuch am Bau einer rein geistigen Welt. Du aber nimmst gerade das Unbeständigste und Sterblichste ans Herz und verkündest den Sinn der Welt gerade im Vergänglichen. Du siehst nicht davon weg, du gibst dich ihm hin, und durch deine Hingabe wird es zum Höchsten, zum Gleichnis des Ewigen. Wir Denker suchen uns Gott zu nähern, indem wir die Welt von ihm abziehen. Du näherst dich ihm, indem du seine Schöpfung liebst und nochmals erschaffst. Beides ist Menschenwerk und unzulänglich, aber die Kunst ist unschuldiger.«

»Ich weiß nicht, Narziß. Aber mit dem Leben fertig zu werden, die Verzweiflung abzuwehren, das scheint euch Denkern und Theologen doch besser zu gelingen. Ich beneide dich längst nicht mehr um deine Wissenschaft, mein Freund, aber ich beneide dich um deine Ruhe, um deinen Gleichmut, um deinen Frieden.«

»Du solltest mich nicht beneiden, Goldmund. Es gibt keinen Frieden, so, wie du es meinst. Es gibt den Frieden, gewiß, aber nicht einen, der dauernd in uns wohnt und uns nicht mehr verläßt. Es gibt nur einen Frieden, der immer und immer wieder mit unablässigem Kämpfen erstritten wird und von Tag zu Tag neu erstritten werden muß. Du siehst mich nicht streiten, du kennst weder meine Kämpfe beim Studium, noch kennst du meine Kämpfe in der Betzelle. Es ist gut, daß du sie nicht kennst. Du siehst nur, daß ich weniger als du Launen unterworfen bin, das hältst du für Frieden. Es ist aber Kampf, es ist Kampf und Opfer wie jedes rechte Leben, wie das deine auch.«

»Wir wollen darüber nicht streiten. Auch du siehst meine Kämpfe nicht alle. Und ich weiß nicht, ob du verstehen kannst, wie mir ums Herz ist, wenn ich daran denke, daß nun bald dieses Werk hier fertig sein wird. Es wird dann fortgebracht und aufgestellt, und man sagt mir einige Lobsprüche, und dann kehre ich in eine nackte leere Werkstatt zurück, betrübt über alles das, was in meinem Werk mir nicht gelungen ist und was ihr andern gar nicht sehen könnt, und ich bin im Innern so leer und beraubt, wie die Werkstatt es ist.«

»Das mag so sein«, sagte Narziß, »und keiner von uns kann den andern darin ganz verstehen. Gemeinsam aber ist allen Menschen, die des guten Willens sind, dieses: daß unsere Werke uns am Ende beschämen, daß wir immer wieder von vorn beginnen müssen, daß das Opfer immer neu gebracht werden muß.«

Einige Wochen später war Goldmunds große Arbeit fertig und aufgestellt. Es wiederholte sich, was er schon längst erlebt hatte: sein Werk ging in den Besitz der andern über, ward betrachtet, beurteilt, gelobt, man rühmte ihn und erwies ihm Ehre; sein Herz aber und seine Werkstatt standen leer, und er wußte nicht mehr, ob das Werk des Opfers wert gewesen sei. Am Tag der Enthüllung war er bei den Patres zur Tafel geladen, es gab ein Festmahl und den ältesten Wein des Hauses; Goldmund schluckte den guten Fisch und das Wildbret, und mehr als der alte Wein erwärmte ihn die Teilnahme und Freude, mit welcher Narziß sein Werk und seine Ehrung begrüßte.

Eine neue Arbeit, vom Abt gewünscht und bestellt, war schon entworfen, ein Altar für die Marienkapelle in Neuzell, die dem Kloster gehörte und in der ein Mariabronner Pater als Priester amtete. Für diesen Altar wollte Goldmund eine Marienfigur machen und wollte in ihr eine der unvergeßlichen Gestalten seiner Jugend verewigen, die schöne ängstliche Ritterstochter Lydia. Im übrigen war dieser Auftrag ihm wenig wichtig, er schien ihm aber dazu geeignet, daß Erich sein Gesellenstück an ihm mache. Bewährte sich Erich, so würde er an ihm für immer einen guten Mitarbeiter haben, der ihn ersetzen konnte und ihn für jene Arbeiten freimachte, die allein ihm noch am Herzen lagen. Jetzt suchte er mit Erich die Hölzer für den Altar aus und ließ ihn sie herrichten. Oft ließ Goldmund ihn allein, er hatte das Streifen und die weiten Waldgänge wieder angefangen; als er einmal mehrere Tage ausblieb, meldete Erich es dem Abt, und auch der Abt fürchtete ein wenig, er möchte sich für immer davongemacht haben. Er kam indessen zurück, arbeitete eine Woche lang an der Lydiafigur, dann fing er wieder an zu schweifen.

Er hatte Sorgen; seit dem Fertigwerden der großen Arbeit war sein Leben in Unordnung, er versäumte die Frühmesse, er war tief unruhig und unzufrieden. Viel dachte er jetzt an den Meister Niklaus und ob nicht bald auch er selbst so werden würde, wie Niklaus war, fleißig und bieder und kunstfertig, aber unfrei und unjung. Kürzlich hatte ein kleines Erlebnis ihn nachdenklich gemacht. Auf seinen Streifen hatte er ein junges Bauernmädchen namens Franziska gefunden, die ihm sehr gefiel, so daß er sich Mühe gab, sie zu bezaubern,und alle seine einstigen Werbekünste anwandte. Das Mädchen hörte sein Geplauder gern, sie lachte beglückt zu seinen Witzen, aber seine Werbungen lehnte sie ab, und zum erstenmal spürte er, daß er einem jungen Weibe alt erscheine. Er war nicht mehr hingegangen, aber er hatte es nicht vergessen. Franziska hatte recht, er war anders geworden, er fühlte es selbst, und zwar waren es nicht die paar verfrühten grauen Haare und die paar Falten um die Augen, es war mehr etwas im Wesen, im Gemüt; er fand sich alt, er fand sich dem Meister Niklaus unheimlich ähnlich geworden. Mit Unwillen beobachtete er sich selber und zuckte die Achseln über sich; er war unfrei und seßhaft geworden, er war kein Adler und kein Hase mehr, er war ein Haustier geworden. Trieb er sich draußen herum, so suchte er den Duft der Vergangenheit, das Gedächtnis seiner einstigen Wanderschaft mehr als neue Wanderung und neue Freiheit, er suchte sehnlich und mißtrauisch danach wie ein Hund nach einer verlorengegangenen Witterung. Und war er einen Tag oder zwei draußen gewesen, hatte er ein wenig gebummelt und gefeiert, so zog es ihn unweigerlich wieder zurück, er hatte ein schlechtes Gewissen, er fühlte die Werkstatt warten, er fühlte sich für den begonnenen Altar, für das vorbereitete Holz, für den Gehilfen Erich verantwortlich. Er war nicht mehr frei, er war nicht mehr jung. Fest nahm er sich vor: wenn die Lydia-Maria fertig wäre, wollte er eine Reise antreten und es noch einmal mit dem Wanderleben probieren. Es war nicht gut, so lange in einem Kloster und bei lauter Männern zu leben. Für Mönche mochte es gut sein, für ihn aber nicht. Mit Männern konnte man schön und klug sprechen, und sie hatten Verstand für die Arbeit eines Künstlers, aber alles andere, das Schwatzen, das Zärtlichsein, das Spiel, die Liebe, das Behagen ohne Gedanken – das gedieh unter Männern nicht, dazu brauchte es Frauen und Wanderung und Schweifen und immer neue Bilder. Es war alles hier um ihn her ein wenig grau und ernsthaft, ein wenig schwer und männlich, und er war davon angesteckt, es war ihm ins Blut gekrochen.