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Der Gedanke an die Reise tröstete ihn; er hielt sich brav zur Arbeit, um desto eher frei zu werden. Und wie ihm aus dem Holz die Gestalt Lydias allmählich entgegenkam, wie er von ihren edlen Knien die strengen Kleidfalten niederstreben ließ, entzückte ihn eine innige und schmerzliche Freude, eine wehmütige Verliebtheit in das Bild, in die schöne scheue Mädchenfigur, in die Erinnerung an damals, an seine erste Liebe, an seine ersten Reisen, an seine Jugend. Andächtig arbeitete er an dem zarten Bilde, fühlte es eins mit dem Besten in sich, mit seiner Jugend, mit seinen zärtlichen Erinnerungen. Es war ein Glück, ihren geneigten Hals zu bilden, ihren freundlich-traurigen Mund, ihre vornehmen Hände, die langen Finger, die schön gewölbten Kuppen der Fingernägel. Mit Bewunderung und ehrfürchtiger Verliebtheit betrachtete auch Erich die Figur, so oft er konnte.

Als sie nahezu fertig war, zeigte er sie dem Abt. Narziß sagte: »Das ist dein schönstes Werk, Lieber, wir haben nichts im ganzen Kloster, was ihm gleichkommt. Ich muß dir gestehen, daß ich in diesen letzten Monaten einige Male um dich in Sorge gewesen bin. Ich sah dich unruhig und leidend, und wenn du verschwandest und länger als einen Tag ausbliebest, dachte ich manchmal mit Sorge: vielleicht kommt er nicht wieder. Und nun hast du diese wundervolle Figur gemacht! Ich bin froh über dich und bin stolz auf dich!«

»Ja«, sagte Goldmund, »die Figur ist ganz gut geworden. Aber nun höre mich, Narziß! Daß diese Figur gut geworden ist, dazu war meine ganze Jugend nötig, meine Wanderschaft, meine Verliebtheit, mein Werben um viele Frauen. Das ist der Brunnen, aus dem ich geschöpft habe. Der Brunnen wird bald leer sein, es wird mir dürr im Herzen. Ich werde diese Maria fertigmachen, dann aber werde ich für eine gute Weile Urlaub nehmen, ich weiß nicht, für wie lange, und werde meine Jugend und alles dies wieder aufsuchen, was mir einst so lieb gewesen ist. Kannst du es verstehen? – Nun ja. Du weißt, ich war dein Gast, und ich habe für meine Arbeit hier nie eine Bezahlung genommen …«

»Ich habe sie dir oft angeboten«, warf Narziß ein.

»Ja, und jetzt nehme ich sie an. Ich werde mir neue Kleider machen lassen, und wenn sie fertig sind, bitte ich dich um ein Pferd und um ein paar Taler Geld, dann reite ich in die Welt. Sage nichts, Narziß, und sei nicht betrübt. Es ist nicht, daß es mir hier nicht mehr gefallen würde, ich könnte es nirgends besser haben. Es geht um anderes. Wirst du mir meinen Wunsch erfüllen?«

Es wurde wenig mehr darüber gesprochen. Goldmund ließ sich ein einfaches Reiterkleid und Stiefel machen, und während der Sommer näher kam, machte er die Maria fertig, als sei es sein letztes Werk, mit liebender Behutsamkeit gab er den Händen, dem Gesicht, dem Haar die letzte Vollendung. Es konnte sogar so scheinen, als zögere er die Abreise hinaus, als lasse er sich recht gerne von diesen letzten zarten Arbeiten an der Figur immer wieder ein wenig aufhalten. Tag um Tag verging, und er hatte noch immer dies und jenes anzuordnen. Narziß, obwohl er den bevorstehenden Abschied schwer empfand, lächelte manchmal ein wenig über die Verliebtheit Goldmunds und sein Nichtloskommenkönnen von der Marienfigur.

Dann aber überraschte ihn Goldmund doch eines Tages, indem er plötzlich kam, um sich zu verabschieden. Über Nacht hatte er seinen Entschluß gefaßt. Im neuen Kleide, in einem neuen Barett, kam er zu Narziß, um Abschied zu nehmen. Er hatte schon vor einer Weile gebeichtet und kommuniziert. Jetzt kam er, um Lebewohl zu sagen und sich den Reisesegen zu holen. Beiden fiel der Abschied schwer, und Goldmund tat forscher und gleichmütiger, als ihm ums Herz war.

»Werde ich dich denn wiedersehen?« fragte Narziß.

»O ja, wenn dein hübscher Gaul mir den Hals nicht bricht, wirst du mich gewiß wiedersehen. Es wäre ja sonst niemand da, der dich noch Narziß nennt und dir Sorgen macht. Verlaß dich drauf. Vergiß nicht, ein Auge auf Erich zu haben. Und daß niemand mir meine Figur anrührt! Sie bleibt in meiner Kammer stehen, wie ich gesagt habe, und du darfst mir den Schlüssel nicht aus der Hand geben.«

»Freust du dich auf die Reise?«

Goldmund zwinkerte mit den Augen.

»Na, ich habe mich darauf gefreut, das ist schon so. Aber jetzt, wo ich losreiten soll, kommt es mir doch weniger lustig vor, als man meinen sollte. Du wirst mich auslachen, aber ich trenne mich gar nicht leicht, und diese Anhänglichkeit gefällt mir nicht. Es ist wie eine Krankheit, junge und gesunde Leute haben das nicht. Der Meister Niklaus war auch so. Ach, schwatzen wir nicht unnützes Zeug! Segne mich, Lieber, ich will abreisen.«

Er ritt davon.

Narziß war in seinen Gedanken viel mit dem Freunde beschäftigt, er sorgte um ihn und hatte Sehnsucht nach ihm. Würde er ihm denn zurückkommen, der entflohene Vogel, der liebe Leichtfuß? Nun zog dieser wunderliche und geliebte Mensch wieder seine krause, willenlose Bahn, nun strich er wieder lüstern und neugierig durch die Welt, seinen starken dunklen Trieben nach, stürmisch und unersättlich, ein großes Kind. Möge Gott mit ihm sein, möge er heil zurückkommen. Nun flog er wieder kreuz und quer, der Schmetterling, nun sündigte er wieder, verführte Frauen, ging seinen Gelüsten nach, geriet vielleicht wieder in Totschlag, in Gefahr und Gefangenschaft und kam darin um. Wieviel Sorgen machte einem dieser blonde Knabe, der über sein Altwerden klagte und aus solchen Kinderaugen blickte! Wie mußte man um ihn in Angst sein. Und doch freute sich Narziß von Herzen über ihn. Es gefiel ihm im Grunde sehr, daß dieses trotzige Kind so schwer zu bändigen war, daß er solche Launen hatte, daß er nun wieder ausgebrochen war und sich die Hörner ablief.

Jeden Tag kehrten die Gedanken des Abts zu irgendeiner Stunde zu seinem Freunde zurück, in Liebe und Sehnsucht, in Dankbarkeit, in Sorge, zuweilen auch mit Bedenken und Selbstvorwürfen. Hätte er dem Freunde nicht vielleicht mehr davon verraten sollen, wie sehr er ihn liebte, wie wenig er ihn anders wünschte, wie reich er durch ihn und durch seine Kunst geworden war? Er hatte ihm wenig davon gesagt, viel zu wenig vielleicht – wer weiß, ob er ihn nicht hätte halten können?

Er war durch Goldmund aber nicht nur reicher geworden. Er war durch ihn auch ärmer geworden, ärmer und schwächer, und es war gewiß gut, daß er das dem Freunde nicht gezeigt hatte. Die Welt, in der er lebte und Heimat hatte, seine Welt, sein Klosterleben, sein Amt, seine Gelehrsamkeit, sein schön gegliedertes Gedankengebäude waren ihm durch den Freund oft stark erschüttert und zweifelhaft geworden. Kein Zweifeclass="underline" vom Kloster aus, von der Vernunft und Moral aus gesehen war sein eigenes Leben besser, es war richtiger, steter, geordneter und vorbildlicher, es war ein Leben der Ordnung und des strengen Dienstes, ein dauerndes Opfer, ein immer neues Streben nach Klarheit und Gerechtigkeit, es war sehr viel reiner und besser als das Leben eines Künstlers, Vagabunden und Weiberverführers. Aber von oben gesehen, von Gott aus gesehen – war da wirklich die Ordnung und Zucht eines exemplarischen Lebens, der Verzicht auf Welt und Sinnenglück, das Fernbleiben von Schmutz und Blut, die Zurückgezogenheit in Philosophie und Andacht besser als das Leben Goldmunds? War der Mensch wirklich dazu geschaffen, ein geregeltes Leben zu führen, dessen Stunden und Verrichtungen die Betglocken anzeigten? War der Mensch wirklich dazu geschaffen, den Aristoteles und Thomas von Aquin zu studieren, Griechisch zu können, seine Sinne abzutöten und der Welt zu entfliehen? War er nicht von Gott geschaffen mit Sinnen und Trieben, mit blutigen Dunkelheiten, mit der Fähigkeit zur Sünde, zur Lust, zur Verzweiflung? Um diese Fragen kreisten des Abts Gedanken, wenn sie bei seinem Freunde weilten.