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»Weißt du schon?« fragte er ihn.

»Wegen Goldmund? Ja, gnädiger Vater, ich habe soeben gehört, er sei krank oder verunglückt, man habe ihn getragen gebracht.«

»Ja, ich fand ihn im Kreuzgang liegen, wo er ja eigentlich nichts zu suchen hat. Er ist nicht verunglückt, er ist ohnmächtig. Es gefällt mir nicht. Es scheint mir, dass du mit der Sache zu tun haben[39] müssest, oder doch etwas darüber wissen, er ist ja dein Intimus[40]. Darum rief ich dich. Sprich.«

Narziss, wie immer mit beherrschter Haltung und Sprache, gab einen kurzen Bericht über sein heutiges Gespräch mit Goldmund, und wie überraschend heftig es auf diesen gewirkt habe. Der Abt schüttelte den Kopf, nicht ohne Unmut.

»Merkwürdige Gespräche sind das«, sagte er und zwang sich zur Ruhe. »Was du mir da geschildert hast, ist ein Gespräch, das man einen Eingriff in eine fremde Seele nennen könnte, es ist, möchte ich sagen, ein seelsorgerliches Gespräch. Du bist aber nicht Goldmunds Seelsorger. Du bist überhaupt nicht Seelsorger, du hast die Weihen noch nicht. Wie kommt es, dass du mit einem Schüler im Ton des Beraters über Dinge sprichst, die bloß den Seelsorger angehen? Die Folgen, wie du siehst, sind üble gewesen.«

»Die Folgen«, sagte Narziss mit sanftem Ton, aber bestimmt, »kennen wir noch nicht, gnädiger Vater. Ich war etwas erschreckt über die heftige Wirkung, aber ich zweifle nicht daran, dass die Folgen unseres Gesprächs gute für Goldmund sein werden.«

»Wir werden die Folgen sehen. Ich rede jetzt nicht von ihnen, sondern von deinem Tun. Was hat dich veranlasst, solche Gespräche mit Goldmund zu führen?«

»Wie Ihr wisst, ist er mein Freund. Ich habe zu ihm eine besondere Zuneigung, und ich glaube ihn besonders gut zu verstehen. Ihr nennt mein Verhalten gegen ihn seelsorgerlich. Ich habe mir keinerlei geistliche Autorität angemaßt, nur glaubte ich ihn etwas besser zu kennen, als er selbst sich kennt.«

Der Abt zuckte die Achseln.

»Ich weiß, dies ist deine Spezialität. Hoffen wir, dass du damit nichts Schlimmes angerichtet hast. – Ist Goldmund denn krank? Ich meine, fehlt ihm irgend etwas? Ist er schwächlich? Schläft er schlecht? Isst er nichts? Hat er irgendwelche Schmerzen?«

»Nein, bis heute war er gesund. Am Leibe gesund.«

»Und sonst?«

»An der Seele ist er allerdings krank. Ihr wisst, er ist im Alter, wo die Kämpfe mit dem Geschlechtstrieb beginnen.«

»Ich weiß. Er ist siebzehn?«

»Er ist achtzehn.«

»Achtzehn. Nun ja. Spät genug. Aber diese Kämpfe sind ja etwas Natürliches, was jeder durchmachen muss. Darum kann man ihn doch nicht krank an der Seele nennen.«

»Nein, gnädiger Vater, darum allein nicht. Aber Goldmund war schon vorher seelenkrank, schon lange, darum sind diese Kämpfe für ihn gefährlicher als für andere. Er leidet, wie ich glaube, daran, dass er einen Teil seiner Vergangenheit vergessen hat.«

»So? Was ist das für ein Teil?«

»Es ist seine Mutter und alles, was mit ihr zusammenhängt. Auch ich weiß darüber nichts, ich weiß nur, dass dort die Quelle seiner Krankheit liegen muss. Goldmund nämlich weiß angeblich nichts von seiner Mutter, als dass er sie früh verloren hat. Es macht aber den Eindruck, als schäme er sich ihrer. Und doch muss sie es sein, von der er die meisten seiner Gaben geerbt hat; denn was er über seinen Vater zu sagen hat, lässt diesen Vater nicht als den Mann erscheinen, der einen so hübschen, vielbegabten und eigenartigen Sohn hat. Ich weiß dies alles nicht aus Berichten, ich schließe es aus Anzeichen.«

Der Abt, der anfangs diese Reden als altklug und überheblich in sich etwas belächelt hatte und dem die ganze Sache lästig und bemühend war, begann nachzudenken. Er erinnerte sich an Goldmunds Vater, an jenen etwas geschraubten und unvertraulichen Mann, und erinnerte sich jetzt auch, da er danach suchte, plötzlich wieder einiger Worte, die er damals über Goldmunds Mutter zu ihm geäußert hatte. Sie habe ihm Schande gemacht und sei ihm davongelaufen, hatte er gesagt, und er habe sich Mühe gegeben, in dem Söhnchen die Erinnerung an die Mutter und die etwaigen von ihr vererbten Laster zu unterdrücken. Dies sei auch wohl gelungen, und der Knabe sei willens, zur Sühnung dessen, was die Mutter gefehlt, sein Leben Gott darzubringen.

Nie hatte Narzss dem Abt so wenig gefallen wie heute. Und dennoch – wie gut hatte dieser Grübler geraten, wie gut schien er in der Tat Goldmund zu kennen!

Zum Schlusse nochmals über die heutigen Vorgänge befragt, sagte Narziss: »Die heftige Erschütterung, in welche Goldmund heute geraten ist, war nicht von mir beabsichtigt. Ich habe ihn daran erinnert, dass er sich selbst nicht kennt, dass er seine Kindheit vergessen hat und seine Mutter. Irgendeines meiner Worte muss ihn getroffen haben und in das Dunkel gedrungen sein, gegen das ich schon so lange kämpfe. Er war wie entgeistert, er sah mich an, als kenne er mich und sich selbst nicht mehr. Ich habe ihm oft gesagt, er schlafe, er sei nicht richtig wach. Jetzt ist er geweckt worden, daran zweifle ich nicht.«

Er wurde entlassen, ohne Rüge, doch mit dem vorläufigen Verbot, den Kranken aufzusuchen.

Inzwischen hatte Pater Anselm den Ohnmächtigen auf ein Bett legen lassen und saß bei ihm. Ihn durch gewaltsame Mittel ins Bewusstsein zurückzuschrecken, schien ihm nicht geraten. Der Junge sah allzu schlecht aus. Wohlwollend blickte der alte Mann aus dem faltigen guten Gesicht auf den Jüngling. Vorläufig untersuchte er den Puls und horchte am Herzen. Gewiss, dachte er, hatte der Bursche irgend etwas Unmögliches gegessen, einen Haufen Sauerklee oder sonst etwas Dummes, man kannte das ja. Die Zunge konnte er nicht sehen. Er mochte Goldmund gern, aber seinen Freund, diesen frühreifen allzu jungen Lehrer, konnte er nicht leiden. Da hatte man es nun. Sicher war Narziss an dieser dummen Geschichte mitschuldig. Was brauchte auch so ein frischer, helläugiger Junge, so ein liebes Naturkind sich ausgerechnet mit diesem hochmütigen Gelehrten einzulassen, mit diesem eitlen Grammatiker, dem sein Griechisch wichtiger war als alles Lebendige auf der Welt!

Als nach langer Zeit die Tür sich öffnete und der Abt hereinkam, saß der Pater noch immer und starrte in das Gesicht des Ohnmächtigen. Was war das für ein liebes junges, argloses Gesicht, und da saß man nun daneben, sollte helfen und würde es wahrscheinlich nicht können. Gewss, die Ursache konnte eine Kolik sein, er würde Glühwein verordnen, vielleicht Rhabarber. Aber je länger er in das grünbleiche, verzogene Gesicht blickte, desto mehr neigte sich sein Verdacht nach einer anderen Seite, einer bedenklicheren. Pater Anselm hatte Erfahrung. Mehrmals im Laufe seines langen Lebens hatte er Besessene gesehen. Er zögerte damit, den Verdacht auch nur vor sich selbst auszusprechen. Er würde warten und beobachten. Aber, dachte er grimmig, wenn dieser arme Junge wirklich verhext worden war, so würde man den Schuldigen wohl nicht weit zu suchen haben, und es sollte ihm nicht gut gehen.

Der Abt trat näher, sah sich den Kranken an, hob ihm sachte ein Augenlid etwas in die Höhe.

»Kann man ihn erwecken?« fragte er.

»Ich möchte noch warten. Das Herz ist gesund. Wir dürfen niemand zu ihm lassen.«

»Ist Gefahr?«

»Ich glaube nicht. Nirgends Verletzungen, keine Spuren von Schlag oder Sturz. Er ist ohnmächtig, vielleicht war es eine Kolik. Bei sehr starken Schmerzen verliert man das Bewusstsein. Wenn es eine Vergiftung wäre, käme Fieber. Nein, er wird wieder aufwachen und am Leben bleiben.«

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39

mit der Sache zu tun haben – быть причастным (к делу)

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40

Intimus m – (лат.) близкий друг