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»Nein, Goldmund, ich bin nicht deinesgleichen, nicht so wie du glaubst. Wohl halte auch ich ein ungesprochenes Gelübde, darin hast du recht. Aber deinesgleichen bin ich keineswegs. Ich sage dir heut ein Wort, an das wirst du einmal denken. Ich sage dir: unsere Freundschaft hat überhaupt kein anderes Ziel und keinen anderen Sinn, als dir zu zeigen, wie vollkommen ungleich du mir bist!«

Betroffen blieb Goldmund stehen; Narziß hatte mit dem Blick und Ton gesprochen, dem nicht zu widerstehen war. Er schwieg. Aber warum sagte Narziß solche Worte? Warum sollte Narzissens ungesprochenes Gelübde heiliger sein als seines? Nahm er ihn überhaupt nicht ernst, sah er bloß ein Kind in ihm? Die Verwirrungen und Traurigkeiten dieser sonderbaren Freundschaft begannen von neuem.

Narziß war nicht mehr im Zweifel über die Natur von Goldmunds Geheimnis. Es war Eva, es war die Urmutter, die dahinterstand. Wie aber war es möglich, daß in einem so schönen, so gesunden, so blühenden Jüngling das erwachende Geschlecht auf so erbitterte Feindschaft stieß? Es mußte ein Dämon am Werke gewesen sein, ein heimlicher Feind, dem es gelungen war, diesen herrlichen Menschen in sich zu spalten und mit seinen Urtrieben zu entzweien. Gut, der Dämon mußte gefunden, mußte beschworen und sichtbar gemacht werden, dann war er zu besiegen.

Inzwischen war Goldmund von den Kameraden mehr und mehr gemieden und im Stich gelassen worden, vielmehr sie fühlten sich von ihm im Stich gelassen und gewissermaßen verraten. Niemand sah seine Freundschaft mit Narziß gerne. Die Hämischen brachten sie als naturwidrig in Verruf, namentlich jene, welche selbst in einen der beiden Jünglinge verliebt gewesen waren. Aber auch die andern, denen es einleuchtete, daß hier kein Laster zu beargwöhnen sei, schüttelten die Köpfe. Niemand gönnte diese beiden Menschen einander; durch ihren Zusammenschluß hatten sie, so schien es, sich hochmütig als Aristokraten von den andern abgesondert, die ihnen nicht gut genug waren; das war nicht kollegial, war nicht klösterlich, war nicht christlich.

Dem Abt Daniel kam manches über die beiden zu Ohren, Gerüchte, Anklagen, Verleumdungen. Viele Jünglingsfreundschaften hatte er in mehr als vierzig Jahren Klosterlebens mit angesehen, sie gehörten ins Bild des Klosters, sie waren eine hübsche Zugabe, waren zuweilen ein Spaß, waren zuweilen eine Gefahr. Er hielt sich zurück, er hielt die Augen offen, ohne sich einzumischen. Eine Freundschaft von solcher Heftigkeit und Ausschließlichkeit war etwas Seltenes, sie war ohne Zweifel etwas nicht Ungefährliches; aber da er an ihrer Reinheit keinen Augenblick zweifelte, ließ er der Sache ihren Lauf. Wäre Narziß nicht in einer Ausnahmestellung zwischen Schülern und Lehrern gewesen, so hätte der Abt nicht gezögert, einige trennende Verordnungen zwischen die beiden zu legen. Es war für Goldmund nicht gut, daß er sich von den Mitschülern zurückzog und einzig mit einem Älteren, einem Lehrer, nahen Umgang pflegte. Aber durfte man Narziß, den Ungewöhnlichen, Hochbegabten, den von allen Lehrern als geistig ihresgleichen, ja als überlegen Betrachteten, in seiner bevorzugten Laufbahn stören und der Lehrtätigkeit wieder entheben? Hätte Narziß sich als Lehrer nicht bewährt, hätte seine Freundschaft ihn zu Nachlässigkeit und Parteilichkeit verführt, er hätte ihn sofort abberufen. Aber es lag nichts gegen ihn vor, nichts als Gerüchte, nichts als eifersüchtiges Mißtrauen der andern. Außerdem wußte der Abt von Narzissens besonderen Gaben, von seiner merkwürdig eindringenden, vielleicht etwas anmaßenden Menschenkenntnis. Er überschätzte solche Gaben nicht, andere Gaben wären ihm an Narziß willkommener gewesen; aber er zweifelte nicht, daß Narziß an dem Schüler Goldmund Besonderes wahrgenommen habe und ihn weit besser kenne, als er oder irgendein anderer ihn kannte. Ihm selbst, dem Abt, war an Goldmund außer der gewinnenden Anmut seines Wesens nichts anderes aufgefallen als ein gewisser verfrühter, sogar etwas altkluger Eifer, mit dem er schon jetzt, als bloßer Schüler und Gast, sich im Kloster als zugehörig und schon beinahe als Mitbruder zu fühlen schien. Daß Narziß diesen rührenden, aber unreifen Eifer begünstigen und noch mehr anstacheln werde, glaubte er nicht befürchten zu müssen. Zu fürchten für Goldmund war eher, daß sein Freund ihn mit einem gewissen Geistdünkel und gelehrten Hochmut anstecken werde; aber die Gefahr schien ihm gerade für diesen Schüler nicht groß zu sein; man konnte es darauf ankommen lassen. Wenn er daran dachte, wieviel einfacher, friedlicher und bequemer es für einen Vorsteher sei, Durchschnittsmenschen statt großer und starker Naturen zu regieren, so mußte er zugleich seufzen und lächeln. Nein, er wollte sich nicht vom Mißtrauen anstecken lassen, er wollte nicht undankbar dafür sein, daß ihm zwei Ausnahmemenschen anvertraut waren.

Narziß dachte viel über seinen Freund nach. Sein besonderes Vermögen, die Artung und Bestimmung der Menschen zu schauen und fühlend zu erkennen, hatte ihm über Goldmund längst Bescheid gesagt. Alles Lebendige und Strahlende an diesem Jüngling sprach so deutlich: er trug alle Zeichen eines starken, in den Sinnen und der Seele reich begabten Menschen, eines Künstlers vielleicht, jedenfalls aber eines Menschen von großer Liebeskraft, dessen Bestimmung und Glück darin bestand, entzündbar zu sein und sich hingeben zu können. Warum war nun dieser Liebesmensch, dieser Mensch mit den feinen, reichen Sinnen, der einen Blumenduft, eine Morgensonne, ein Pferd, einen Vogelflug, eine Musik so tief erleben und lieben konnte, warum nur war er darauf versessen, ein Geistmensch und Asket zu sein? Viel grübelte Narziß, darüber nach. Er wußte, daß Goldmunds Vater diese Versessenheit begünstigt hatte. Aber konnte er sie hervorgebracht haben? Mit welchem Zauber hatte er den Sohn verhext, daß er an eine solche Bestimmung und Pflicht glaubte? Was für ein Mensch mochte dieser Vater sein? Obwohl er absichtlich sehr oft die Rede auf ihn gebracht und Goldmund nicht wenig von ihm gesprochen hatte, konnte Narziß sich doch diesen Vater nicht vorstellen, er konnte ihn nicht sehen. War das nicht merkwürdig und verdächtig? Wenn Goldmund von einer Forelle sprach, die er als Knabe gefangen hatte, wenn er einen Schmetterling beschrieb, einen Vogelruf nachahmte, von einem Kameraden, einem Hund oder einem Bettler erzählte, dann entstanden Bilder, dann sah man etwas. Wenn er von seinem Vater sprach, dann sah man nichts. Nein, wäre dieser Vater wirklich in Goldmunds Leben eine so wichtige, mächtige, beherrschende Figur gewesen, er hätte ihn anders zu schildern, er hätte andere Bilder von ihm hinzustellen vermocht! Narziß dachte nicht hoch von diesem Vater, er gefiel ihm nicht; er zweifelte manchmal sogar, ob er wirklich Goldmunds Vater sei. Er war ein leerer Götze. Aber woher hatte er diese Macht? Wie hatte er Goldmunds Seele mit Träumen füllen können, die dem Kern dieser Seele so fremd waren?

Auch Goldmund grübelte viel. So sehr er der herzlichen Liebe seines Freundes sich sicher fühlte, er hatte doch immer wieder das lästige Gefühl, von ihm nicht ernst genug genommen und immer ein wenig wie ein Kind behandelt zu werden. Und was bedeutete das, daß der Freund ihm immer wieder zu verstehen gab, er sei nicht seinesgleichen? Indessen füllte dies Grübeln Goldmunds Tage nicht aus. Lange zu grübeln, das vermochte er nicht. Es gab anderes zu tun den langen Tag hindurch. Er steckte oft beim Bruder Pförtner, mit dem stand er sehr gut. Er erbettelte und erlistete sich immer einmal wieder die Gelegenheit, eine Stunde oder zwei auf dem Pferde Bleß zu reiten, und sehr beliebt war er bei den paar Umsassen des Klosters, namentlich beim Müller; oft lauerte er mit dessen Knecht dem Fischotter auf, oder sie buken Fladen aus dem feinen Prälatenmehl, das Goldmund geschlossenen Auges, nur am Geruch, aus allen Mehlarten heraus kannte. War er auch viel mit Narziß zusammen, es blieben doch manche Stunden, in denen er seinen alten Gewohnheiten und Freuden nachging. Auch die Gottesdienste waren ihm meistens eine Freude, gerne sang er im Chor der Schüler mit, gern betete er einen Rosenkranz vor einem Lieblingsaltar, hörte das schöne, feierliche Latein der Messe, sah im Weihrauchgewölk das Gold der Geräte und Zierate funkeln und die stillen, ehrwürdigen Heiligenfiguren auf den Säulen stehen, die Evangelisten mit den Tieren, den Jakobus mit Hut und Pilgertasche.

Von diesen Gestalten fühlte er sich angezogen, diese steinernen und hölzernen Figuren dachte er sich gerne in geheimnisvoller Beziehung zu seiner Person, etwa als unsterbliche allwissende Paten, Beschützer und Wegweiser seines Lebens. Ebenso spürte er eine Liebe und eine geheime holde Beziehung zu den Säulen und Kapitälen der Fenster und Türen, den Ornamenten der Altäre, zu diesen schön profilierten Stäben und Kränzen, zu diesen Blumen und krautig wuchernden Blättern, die aus dem Stein der Säulen brachen und sich so sprechend und eindringlich falteten. Es schien ihm ein wertvolles, inniges Geheimnis: daß es außer der Natur, ihren Pflanzen und Tieren noch diese zweite, stumme, von Menschen gemachte Natur gab, diese Menschen, Tiere und Pflanzen aus Stein und Holz. Nicht selten brachte er eine Freistunde damit hin, diese Figuren, Tierköpfe und Blätterbündel nachzuzeichnen, und auch wirkliche Blumen, Pferde, Menschengesichter versuchte er manchmal zu zeichnen.

Und sehr liebte er die Kirchengesänge, namentlich die Marienlieder. Er liebte den festen strengen Gang dieser Gesänge, ihre immer wiederkehrenden Anflehungen und Lobpreisungen. Er konnte ihrem ehrwürdigen Sinn anbetend folgen oder konnte auch, des Sinnes vergessend, nur die feierlichen Maße dieser Verse lieben und sich von ihnen erfüllen lassen, von den langgezogenen tiefen Tönen, von den vollen tönenden Vokalen, von den frommen Wiederholungen. Im innersten Herzen liebte er nicht die Gelehrsamkeit, nicht Grammatik und Logik, obwohl auch sie ihre Schönheit hatten, sondern mehr liebte er die Bilder- und Klangwelt der Liturgie.