– „Also… nehmen Sie noch etwas Kaffee, also Jubel im Lande?“
– „Gott, ja. Zunächst die übliche Verwirrung, an der Börse. Ach, diese Nase der Börse! Sie riecht alles, was in der Luft liegt – nachher. Übrigens ist es ihnen gleich. Die Börse wird nicht geschlossen werden, und der Kurfürstendamm, dessen Bewohner sich ein paar Tage ängstlich zu Hause halten oder verreisen, wird nicht gestürmt. Pogrome? Nein… Dann atmen sie wieder auf. Und alles geht weiter. Eigentlich, werden sie sagen, eigentlich ist ja alles gar nicht so schlimm.“
– „Die Zeitungen?“
– „Alle Obrigkeit kommt von Gott. Man muss sich nicht gegen das Gegebene auflehnen – das bekommt dem Inseratengeschäft nicht. Es sind Musterschüler; sie werden eine gute Zensur bekommen. Nach vier Wochen ist Ruhe im Lande… ‚Wenn auch… so doch immerhin…‘ “
– „Schlafen Sie nicht ein!“
– „Verzeihen Sie: ich sah im Geiste[26] Leitartikel. Geben Sie mir bitte noch etwas Kaffee. Auch in den Provinzstädten wird man auf die Dauer nicht zufrieden sein. Gewiss, die Jugend ist verhetzter als je[27], die Studenten hochfahrender, die Umzüge zahlreicher… aber die Jugend hat im Grunde andre Sorgen. Und dann eben… langsam… die Enttäuschung…“
– „Worüber?“
– „Dass Berlin nicht dem Erdboden gleichgemacht[28] ist. Dass die Not andauert. Dass auch jetzt nicht die Arbeitsgelegenheiten aus der Luft geflogen kommen. Dass die Butter nicht billiger wird. Leise, ganz leise kommt die Unzufriedenheit. Davon spricht aber kaum einer.“
– „Die öffentliche Meinung?“
– „Bewusst entpolitisiert, bei einem Höchstmaß von politischen Schlagworten. Bündischer[29] Unfug… Demonstrationen… Fahnen… im übrigen lenkt uns eine hochwohlweise Regierung. Das haben die Deutschen immer so gehalten[30]. Verloren ist allerdings, wer in diesen Jahren der Justiz in die Finger fällt[31]. Mit dem ist es dann aus[32]. Kurz: es ist eine Nachahmung des Fascismus – so, wie sie alles nach-ahmen… wie sie nicht einmal fähig sind, sich eine Bewegung für sich und aus sich heraus zu schaffen. Der Marsch auf Rom! Das war ein faszinierender Filmtitel. Auf Berlin marschieren sie gar nicht. Nach Berlin werden sie nur fahren, wenn sie sich von der Mittelstadt erholen wollen. In Berlin fallen sie nicht auf, wenn sie auf die Weiber gehen. Widerstand —? Verzeihung… ich fühle, dass Sie das fragen wollen… Widerstand? Nein, den finden sie wohl kaum. Von wem denn auch? Von dem bisschen Republik? Die hat in zwölf Jahren nicht verstanden, echte Begeisterung zu wecken, Menschen zur Tat zu erziehen, nicht einmal in ruhigen Lagen, wie denn, wenn es Kopf und Kragen zu riskieren gilt? Widerstand? Lieber Herr, das Land ist so weit entfernt von jeder Revolution! Dies ist ein Volk, das noch nicht einmal liberal ist. Die vielgelästerte Verwestlichung ist gar nicht so tief eingedrungen… sie halten mildübertünchte Korruption für Parlamentarismus, wirres Geschwätz Aller für Selbstbestimmungsrecht, Ressortstank für Politik, Vereinsmeierei für Demokratie… sie sind nie liberal gewesen, auch 48 nicht. Sie spüren nicht, dass die Welt um sie herum anders denkt und anders fühlt… sie spielen ihren politischen Skat ohne Partner. Wirft der andre die Karten hin, dann glauben sie, sie hätten gewonnen. Es ist ein Inselvolk.“
– „Die deutschen Brüder im Ausland?“
– „Werden sich ein paar Unannehmlichkeiten mehr zuziehn. Und das bisschen Kulturfassade, das kleine bisschen deutscher Freiheit – es ist zum Teufel.“
– „Das ist alles?“
– „Das dürfte alles sein. Ob es geschieht, weiß ich nicht. Wenn aber —: dann so. Übrigens… ich bin Hellseher… ich hatte eine Vision: Sie werden mir diese Sitzung honorieren… Ich dachte an hundert Mark?“
– „Hier haben Sie ein Bildnis Hindenburgs. Und lassen Sie sich draußen in der Küche ein paar Butterbrote geben… Gott befohlen[33], junger Mann!“
– „Heißen Dank, gnädiger Herr. Wenn Sie wieder etwas brauchen: Nepomuk Schachtel, Hellseher und Original-Astrologe mit ff.[34] indischen Erkenntnissen. Täglich von 9 bis 8, Sonntags geschlossen. Und empfehlen Sie mich in Ihrem werten Bekanntenkreise —!“
I. Übersätzen Sie ins Deutsch:
1. Мы всегда мысленно с вами.
2. Наш город стал красивее, чем когда либо.
3. Когда я напишу книгу, я сразу опубликую свою работу.
4. Первоначально он жил во Франции, но сейчас переехал в Бельгию.
5. Еще полбеды, что ее уволили, ведь теперь она лишилась вида на жительство (die Aufenthaltserlaubnis).
II. Sagen Sie anders:
1. Das Land ist in Begeisterung.
2. Die Gegenwirkung der Bevölkerung war stark.
3. Jeder hat sein eigenes Enttäuschung.
4. Was für eine Profession treiben Sie?
5. Die Gewalt brauchen Menschen um sein Gemeingut zu bewahren.
III. Welches Wort fehlt?
1. Sein Vater war außer sich vor Zorn und konnte die Wohnung dem Erdboden __________________.
2. Keine Katze will den Kindern in die ____________ fallen.
3. Schlecht und ____________ hatten sie überwintern.
4. _______ dieser Arbeit willen vergisst er seine Familie und Freunde.
5. Es ist so ______________, dass der Bräutigam seine Braut entführen soll.
I.
1. Wir sind immer mit euch im Geiste.
2. Unsere Stadt wurde schöner als je.
3. Wenn ich mein Buch fertigschreibe, werde ich meine Arbeit sofort veröffentlichen.
4. Er wohnte von Hause aus in Frankreich, aber nun zog er ins Belgien um.
5. Es ist halb so schlimm, dass sie entlassen wurde, weil jetzt sie auch die Aufenthaltserlaubnis verlor.
II.
1. Es ist Jubel im Lande.
2. Der Widerstand war stark.
3. Jeder hat seine eigene Unzufriedenheit.
4. Was sind Sie von Beruf?
5. Die Obrigkeit brauchen Menschen um sein Gemeingut zu bewahren.
III.
1. gleichmachen
2. Finger
3. recht
4. um
5. gehalten
Die brennende Lampe
Wenn ein jüngerer Mann, etwa von dreiundzwanzig Jahren, an einer verlassenen Straßenecke am Boden liegt, stöhnend, weil mit einem tödlichen Gas ringend, das eine Fliegerbombe in der Stadt verbreitet hat; er keucht, die Augen sind aus ihren Höhlen getreten[35], er verspürt einen widerwärtigen Geschmack im Munde, und in seinen Lungen sticht’s, es ist, wie wenn er unter Wasser atmen sollte —: dann wird dieser junge Mensch in einem verzweifelten Blick an den Häusern hinauf, zum Himmel empor, fragen:
Warum —?
Weil, junger Mann, zum Beispiel einmal in einem Buchladen eine sanfte grüne Lampe gebrannt hat. Sie bestrahlte, junger Mann, lauter Kriegsbücher, die man dort ausgestellt hatte; sie waren vom ersten Gehilfen fein um die sanft brennende Lampe herumdrapiert worden, und die Buchhandlung hatte für dieses ebenso geschmackvolle wie patriotische Schaufenster den ersten Preis bekommen[36]. Deswegen.
Weil, junger Mann, deine Eltern und deine Großeltern auch nicht den leisesten Versuch gemacht haben, aus diesem Kriegsdreck und aus dem Nationalwahn herauszukommen. Sie hatten sich damit begnügt – bitte, stirb noch nicht, ich möchte dir das noch schnell erklären, zu helfen ist dir ohnehin nicht mehr – sie hatten sich damit begnügt, bestenfalls einen allgemeinen, gemäßigten Protest gegen den Krieg loszulassen; niemals aber gegen den, den ihr sogenanntes Vaterland geführt hat, grade führt, führen würde. Man hatte sie auf der Schule und in der Kirche, und, was wichtiger war, in den Kinos, auf den Universitäten und durch die Presse national vergiftet. So vergiftet, wie du heute da liegst: hoffnungslos. Sie sahen nichts mehr. Sie glaubten ehrlich an diese stumpfsinnige Religion der Vaterländer, und sie wussten entweder gar nicht, wie ihr eignes Land aufrüstete: geheim oder offen, je nach den Umständen[37]; oder aber sie wussten es, und dann fanden sie es sehr schön. Sehr schön fanden sie das. Deswegen, junger Mann.
28
dem Erdboden gleichmachen – сровнять с землей; разрушить до основания; стереть с лица земли