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Noch ehe der Teller ganz auf den Küchenfliesen stand, hatte Nero schon seine rosa Zunge eingetaucht und schlappte und trank.

»Du bist aber stürmisch!« lachte die Frau, und Nero dachte: »Was meinst du denn, wen du hier vor dir hast, den heiligen Antonius?« und leckte den Teller blitzeblank.

Die blonde Frau ging zur Wohnzimmertür und rief: »Robert, komm mal gucken, was für einen niedlichen Besuch wir haben!«

»Robert?« dachte Nero, »aufgepaßt, wer ist denn nun wieder Robert?«, und er mußte rasch an den Bauern denken, der wütend seine Gummischuhe nach ihm warf.

Robert war ein baumlanger Mensch mit einer dicken Brille und einer Zigarre im Mund. Er näherte sich der Küche, und Nero sicherte sich aus den Augenwinkeln rasch einen Fluchtweg.

»Wo kommt der denn her?« brummte der Mann. »Er lag auf dem Sofa«, sagte sie, »und der arme kleine Kerl hatte Hunger, ich hab ihm ein bißchen Milch gegeben.«

»Wenn er Hunger hat, mußt du ihm was Richtiges zu essen geben«, sagte Robert, »ist denn von den Wurstbroten nichts mehr da?«

»Robert, du bist in Ordnung«, dachte Nero vergnügt, und die Frau sagte: »Wurstbrote! Eine Katze frißt doch keine Wurstbrote!«

»Die Brote könnt ihr euch schenken«, dachte Nero, »aber nur immer her mit der Wurst!« Und er stieß einen langen, äußerst kläglichen Jammerlaut aus.

»Siehst du, er hat Hunger«, sagte Robert. »versuch's mal mit einem Wurstbrot.«

»Wieso er?« fragte sie, und wühlte in einer Reisetasche, die noch unausgepackt auf dem Küchentisch stand.

»Das ist ein Kater«, sagte Robert, »das seh ich.« Er bückte sich, blies Nero ekelhaften Zigarrenrauch ins Gesicht und sah ihm unter den Schwanz. »Kater«, nickte er, und Nero quäkte empört.

Die Frau hatte inzwischen ein Butterbrot aus einem knisternden Papier gewickelt und fing an, es in den Milchteller zu brocken. Nero schnupperte gute deutsche Fleischwurst. Mit der rechten Vorderpfote, der weißen, räumte er die Brotbröckchen beiseite, leckte höchstens etwas Butter da ab, wo es Butter abzulecken gab, und machte sich über die kleinen, runden rosa Fleischwurstscheibchen her. Schwapp, die erste, happ, die zweite, schwupp, die dritte, schmatz, die vierte — »Meine Güte, kann der futtern!« freute sich die blonde Frau, kniete nieder und streichelte ihn, und Robert brummte düster: »Den wirst du nicht mehr los.«

Über diesen Satz dachte Nero nach, als er längst wieder drüben auf seinem Hof war und während der Silvesterknallerei unten im Dorf tief ins kuschelige Heu kroch, wo ihn seine Rosa putzte und ableckte wie jeden Abend. Er roch nach Milch und Fleischwurst und vermittelte ihr eine Ahnung von einem schöneren Leben, einem Leben auf weichen Teppichen und in warmen Sofaecken, einem Leben mit ständig gefüllten Tellern bei guten Menschen, die einen bewunderten, etwas Besonderes, etwas außerordentlich schön Geratenes in einem sahen und nicht nur eine geduldete Hofkatze. Ausführlich hatte Nero von seinem Besuch bei den Deutschen erzählt, und sein Mut, einfach so auf ein Sofa bei völlig wildfremden Menschen zu springen, hatte ihm in Windeseile auf dem Hof den Namen Löwenherz eingebracht, cuore di leone heißt das auf italienisch, oder als Name: Corleone. Nero Corleone ... »Herr, bitte!« hatte er nach diesem Abenteuer hinzugefügt, und so hieß er nun: Don Nero Corleone.

»Don!« riefen die Hühner, »Don sagt man nur zum Pfarrer und zu gewissen Autoritäten!«

Er hatte sich sehr groß und sehr gefährlich aufgeplustert.

»Und?« hatte er gezischt, »was bin ich in euren Augen? Ein Hanswurst?«

Es blieb bei Don Nero Corleone. Und er war gerade mal sechs Wochen alt.

Am Neujahrsmorgen blieben die Fenster im Ferienhaus drüben lange geschlossen, doch als gegen elf Uhr endlich die Läden geöffnet wurden, sagte Nero zur dummen Rosa, die mit ihren blauen Augen in das neue Jahr hineinschielte: »Komm mit!« Und sie strichen gemeinsam in der kalten Januarsonne durch die feuchte Wiese hinüber zum Grundstück der Deutschen.

»Du wartest hier!« sagte Nero und setzte Rosa unter einen Pinienbusch. Er selbst sprang auf die Fensterbank und starrte durch die Scheibe ins Wohnzimmer. Das deutsche Ehepaar saß an einem runden Tisch und frühstückte. Der Mann, Robert, blickte in Richtung Fenster und bemerkte sofort das kleine schwarze Gesicht, das streng zu ihnen hineinsah.

»Isolde«, sagte er, »sieh mal, wer da ist. Wie ich es geahnt habe.«

Mit einem kleinen Aufschrei fuhr Isolde herum und stürzte zum Fenster. Sie öffnete es so stürmisch, daß Nero beinahe außen heruntergefallen wäre und Rosa erschrocken, so schnell sie nur konnte, durch die Wiese zurück zum heimatlichen Hof rannte.

»Da ist ja mein kleiner Liebling!« rief Isolde und hob Nero ins Zimmer. »Ob du wohl ein Eichen essen magst?«

»Eichen, Milchlein, Würstchen, nur immer her mit den guten Dingen des Lebens«, dachte Nero und quiekte so niedlich und hungrig wie nur möglich. Vorsichtig behielt er Robert im Auge, denn dessen Einstellung zu Katern konnte er noch nicht so ganz einschätzen, aber Isoldes Herz, das wußte er, hatte er erobert. Sie nahm ihr weichgekochtes Ei aus dem Eierbecher, pellte es sorgfältig ab, zermatschte es mit einer Gabel auf der Untertasse und stellte es vor Nero.

»Na«, fragte sie, »magst du das?«

Nero probierte und fand: ja, das mag ich, schmeckt um Klassen besser als die rohen Hühnereier drüben auf dem Hof, köstlich! Und er schmatzte und schleckte, und Robert sagte: »Und du? Jetzt hast du kein Ei mehr!«

»Gib ihr doch deins, du Geizkragen«, dachte Nero, und plötzlich fiel ihm Rosa ein, die dicke dumme Rosa, die doch so gern aß und die da draußen in der Kälte auf ihn wartete. Er sprang zurück zur Fensterbank und kratzte laut jammernd an der Scheibe.

»Was hast du, Schätzlein?« rief Isolde erschrocken, »du hast ja dein Eichen noch gar nicht aufgegessen?«

Und Robert sagte: »Wenn er rauswill, laß ihn raus.«

»Vernünftiger Mann!« dachte Nero und sprang durch das nun geöffnete Fenster in den kalten Garten.

Keine Rosa.

»Wo bist du, dumme Liese?« schrie er, aber sie war nicht da, und wütend preschte er zum Hof hinüber. Da saß sie schon, furchtsam trippelte sie ihm ein paar Schritte entgegen und roch an seinen Barthaaren.

»Warum läufst du weg, wenn ich sage: bleib da sitzen?« fauchte Nero und trieb sie vor sich her über die Wiese. »Los, Dicke, da gibt's weichgekochte Eier, und ich hab dir extra noch was aufgehoben, avanti, hopp!«

»Ich trau mich nicht!« maunzte Rosa, als Nero wieder auf die Fensterbank sprang, aber er zischte: »Du kommst jetzt, und zwar sofort, und dann laß mich nur machen.«

»Guck mal«, sagte Robert, »jetzt sind es schon zwei.«

Isolde sah die beiden Gesichtchen nebeneinander am Fenster: das schon vertraute, kecke schwarze und ein schüchternes, kugelrundes weißrotes Köpfchen mit schielenden blauen Augen.

»Wie unbeschreiblich niedlich!« rief sie und rannte zum Fenster, öffnete es diesmal aber ganz vorsichtig, weil Rosa gar so ängstlich schaute. Gerade wollte sie auch eigentlich wieder davonlaufen, da gab ihr Nero einen Schubs, und sie landete auf dem weichen Teppich. Er sprang hinterher und stapfte unverzüglich auf den Teller mit dem Rest Ei zu.

»Los«, sagte er zu Rosa, »komm her und friß, Dicke. Die tun dir nichts. Die finden dich niedlich.«

Behutsam, ängstlich, aber von Nero ermutigt und vom köstlichen Duft angelockt, stapfte die kleine runde Rosa auf die geblümte Untertasse zu, und da waren sie nun beide, zwei Pelzköpfe in Schwarz und Bunt, nebeneinander über ein weichgekochtes Frühstücksei gebeugt, und ein seine Rührung verbergender Robert und eine vor Glück und Entzücken den Tränen nahe Isolde sahen ihnen zu.

»Dreifarbige Katzen sind Glückskatzen!« murmelte Isolde, und Robert sagte: »Schwarze Kater bringen Unglück!«, was Isolde als blöden Aberglauben empört abtat.

Nero leckte den letzten Rest Eigelb vom Teller, und Rosa wollte sofort den Rückzug antreten, aber er sagte: »Nix da, jetzt legen wir uns auf das Sofa, von dem ich dir erzählt habe.«