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Von den zarten Lachsscheiben brachte er dann seinem Freund Karl, der kleinen Kleist und natürlich seiner Rosa etwas mit, aber die größte Portion fraß er schon selbst. Er wog inzwischen fast zehn Kilo, hatte ein dichtes, glänzendes schwarzes Fell und war der stärkste und größte Kater weit und breit.

Manchmal fanden nachts im Südpark Katzenversammlungen statt. Da wurde nicht viel geredet, man saß im Kreis, schaute in den Himmel, schwieg den Mond an, und immer war es doch klar, daß Nero der Mittelpunkt war. Wenn er aufstand, gähnte und sich streckte, wurde die Versammlung aufgelöst, wenn er sitzen blieb, saßen die andern auch still da. Höchstens Karl konnte es riskieren zu sagen: »Nero, komm, wir machen noch ein bißchen Musik.« Und dann zogen sie in Kagels Haus und legten sich quer über die Klaviertasten, daß Frau Kagel oben aus dem Bett fiel vor Schreck.

Dann und wann gab es Kämpfe. Da wollte sich doch Timmi tatsächlich an die kleine Kleist ranmachen, da jagte der Generalshund ohne Leine hinter der alten Klara her, da kam ein Hund zu Besuch, der sich an gewisse Regeln nicht halten wollte, oder da mußte eine besonders freche, große Elster zur Vernunft gebracht werden — immer hatte Nero seine weiße Pfote mit im Spiel, und manches Mal kam er erst gegen Morgen zerrupft, naß, dreckig nach Hause, und Isolde seufzte: »Wo du dich nur immer herumtreibst, mein Täubchen.«

»In der Welt, mein Engel«, gähnte Nero, »in der Welt der Männer und der Kämpfe, von denen du keine Ahnung hast.«

Manchmal brachte er ihr eine besonders große Maus mit dichtem Fell mit, warf sie ihr vor die Füße und gurrte: »Da, Schönste, näh dir ein Krägelchen!«, bevor er sich in Isoldes Bett zusammenrollte und sie noch rufen hörte: »Oh! Das hab ich doch eben erst frisch bezogen ... na, egal, schlaf du nur gut, mein kleines Prinzchen.«

Und so gingen die Jahre ins Land. Roberts Haare wurden dünner und seine Brillen dicker, Isolde lernte es endlich doch noch, Pfannkuchen zu backen, die nicht in der Pfanne klebenblieben, und Nero und Rosa waren so glücklich, wie Katzen nur sein können. Ab und zu mußten sie zwar Kleinigkeiten erleiden — eine Fahrt zum Tierarzt, eine Impfung, zwei Wurmkuren im Jahr mit einer ekelhaft schmeckenden Paste, und im Sommer gab es scheußlich riechende Zeckenhalsbänder, die Nero allerdings meist sofort von Karlheinz durchbeißen ließ. Aber alles in allem war die Welt wohlgeordnet. Ein-, zwei-, dreimal im Jahr fuhren Isolde und Robert nach Italien, und dann kam Frau Wiegand, um Haus, Garten und Katzen zu hüten. Auch Frau Wiegand hatte man, wie Nero gern sagte, fest in der Pfote. Man konnte sie sozusagen um die Pfote wickeln, Frau Wiegand tat alles für ihre beiden kleinen Lieblinge. Sie schnitt die Rinderleber nicht nur in häppchengerechte Stücke, nein! Sie briet sie auch in guter Butter an. Bei Frau Wiegand gab es nicht nur morgens um neun und abends um sechs einen Teller mit Futter, nein! Auch mittags wurden kleine Häppchen gereicht, denn, so sagte Frau Wiegand gern: »Hunger tut so weh!« Sie kaufte frische Fische auf dem Markt, und abends durfte Rosa nicht nur auf ihrem Bett, nein! sogar unter ihrer Decke schlafen, was bei Isolde dann doch nicht erlaubt war. Das heißt, Isolde hätte es vielleicht noch geduldet, aber der klassische Satz von Robert bei solchen Ansinnen lautete: »Sonst noch was.«

Rosa wurde immer runder, Nero bekam erste graue Haare neben der Nase und lag jetzt schon mal stundenlang unter dem Pflaumenbaum und träumte. Niemand wagte es, ihn dabei zu stören — eins von seinen Mädchen oder seinen vielen Kindern saß immer in der Nähe und bewachte seinen Schlaf. Karlheinz war eines Winters gestorben. Fräulein von Kleist war zu Neros großem Kummer mit der Karthäuserin weggezogen, ins vornehmere Düsseldorf. »Adieu, kleine Kleist«, hatte Nero traurig gesungen, »ciao, bella, ich werde dich nie vergessen.« Noch öfter lag er seitdem mit Kagels Kater Karl in den dicken Ledersesseln, schaute sich im Fernsehen alte Filme an und hörte Isolde, die rufend durch die Siedlung irrte. »Verstehst du die Frauen?« fragte er Karl. »Ich nicht. Sie haben etwas Unruhiges, finde ich.«

Eines Tages wurde Rosa krank. Es fing an mit einem Husten. Sie bellte kratzig, fast wie ein Hund, und natürlich stopfte Isolde sie in den Katzenkorb und fuhr mit ihr zu dem Tierarzt mit den hohen Rechnungen. Es gab eine Spritze, Pillen und Stubenarrest. Aber der Husten wurde nicht besser, und dann kam noch eine Halsentzündung dazu, und Rosa, ausgerechnet Rosa konnte nicht mehr fressen und magerte ab. Was für ein herzzerreißend trauriger Anblick! »Sie ist alt«, sagte der Doktor, »wir müssen abwarten, ob sie es schafft.«

Sie schaffte es nicht. Nächtelang saß Isolde an Rosas Körbchen, eine Heizdecke wurde angeschafft, Hackfleischbällchen mit Vitaminpulver gerollt, aber eines Morgens war es aus: die kleine gar nicht mehr runde Rosa schloß für immer ihre schielenden blauen Augen, seufzte und schnarchte noch einmal tief und hörte dann einfach auf zu atmen. Sie hatte die Zungenspitze zwischen den Zähnen, wie früher, und sie wachte nicht mehr auf.

Nero war wie versteinert. Er verkroch sich unter dem Bett, er fraß nicht, er putzte sich nicht. Isolde weinte sich die Augen rot. Sie wickelte Rosa in ein wunderschönes Spitzennachthemd, das ihr Robert mal aus Venedig mitgebracht hatte, »damit sie in was Italienischem beerdigt wird!«, und Robert hob im Garten unter der Magnolie ein kleines Grab aus. Da saß dann Isolde oft auf einem weißen Stuhl und weinte um ihre Rosa, und Nero lag auf ihrem Schoß, von Kummer zerrissen. Weinte er auch? Man konnte es nicht genau sehen, vielleicht kniff er nur wegen der Sonne die Augen ein wenig zusammen, aber er war still und voller Kummer, und die Mäuse huschten frech herum und wisperten: »Na, Corleone, alt geworden, was?«

Auch in diesem Jahr wollten Isolde und Robert im Herbst wieder mit ihren Bücherkoffern nach Italien fahren.

»Ich bring es einfach nicht übers Herz, den kleinen traurigen Kerl jetzt hier allein zu lassen«, sagte Isolde, als es ans Packen ging, und Robert antwortete: »Er hat doch Frau Wiegand, die tut alles für ihn.«

»Trotzdem«, seufzte Isolde, »er tut mir so leid ohne sein Mädchen ... und dann auch noch ohne uns ... wir nehmen ihn diesmal mit.«

»Bist du verrückt?« sagte Robert. »Das sind zehn Stunden im Auto, und weißt du noch ...«

»Jaja«, sagte Isolde, »damals war er ja noch klein. Das übersteht er schon, er wird bestimmt während der Fahrt schlafen. Und vielleicht tröstet es ihn, seine alte Heimat wiederzusehen.«

Heimat.

Bei diesem Wort spitzte Nero in all seinem Gram die Ohren. Er schloß die Augen und sah den Hof, die Madonnina, seine Mutter, den alten Hund, den Esel, die Hühner. Er hörte die silbrigen Blätter der Olivenbäume rauschen und erinnerte sich, wo der Bauer das Beet mit der Katzenminze hatte. Heimat! Letztlich, tutti santi in colonna, bei allen Säulenheiligen, letztlich war er Italiener, er war alt, er war müde, und er wollte auf einmal nur noch nach Hause. Er wußte, daß er jetzt tüchtig um Isolde herumscharwenzeln mußte, dann würde sie ihn schon mitnehmen. Denn soviel hatte Nero in all den Jahren gelernt: in diesen Dingen des Alltags hatte Robert letztlich nichts zu sagen. Gut, er bestimmte, ob sich die Amerikaner in Haiti einmischen sollten oder nicht; ob man die Grünen wählen sollte oder nicht; ob der amerikanische Dollar fiel oder stieg und ob nun Peter Handke ein großer Dichter war oder nicht. Aber Isolde bestimmte, was gekocht wurde, ob ein Weihnachtsbaum aufgestellt wurde, wann und wohin man verreiste und ob Katzen in Betten schlafen sollten oder nicht. (Sie sollten.)