Und in diesem Moment kam Elsa herein. Sie sah Nero, blieb erschrocken stehen, ihr Fell sträubte sich, sie machte einen Buckel, riss das Maul auf und fauchte, so gefährlich sie konnte.
Nero sah sie ungerührt an. Ach die, dachte er, die kleine Graue, die hat sich hier wohl eingenistet? Tja, Fräuleinchen, jetzt heißt es teilen, der Meister ist zurück, und er putzte sich weiter, als wäre da nichts, als wäre nie etwas geschehen, als gäbe es keine Elsa, keine Isolde. Als wären nicht Jahre vergangen.
Wo ist ER eigentlich, dachte er. Wie hieß er noch, der lange Mann, der immer was zu meckern hatte, die Katze soll nicht ins Bett, die Katze wird am Tisch nicht gefüttert — gibt's den nicht mehr? Umso besser. Mit ihr allein werde ich spielend fertig, die konnte ich immer schon um die Pfote wickeln, sozusagen.
Elsa kam nicht näher. Ihr Fauchen ging in ein zorniges Grollen über, sie sang sozusagen das große Lied der Wut, und es hört sich beeindruckend an, wenn Katzen das tun. Es sind lang gezogene, laute Töne zwischen aaa, ooo und uuu, die schreckliche Klänge bilden, viel schrecklicher, dachte Isolde, als das, was ich da angeblich auf dem Klavier spiele. Und sie machte sich ein bisschen Sorgen, was jetzt wohl geschehen würde zwischen den beiden Katzen, dem jungen Mädchen und dem alten Kämpfer.
Nichts geschah. Elsa drohte, Nero putzte sich, und Isolde saß dumm da und spielte gar keine Rolle. Aber in ihrem Kopf rasten die Gedanken, etwa so:
Was mach ich jetzt, das ist mein Nero, mein Nero, mein Nero, ob er bleibt, er muss bleiben, was ist mit seinem Öhrchen passiert, was mach ich, wenn er Elsa vertreibt, Elsa muss auch bleiben, er ist alt geworden, ich bin auch alt geworden, ob er mich erkennt, ob das Zufall ist, ich muss Robert anrufen, ich muss Justus anrufen, ich muss überhaupt niemanden anrufen, ich muss hier sitzen und ihn ansehen und oh du meine Güte, ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen soll.
So ungefähr sah es in Isoldes Kopf aus. Und Elsa kam knurrend und heulend wie ein Hund langsam näher, mutig, mit gesträubtem Fell, mit Seitwärtsschritten, mit drohend hin- und herpeitschendem Schwanz. Nero ließ sich nicht beeindrucken.
Niedlich, die Kleine, dachte er. Hat Mut, sich mit mir anzulegen, ich muss ihr einmal zeigen, was eine Harke ist, und dann werden wir schon klarkommen.
Und plötzlich machte Nero einen Satz auf Elsa zu, fauchte wie hundert Feuer speiende Vulkane, erhob die rechte weiße Vorderpfote gegen sie und ließ sie haarscharf neben ihrem Ohr niedersausen.
Elsa sprang erschrocken einen Schritt zurück, dann wieder vor, streckte ihr dünnes Beinchen aus und tafelte Nero eins auf die Nase. Er war verdutzt. Die Kleine wurde frech? Jetzt würde er aber ...
Da stand Isolde auf. »Nein«, rief sie, »Schluss, aus, lasst es gut sein, ich dulde keinen Streit, hier ist Platz für beide, Elsa, stell dich nicht so an, und du, Nero, hast allen Grund, dich zu benehmen! Wo ist meine Wurst, he?!«
Da sieht die Frau mich jahrelang nicht, und dann fragt sie mich als Erstes nach ihrer Wurst, dachte Nero, ist das denn zu glauben?
Elsa hatte sich hingesetzt und maunzte kläglich. Nero sah sie an und hoffte, die Sache wäre erledigt. Dann drehte er sich um, ging zu Isolde, rieb sich einmal kurz an ihrem Bein — ihr blieb ja fast das Herz stehen! — und sprang dann mit einem Satz, als wäre nichts, als wären all die Jahre, die Trennung, die Wurst und eben der Streit nicht gewesen, auf das rote, ehemals grüne Sofa und legte sich hin auf seinen angestammten Platz.
Isolde war sprachlos, und das will etwas heißen, und auch Nero feixte: Tja, jetzt fällt ihr nichts mehr ein.
Elsa sah ratlos und jammervoll zu Isolde hoch, und Isolde bückte sich, nahm sie auf den Arm und streichelte sie.
»Ach, Elsa«, sagte sie, »wenn du wüsstest. Wenn du wüsstest, wer das ist und was ich mit dem schon alles erlebt habe. Mach dir keine Sorgen. Der will sich hier nur ins Nest setzen. Aber du bleibst da, das ist auch dein Zuhause, dafür werde ich sorgen, und wenn er dir was tut, dann ...«
Dann fliegt er raus, wollte sie sagen, aber sie brachte es einfach nicht fertig.
Elsa schmiegte sich an sie, beruhigte sich, fing leise zu schnurren an und ließ Nero nicht aus den Augen. Isolde auch nicht. Nero tat, als ob er schliefe, hatte aber alles im Blick und dachte: Mädels, beruhigt euch. Der Chef ist da, und solange es genug zu essen gibt, haben wir alle kein Problem.
Aber ganz tief innen drin in seiner alten Katerseele, ganz verborgen tief hatte er ein seliges Gefühl von Nachhausekommen, von Ankommen, von Ruhe. Jetzt war es vorbei mit dem wilden Straßenkaterleben. Jetzt, das ahnte er, würde er eine ruhige Kugel schieben, Schluss mit den Abenteuern, er war sesshaft geworden, er war zu den Anfängen zurückgekehrt, er war wieder da. Bei seiner Isolde. Die würde reichlich den Fressnapf füllen, und er müsste nie wieder stinkende Fischköpfe aus aufgerissenen Mülltüten fressen.
Am Abend rief Justus an. »Ist noch Liebe da?«, fragte er als Erstes, und Isolde sagte: »Mehr, als du dir vorstellen kannst!«, und Justus freute sich. Und dann erzählte sie ihm von Nero, der auf dem Sofa lag, und von Elsa, die im Schlafzimmer unter dem Bett schmollte und nicht hervorkommen wollte, und sie war ganz aufgeregt und sagte: »Ich kann jetzt nicht telefonieren, ich muss ihn immerzu ansehen.«
»Du wirst doch«, sagte Justus vorwurfsvoll, »mit mir telefonieren und ihn dabei in Gottes Namen ansehen können, oder?«
»Nein«, sagte Isolde, »das kann ich eben nicht, denn wenn ich mit dir telefoniere, will ich dir zuhören und mich auf das, was du sagst, konzentrieren, und wenn ich ihn ansehe, will ich mich auf ihn konzentrieren«, und Justus sagte: »Aber der redet doch nicht?«, und Isolde antwortete: »Hast du eine Ahnung!« Denn sie hatte immer schon in Neros Kopf und Augen lesen können, was er dachte. Zumindest bildete sie sich das ein. Sie dachte, er würde denken: Die liebe Isolde! Das schöne warme Sofa! Die leckere Wurst! Da bin ich! Aber in Wirklichkeit dachte er, dass sie mit der Telefoniererei aufhören und sich lieber zu ihm setzen und ihn kraulen sollte, denn gekrault hatte ihn seit Jahren schon niemand mehr. Er hatte es nie zugelassen, aber jetzt, jetzt wollte er Isoldes Hand auf seinem Pelz spüren.
Und genau das geschah. Isolde beendete das Telefonat mit Justus, der sehr unzufrieden war mit dem kurzen Gespräch und argwöhnte, dass bestimmt nicht mehr genug Liebe da wäre. Sie setzte sich zu Nero und fing vorsichtig an, mit den Fingern sein Fell zu durchsuchen. Sie fand Flöhe, verschorfte Wunden, kleine Ästchen und Kletten und eine Zecke. Die Zecke drehte sie heraus, und er hielt still. Sie zupfte und glättete, streichelte und striegelte, untersuchte das zerzauste Ohr und schaute ihm sogar einmal kurz ins Maul — dazu braucht man einen besonderen Griff, und Nero ließ ihn zu.
Der Reißzahn links oben fehlte, der Rest sah noch gut aus, ein bisschen zu gelb vielleicht. Unter dem Fell fühlte sie Muskeln, aber er war nicht mehr so stattlich und gut gepolstert wie damals, wie denn auch, wenn er sich von Abfällen und auf Raubzügen ernähren musste. Aber er war da. Sie saßen nebeneinander wie ein altes Liebespaar, er schmiegte sich an sie, und sie war glücklich, dankbar, hatte es doch irgendwie immer schon gewusst und sagte: »Nero, mein Nero, da bist du ja wieder«, und er dachte: So, Ruhe jetzt, Nero muss ein kleines Nickerchen machen, du kannst ja inzwischen nachsehen, ob möglicherweise noch so eine Wurst da ist.
Und er schlief ein, Isoldes Hand auf seinem Pelz. So saßen sie lange, und irgendwann stand Isolde auf, reckte sich und ließ sich ein Bad ein. Als sie im warmen Wasser lag, Schaum bis zur Nase, kam Elsa herein und sprang geschickt auf den Rand der Wanne. Mit großen Augen sah sie auf den Schaum, und Isolde wackelte ein bisschen mit den Zehen, und Elsa angelte danach, schlug den Schaum mit den Krallen, und Isolde musste aufpassen, dass diese scharfen Messerchen sie nicht trafen. Elsa hatte ganz offensichtlich Gleichgewicht und Lebensfreude wiedergefunden.