«Sei still«, unterbrach er mich.»Ich will nicht hören, was du nur zu sein glaubst. Du bist doch intelligent, nicht wahr? Du arbeitest für ein Detektivbüro. Du möchtest doch nicht, daß Seabury geschlossen wird? Warum willst du dann nichts dagegen unternehmen?«
«Aber ich nehme doch an, daß er auf rein geschäftlicher Basis einsteigen will, nach dem, was du sagst. Da brauchst du einen mächtigen Geschäftsmann oder einen Stadtrat als Gegner für ihn, nicht mich.«
«Er ist sehr auf der Hut vor solchen Leuten, aber dir gegenüber ungedeckt.«
«Bist du sicher, daß er es auf Seabury abgesehen hat?«
«Jemand steckt dahinter«, sagte Charles.»In letzter Zeit sind sehr viele Aktien umgesetzt worden, und der Kurswert steigt, obwohl dieses Jahr keine Dividende bezahlt wurde. Der Rennplatzadministrator hat mir davon erzählt. Er sagte, die Direktoren machten sich große Sorgen. Auf dem Papier gibt es keine größere Konzentration von Aktien auf einen Namen, in Dunstable war das genauso. Als darüber abgestimmt wurde, ob man an eine Baugesellschaft verkaufen sollte, stellte man fest, daß ungefähr zwanzig verschiedene Aktionäre plötzlich für Kraye auftraten. Er konnte genügend andere Aktionäre mit sich reißen, und der Rennplatz wurde verbaut.«
«Aber es ging alles gesetzlich?«
«Es war eine krumme Tour, aber gesetzlich — ja. Und genauso scheint es jetzt wieder zu gehen.«
«Aber wie kann man ihn aufhalten, wenn es gesetzlich ist?«
«Du könntest es versuchen.«
Ich starrte ihn stumm an. Er richtete sich auf und glättete die
Decke.
«Es wäre bedauerlich, wenn Seabury dasselbe Schicksal wie Dunstable beschieden wäre.«
Er ging zur Tür.
«Und was hat van Dysart damit zu tun?«erkundigte ich mich.
«Ach, nichts«, sagte er und sah mich über die Schulter an.»Ich habe die Leute erst vor ein paar Wochen kennengelernt. Sie sind aus Südafrika und machen eine größere Reise. Ich war mir sicher, daß sie dich nicht kennen. Es kam mir vor allem auf Mrs. van Dysart an. Sie hat eine äußerst giftige Zunge. Ich wußte, daß sie mir helfen würde, dich in Stücke zu reißen. «Er grinste.»Sie wird dir das Wochenende zur Hölle machen.«
«Herzlichen Dank«, sagte ich sarkastisch.
«Ich hatte ein bißchen Angst, daß Kraye dich erkennt«, meinte er nachdenklich,»aber offenbar ist das nicht der Fall, so daß wir uns keine Sorgen zu machen brauchen. Und ich habe deinen Namen nicht erwähnt, wie dir wohl aufgefallen ist. Ich möchte es auch weiterhin vermeiden. «Er lächelte.»Und er weiß nicht, daß meine Tochter Sid Halley geheiratet hat. Ich gab ihm ein paarmal Gelegenheit, davon zu sprechen, weil das Ganze natürlich nicht in Frage käme, wenn er Bescheid wüßte, aber er hat überhaupt nicht reagiert. Was Kraye angeht«, schloß er zufrieden,»bist du nichts als eine bedauerliche Null.«
«Warum hast du mir das alles nicht vorher erzählt?«fragte ich.
«Zum Beispiel, als du mir so fürsorglich das Buch über Gesellschaftsrecht auf den Nachttisch gelegt hast. Oder wenigstens heute abend, als ich von Andrews zurückkam? Damit ich etwas vorbereitet gewesen wäre.«
Er öffnete die Tür und lächelte mich an. Seine Augen waren wieder undurchdringlich.
«Schlaf gut«, sagte er.»Gute Nacht, Sid!«
Am nächsten Morgen nahm Charles die beiden Männer mit auf die Jagd. Viola chauffierte die Ehefrauen nach Oxford zum Einkaufen und zur Besichtigung einer Ausstellung venezianischer Gläser. Ich benützte die Gelegenheit, mich im Schlafzimmer von Mr. und Mrs. Kraye gründlich umzusehen.
Erst nach einer ganzen Weile fiel mir ein, daß ich noch vor zwei Jahren gar nicht auf die Idee gekommen wäre, so etwas zu tun. Jetzt geschah das schon ganz selbstverständlich, ohne Überlegung. Ich lächelte ironisch. Offenbar genügte es bereits, in einem Detektivbüro herumzusitzen, um zu dieser Einstellung zu gelangen. Überdies wurde mir klar, daß ich aus Instinkt meine Suchaktion methodisch und sorgfältig durchführte. Einerseits war das beunruhigend.
Ich suchte nicht nach etwas Bestimmten. Ich wollte nur den Charakter der beiden etwas kennenlernen. Nicht einmal vor mir selbst gab ich zu, daß mich Charles’ Herausforderung interessierte. Aber trotzdem suchte ich, und zwar gründlich.
Howard Kraye schlief in einem dunkelroten Schlafanzug; auf der Brusttasche waren seine Initialen in Weiß eingestickt. Der Morgenmantel war aus blutrotem Brokat mit schwarzem Kragen und schwarzem Gürtel. Seine Waschutensilien waren in einem großen, nach Maß angefertigten Necessaire im angrenzenden Badezimmer zahlreich und kunstvoll gearbeitet. Er benutzte Rasierwasser, Kölnisch Wasser, Handcreme und ein Haaröl, alles in Kristallflaschen mit goldenen Schraubverschlüssen. Dazu kamen medizinische Seifen, eine für ihn angefertigte Zahnpasta, Körperpuder in einem vergoldeten Behälter und ein hypermoderner elektrischer Rasierapparat. Er trug ein Gebiß und verfügte über ein Ersatzexemplar. Er hatte eine Dose mit Abführtabletten, eine Flasche Mundwasser, antiseptischen Fußpuder, Hustenpillen, Verdauungstabletten und ein Mittel für Augenbäder mitgebracht — alles für den schönen Körper, in- und auswendig.
Seine ganze Kleidung, bis hinab zur Unterwäsche, war maßgeschneidert, und er hatte sich ausstaffiert, um allen Gelegenheiten bei einem Wochenende auf dem Land gerecht werden zu können.
Ich durchsuchte die Taschen seines weißen Smokingjacketts und der drei Anzüge, die hintereinander hingen, aber er war ein ordnungsliebender Mann. Alle Taschen waren leer, abgesehen von einer Nagelfeile in jeder Brusttasche. Seine sechs Paar Schuhe waren maßgefertigt und fast neu. Ich schaute in jeden einzelnen Schuh. Abgesehen von den Spannern waren sie alle leer.
In einer Schublade fand ich, säuberlich gestapelt, Krawatten, Taschentücher und Socken: alles teure Ware. Eine schwere, ziselierte Silberdose enthielt Manschettenknöpfe und Krawattennadeln, vorwiegend aus Gold. Edelsteine schien er nicht zu tragen, aber ein schönes Paar Manschettenknöpfe war aus Steinen gefertigt, die ich als Tigerauge kannte. Die Rücken seiner Haarbürsten bestanden aus Rauchquarz. Zwischen den Borsten hingen ein paar braune und graue Haare.
Es blieb noch sein Gepäck, vier teure Koffer, die hintereinander neben dem Schrank standen. Ich öffnete jeden einzelnen. Sie waren alle leer bis auf den kleinsten, der eine braune lederne Aktenmappe enthielt. Ich sah sie mir sorgfältig an, bevor ich sie berührte, aber da Kraye keine Vorsorge getroffen zu haben schien, zum Beispiel mit Haaren oder Wattebäuschchen, hob ich sie heraus und legte sie auf eins der Betten. Sie war abgesperrt, aber ich hatte längst gelernt, mit solchen Dingen fertig zu werden. Ein früherer Polizeisergeant in Radnors Diensten erteilte mir, so oft er ins Büro kam, Lehrstunden über den Umgang mit Nachschlüsseln. Meine Einhändigkeit war für ihn eine Herausforderung gewesen, und er hatte ein paar neue Techniken und Instrumente speziell für mich erfunden. Vor kurzer Zeit hatte er mir ein großes Bund Nachschlüssel geschenkt, die einem Einbrecher abgenommen worden waren, und mich so lange bedrängt, bis ich sie immer bei mir trug. Sie befanden sich in meinem Zimmer.
Ich holte sie und konnte die Tasche ohne große Mühe öffnen.
Auch hier herrschte dieselbe mustergültige Ordnung wie überall bei Kraye, und ich achtete ganz besonders darauf, weder die Lage noch die Reihenfolge der Papiere zu verändern. Es handelte sich um mehrere Briefe eines Börsenmaklers, ein Bündel Aktienverkaufsbescheinigungen, verschiedene andere Unterlagen und eine Reihe mit Schreibmaschine getippter Blätter unter dem Datum des vergangenen Tages, wobei es sich offenbar um eine genaue Darlegung seiner Investitionen handelte. Er schien ein reicher Mann zu sein und sehr viele Aktien zu kaufen und zu verkaufen. Er hatte sein Geld in Öl, Bergwerken, Grundstücken und Industrieaktien angelegt. Außerdem gab es noch ein Blatt mit der Überschrift >S. R.<, bei dem jede Transaktion als Kauf deklariert war. Für jede Eintragung waren Name und Anschrift einer Bank angegeben. Manchmal kam ein Name drei- oder viermal vor, ab und zu auch nur einmal.