Unter den Unterlagen fand ich einen großen, dicken Umschlag, der zwei Bündel neuer Zehnpfund-Banknoten enthielt. Ich zählte sie nicht, aber es konnten kaum weniger als hundert sein. Der Umschlag befand sich am Boden des Aktenköfferchens, abgesehen von einer Schreibunterlage mit weißem Löschpapier und Krokodillederecken. Ich hob die Unterlage heraus und fand darunter zwei weitere Blätter, beide mit Daten, Initialen und Geldbeträgen beschrieben.
Ich ließ das Ganze zurückfallen, vergewisserte mich, daß alles genauso aussah, wie ich es gefunden hatte, sperrte das Köfferchen ab und legte es in den größeren Koffer zurück.
Die schöne Doria war, wie ich feststellte, bei weitem nicht so pedantisch wie ihr Ehemann. Ihre Sachen lagen heillos durcheinander, was die Aufgabe, sie alle wieder an ihren Platz zurückzutun, erschwerte, gleichzeitig durfte ich aber damit rechnen, daß es ihr nicht so schnell wie ihrem Ehemann auffallen würde, wenn etwas nicht ganz so war wie vorher.
Ihre Garderobe schien zwar teuer zu sein, war aber von der Stange gekauft. Ihre Waschsachen bestanden aus einem Necessaire, einem Badetuch, einer Zahnbürste, Badesalz und Körperpuder. Beinahe armselig neben Howards Sammlung. Keine Medikamente. Sie schien ohne Nachthemd zu schlafen, an der Badezimmertür hing aber ein hübscher, weißer Morgenmantel.
Sie hatte noch nicht ganz ausgepackt. Koffer auf Stühlen und Hockern enthielten noch durchwühlte Unterwäsche und diverse Dinge für Frauen, wie ich sie seit der Trennung von Jenny nicht mehr gesehen hatte.
Auf dem Frisiertisch herrschte ein teures Chaos. Töpfe mit Kosmetika, Parfümflaschen und Haarspraydosen standen auf der einen Seite, eine Schachtel mit Papiertaschentüchern und eine Schale mit Haarnadeln auf der anderen. Eine Schmuckschatulle lag auf dem Boden. Ich hob sie auf und stellte sie aufs Bett. Sie war abgesperrt. Ich öffnete sie und schaute hinein.
Doria war ein tolles Mädchen. Sie besaß falsche Wimpern, falsche Fingernägel und zusätzliche künstliche Haare. Im zweiten Fach lagen die Saphir- und Brillantohrringe, die sie am Abend vorher getragen hatte, dazu eine Brillantbrosche und ein Saphirring; im Fach darunter eine Halskette, ein Armband, Ohrringe, eine Brosche und ein Ring, alles in Gold, Platin und Citrin gearbeitet. Die gelben Edelsteine waren ausgefallen und ohne Zweifel eigens für sie gearbeitet worden.
Unter dem Schmuck entdeckte ich vier Taschenbuchromane von derart pornographischem Inhalt, daß Krayes Fähigkeiten als Liebhaber in Zweifel zu ziehen waren.
Außerdem enthielt die Schatulle noch ein dickes, ledernes Tagebuch, in dem die schöne Mrs. Kraye die merkwürdigsten Gedanken niedergelegt hatte. Ihr Leben schien genauso unordentlich zu sein wie ihre Kleidung — ein Gemisch aus dem üblichen gesellschaftlichen Verhalten, aus Traumfantasien und einer nicht als normal anzusehenden Ehe. Wenn man dem Tagebuch glauben durfte, gewannen Howard und sie großes Vergnügen daraus, daß er sie schlug.
Na ja, dachte ich, jedenfalls passen sie gut zusammen.
Ganz zuunterst schließlich lagen zwei Dinge, die nicht uninteressant waren. Das erste, ein brauner Samtbeutel mit einem Lederriemen, dessen Verwendungszweck angesichts des Tagebuchs nicht in Zweifel stand, und zweitens, in einer Pralinenschachtel, eine Pistole.
Kapitel 4
Ich telefonierte ein Taxi herbei, fuhr nach Oxford und kaufte einen Fotoapparat. Obwohl im Laden sehr viele Leute waren, ging der junge Mann, der mich bediente, das Problem eines einhändigen Fotografen mit Begeisterung an. Gemeinsam suchten wir eine Minox-Miniaturkamera aus, die aus Deutschland stammte, siebeneinhalb Zentimeter lang und drei Zentimeter breit war, und die ich ohne die geringste Schwierigkeit mit einer Hand halten, einstellen und bedienen konnte.
Er zeigte mir genau, wie man damit umgehen mußte, schraubte noch einen kleinen Belichtungsmesser auf, legte den Film ein und steckte den ganzen Apparat in einen so kleinen, schwarzen Behälter, daß ich ihn ohne weiteres in der Hosentasche tragen konnte. Er bot mir auch an, den Film später auszuwechseln, falls ich es nicht schaffen sollte. Wir waren beide sehr zufrieden.
Als ich zurückkam, saßen alle im Wohnzimmer um das gemütliche Kaminfeuer und aßen gebackene Sauerteigfladen. Ich ärgerte mich, weil ich nicht mithalten durfte.
Niemand achtete auf mich, als ich hereinkam und mich dazusetzte, mit Ausnahme von Mrs. van Dysart, die sofort ihre Krallen zu schärfen begann. Sie ließ ein paar unverschämte Bemerkungen über Faulpelze fallen, die wegen Geldes heiraten. Charles widersprach nicht. Viola sah mich forschend an und biß sich auf die Unterlippe. Ich blinzelte ihr zu, und sie seufzte erleichtert.
Ich erfuhr, daß die Beute des Vormittags nicht aus dem üblichen Rahmen fiel — Fasanen, Wildenten, ein Hase, weil Charles lieber auf eigenem Grund jagte, als Treiber anzustellen. Die Frauen hatten eine schlechte Meinung über die Verkäufer
Oxfords gewonnen und eine Broschüre über die Herstellung von Glas im Italien des 15. Jahrhunderts mitgebracht. Alles ganz normal für ein Wochenende auf dem Land. Nur meine Beschäftigung schien der Wirklichkeit zu widersprechen. Dies und die falsche Position, in die mich Charles gesteuert hatte.
Krayes Blick und seine Hände kehrten wieder zu der Halbedelsteinsammlung zurück. Man öffnete die Tür, das Licht flammte auf, man nahm die Steine einzeln heraus, gab sie herum und bewunderte sie. Mrs. van Dysart schien von einem Stück Rosenquarz besonders angetan zu sein, das sie zärtlich streichelte.
«Rex, du mußt für mich auch so etwas sammeln!«befahl sie, und der gute Rex nickte brav.
«Wissen Sie, Roland, das sind wirklich erstklassige Stücke«, sagte Kraye.»Man sieht selten etwas Besseres. Ihr Vetter muß sehr viel Glück und Beziehungen gehabt haben, um so viele schöne Kristalle in die Hände zu bekommen.«
«Das kann man wohl sagen«, stimmte Charles zu.
«Ich wäre interessiert, wenn Sie einmal vorhaben sollten, sie zu Geld zu machen — sagen wir, eine erste Option?«
«Eine erste Option auf jeden Fall«, erwiderte Charles lächelnd,»aber ich verkaufe nicht, das kann ich Ihnen versichern.«
«Ach was, das sagen Sie jetzt, aber ich gebe nicht so leicht auf. Ich versuche es später noch mal. Sie werden die Option bestimmt nicht vergessen?«
«Keineswegs«, sagte Charles,»mein Wort darauf.«
Kraye sah lächelnd auf den Stein, den er in der Hand hatte — einen großartigen, ungeschliffenen Amethyst, der wie ein Büschel erstarrter Veilchen aussah.
«Lassen Sie den nicht ins Feuer fallen«, sagte er,»er würde sofort gelb werden.«
Und er hielt einen Vortrag über Amethyste, der durchaus hätte
Interesse beanspruchen können, wenn er sich auf einfache Worte beschränkt hätte, aber die Blenderei mit Worten war bei ihm entweder Gewohnheit oder Absicht. Ich konnte es nicht entscheiden.
«… Mangan kommt natürlich in Drusen oder Achatklümpchen in Südamerika und Rußland vor, aber bei dieser weltweiten Verbreitung ist es nur allzu verständlich, daß primitive Gesellschaften suprarationale Tendenzen und Attribute darin.«
Ich bemerkte plötzlich, daß er mich ansah, und mir fiel ein, daß mein Gesicht nicht gerade beeindruckte Bewunderung verraten mußte, eher amüsierte Ironie. Das gefiel ihm nicht. In seinen Augen blitzte etwas auf.
«Es ist symptomatisch für die Slum-Mentalität, zu verspotten, was sie nicht versteht«, meinte er.
«Sid«, sagte Charles scharf, unbewußt einen Teil meines Namens preisgebend,»du hast doch sicher auch etwas anderes zu tun. Wir können dich bis zum Essen entbehren.«
Ich stand auf. Natürlich stieg die Wut in mir hoch, aber ich ließ sie nicht durchbrechen. Ich schluckte.
«Schon gut«, murmelte ich.