«Die Leute übertreiben«, erwiderte ich lächelnd.»Mein erster Trainer, bei dem ich Lehrling war, verstand etwas von der Börsenspekulation, und ich hatte Glück.«
«Hm.«
Es blieb eine Weile still, während er mit seiner Entscheidung zögerte. Ich störte ihn nicht, war aber sehr erleichtert, als er schließlich sagte:»Sie haben sich vorher mit Radnor
besprochen?«
«Ja.«
«Na gut. «Er stand auf und legte das Sandwich weg.»Sie können Radnor sagen, daß ich mit einer Untersuchung einverstanden bin. Die Zustimmung meiner Kollegen werde ich wohl erreichen. Sie wollen sicher sofort anfangen?«
Ich nickte.
«Zu den üblichen Bedingungen?«
«Keine Ahnung«, sagte ich.»Vielleicht setzen Sie sich deswegen mit Mr. Radnor in Verbindung.«
Da ich nicht wußte, wie die üblichen Bedingungen lauteten, wollte ich nicht darüber sprechen.
«Ja, in Ordnung. Und, Sid. Wir sind uns einig, daß das unter uns bleiben muß! Wir können es uns nicht leisten, daß Kraye ein Verfahren wegen Verleumdung gegen uns anstrengt.«
«Das Detektivbüro Radnor ist berühmt für Diskretion«, sagte ich lächelnd.
Radnor hatte recht. Die Leute zahlten dafür, daß man ihre Geheimnisse bewahrte. Warum auch nicht?
Kapitel 6
In der Abteilung Rennsport war es ruhig, als ich am nächsten Morgen erschien, in erster Linie, weil Chico unterwegs war. Alle anderen Köpfe waren über die Schreibtische gebeugt. Dolly sah auf und sagte seufzend:»Sie sind schon wieder zu spät dran. «Es war zehn vor zehn.»Der Alte möchte Sie sprechen.«
Ich schnitt ihr eine Grimasse und ging die Treppe hinunter, Joanie schaute auf die Uhr.
«Er fragt schon seit einer halben Stunde nach Ihnen.«
Ich klopfte und ging hinein. Radnor saß an seinem Schreibtisch und studierte Unterlagen, den Bleistift in der Hand. Er sah mich an und runzelte die Stirn.
«Warum kommen Sie so spät?«
«Ich habe Bauchweh gehabt«, sagte ich spöttisch.
«Lassen Sie die Witze«, fauchte er mich an und sagte dann etwas ruhiger:»Ach so, ich habe es nicht so gemeint.«
«Nein. Aber es tut mir leid, daß ich mich verspätet habe.«
Es tat mir keineswegs leid, daß es aufgefallen war. Früher hatte kein Mensch auch nur einen Ton gesagt, wenn ich den ganzen Tag nicht erschienen war.
«Wie sind Sie mit Lord Hagbourne zurechtgekommen?«fragte Radnor.»War er interessiert?«
«Ja. Er ist mit einer Untersuchung einverstanden. Ich sagte, die Bedingungen könnte er mit Ihnen besprechen.«
«Aha. «Er drückte auf die Taste des Gegensprechgeräts.
«Joanie, versuchen Sie Lord Hagbourne zu erreichen. Wahrscheinlich ist er noch in seiner Londoner Wohnung.«
«Ja, Sir«, klang ihre Stimme aus dem Lautsprecher.
«Hier«, sagte Radnor und nahm eine flache braune Schachtel aus einer Schublade.
«Sehen Sie sich das an!«
Die Schachtel enthielt einen Stapel großer Fotografien. Ich sah sie mir der Reihe nach an und atmete erleichtert auf. Sie waren alle scharf gestochen bis auf ein paar, die ich doppelt geschossen hatte. Das Telefon auf Radnors Schreibtisch läutete einmal. Er nahm den Hörer ab.
«Ah, guten Morgen, Lord Hagbourne. Hier Radnor. Ja, richtig.«
Er bedeutete mir mit einer Handbewegung, ich möchte mich setzen, was ich tat. Ich hörte zu, während er gelassen und selbstsicher verhandelte.
«In solchen Fällen ist natürlich noch eins zu beachten, Lord Hagbourne. Wir stellen eine kleine Zusatzprämie in Rechnung, wenn unsere Leute größere Risiken eingehen müssen. Ja, wie im Fall Canless. Genau. Gut, Sie werden in ein paar Tagen einen Zwischenbericht bekommen. Ja. Wiedersehen.«
Er legte auf, biß sich nachdenklich auf die Unterlippe und sagte schließlich:»Na schön, Sid. Machen Sie sich an die Arbeit!«
«Aber.«, begann ich.
«Nichts aber«, sagte er.»Das ist Ihr Fall. Tun Sie etwas.«
Ich stand auf, die Fotos in der Hand.
«Kann ich, kann ich Bona Fides heranziehen und so weiter?«
Er nickte.
«Sid, Sie können sich des ganzen Unternehmens bedienen. Aber achten Sie auf die Spesen, wir müssen an die Konkurrenz denken. Und wenn Sie Leute hinausschicken, arrangieren Sie das über Dolly oder die anderen Abteilungsleiter. Einverstanden?«
«Wird das nicht Schwierigkeiten geben? Ich meine, ich zähle doch hier nicht viel.«
«Und an wem liegt das? Wenn sie nicht tun wollen, was Sie verlangen, verweisen Sie sie an mich. «Er starrte mich ausdruckslos an.
«In Ordnung. «Ich ging zur Tür.»Äh — wer bekommt die Gefahrenzulage?«fragte ich.»Der Ermittler oder die Firma?«
«Sie sagten doch, Sie wollten ohne Gehalt arbeiten«, bemerkte er trocken.
Ich lachte.»Stimmt. Und die Spesen?«
«Ihr Wagen braucht irrsinnig viel Benzin.«
«Halb so schlimm.«
«Sie bekommen, was den anderen auch zusteht — und die übrigen Spesen.«
«Danke.«
Er lächelte plötzlich.»Der Start ist freigegeben«, sagte er.»Was Sie im Rennen anfangen, hängt von Ihrer Geschicklichkeit ab, wie früher auch. Ich decke Sie mit dem Ruf meiner Firma, und ich kann mir den Verlust meines Einsatzes nicht leisten. Denken Sie daran!«
«Ja«, sagte ich ernsthaft,»das werde ich tun.«
In der Abteilung Bona Fides telefonierten wie üblich sechs Personen auf einmal. Der Abteilungsleiter, die Muschel ans eine Ohr, die Hand an das andere gepreßt, war ein großer, glatzköpfiger Mann mit Brille, die auf die Nase heruntergerutscht war. Wie immer war er in Hemdsärmeln, trug einen zerfransten Pullover und eine ausgebeulte graue Hose, keine Krawatte. Er schien einen unerschöpflichen Fundus an uralter Kleidung zu haben.
Ich wartete, bis er sein langes Gespräch mit einem Direktor über die Meriten eines künftigen Geschäftsführers einer Glasfabrik beendet hatte. Jack Copeland verfügte über den Vorzug, sich in vielen Branchen auszukennen. Er unterhielt sich mit dem Glasfabrikanten, als sei er in diesem Zweig groß geworden. Fünf Minuten später konnte er ebenso fundiert über die Brauchbarkeit eines Stadtkämmerers diskutieren.
Er hatte große Macht, schien sich dessen aber nicht bewußt zu sein, was ihm die Sympathie vieler Menschen eintrug. Nach Radnor war er der wichtigste Mann in der Firma.
«Jack«, sagte ich, als er auflegte,»könnten Sie für mich jemanden überprüfen lassen, bitte?«
«Und was ist mit der Abteilung Rennsport?«fragte er.
«Er hat nichts mit der Branche zu tun.«
«Oh? Um wen geht es?«
«Um einen Howard Kraye. Ich weiß nicht, ob er einen Beruf hat. Er spekuliert an der Börse und ist leidenschaftlicher Sammler von Kristallen.«
Ich nannte Krayes Anschrift in London. Copeland notierte sich hastig meine Angaben.
«Okay, Sid. Ich setze einen meiner Leute darauf an und gebe Ihnen einen Vorbericht. Ist es dringend?«
«Ziemlich.«
«Gut. «Er riß das Blatt vom Block.»George? Sie sind noch mit Ihrem Wollfritzen beschäftigt? Da ist der nächste, sobald Sie fertig sind!«
«George«, sagte ich,»seien Sie vorsichtig!«
Die beiden starrten mich an.
«Eine Bombe mit Zeitzünder«, sagte ich,»nicht kippen!«
«Mal was anderes«, meinte George fröhlich,»keine Sorge, Sid.«
Jack Copeland beäugte mich durch die Brille.»Sie haben sich doch mit dem Alten abgesprochen?«
«Ja«, ich nickte.»Er sagte, Sie sollten bei ihm rückfragen, wenn Sie es für nötig halten.«
Er lächelte kurz.»Schon gut. Ist das alles?«
«Im Augenblick ja, danke.«
«Übrigens, ist das Ihr eigener Fall, oder steckt Dolly dahinter?«
«Meiner.«
«Aha«, sagte er.»Da hat sich also doch was geändert.«
Ich lachte.»Soll vorkommen.«
In der Abteilung Rennsport war Dolly gerade dabei, die Umstellung der Schreibmaschine zu überwachen. Ich erkundigte mich, was los wäre, und sie lächelte strahlend.