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Radnor hatte es also nicht eilig, mich wieder aufzunehmen. Ich hätte gelächelt, wenn die Energie dazu vorhanden gewesen wäre.

Als er mir eine Stellung angeboten hatte, vermutete ich, daß mein Schwiegervater irgendwo im Hintergrund seine Beziehungen spielen ließ. Ich war damals in einer gleichgültigen Stimmung gewesen. Nichts spielte mehr eine Rolle für mich.

«Warum nicht?«sagte ich zu Radnor, und er stellte mich als Ermittler in der Abteilung Rennsport an, ohne meinen gänzlichen Mangel an Erfahrung zu berücksichtigen. Den anderen erzählte er, daß ich als Berater dienen würde, weil ich die Branche in- und auswendig kennte. Insgesamt hatten sie es recht vernünftig aufgenommen. Vielleicht begriffen sie wie ich selbst, daß meine Anstellung vom Mitleid diktiert war. Vielleicht dachten sie auch, ich sollte eigentlich zu stolz sein, diese Art von Mitleid zu akzeptieren. Ich war es nicht. Es war mir so oder so egal.

Radnors Ermittlungsdienst bestand noch aus den Abteilungen Vermißte, Bewachung und Scheidung, dazu kam ein Arbeitsgebiet mit dem Titel Bona Fides, das beinahe so groß war wie alle anderen zusammengenommen. Der Großteil der Arbeit bestand aus Routineermittlungen, die manchmal zu Zivilverfahren oder Scheidungsprozessen führten. Meistens aber wurde lediglich ein vertraulicher Bericht an den Kunden geschickt. Strafsachen wurden zwar angenommen, kamen aber selten vor. Die Geschichte mit Andrews war die erste seit drei Monaten.

Die Abteilung Rennsport war Radnors Lieblingskind. Sie hatte noch nicht existiert, als er nach dem Krieg die Agentur gekauft und aus einem kleinen Büro zu einem im ganzen Land bekannten Unternehmen gemacht hatte. Auf den Briefköpfen stand >Schnelligkeit, Resultate, absolute Vertraulichkeitc. Radnor hielt seine Versprechen. Eine aus frühester Jugend datierende Begeisterung für den Pferderennsport, dazu sechsmaliger Start bei Jagdrennen hatten ihn nicht so sehr dazu gebracht, sich dem Jockeyclub und dem Nationalen

Rennsportkomitee aufzudrängen, als vielmehr die Möglichkeit, durchblicken lassen zu können, daß ihnen sein Unternehmen zur Verfügung stand. Der Jockeyklub und das Rennsportkomitee steckten die Zehen ins Wasser, fanden es vorteilhaft und stürzten sich hinein. Die Abteilung Rennsport blühte auf. Nach einiger Zeit überwogen private Aufträge — vor allem, als Radnor Bewacher für wertvolle Pferde zu stellen begann.

Als ich in die Firma eintrat, hatte die Abteilung Rennsport schon solchen Erfolg, daß sie sich von dem großen Büro in den nächsten Raum ausgebreitet hatte. Gegen eine erträgliche Gebühr konnte ein Trainer Wesen und Vergangenheit eines künftigen Pferdebesitzers, ein Buchmacher seinen Kunden, ein Kunde seinen Buchmacher, jeder jeden überprüfen. Der Ausdruck > Anerkannt von Radnor< war in den Jargon übergegangen: Echt, hieß das — vertrauenswürdig. Ich hatte sogar einmal gehört, daß man das Prädikat auf ein Pferd anwandte. Einen Auftrag bekam ich jedoch nie. Diese Arbeit wurde von einer Gruppe unauffälliger, älterer, pensionierter Polizeibeamter geleistet, die mit dem geringsten Aufwand an Zeit die besten Resultate erzielten. Man hatte mich nie ausgeschickt, eine ganze Nacht vor der Stallbox eines Favoriten zu sitzen, obwohl ich das bereitwillig getan hätte. Ich war nie einer Rennbahn-Patrouille zugeteilt worden. Wenn die Rennleitung um die Entsendung von Leuten bat, die unerwünschte Elemente bei Rennveranstaltungen bewachen sollten, kam ich nicht in Frage. Wenn jemand auf Taschendiebe im Tattersall angesetzt wurde, war ich es nicht. Radnors Ausreden für das Ausbleiben von Aufträgen waren erstens, daß man mich in der Rennsportwelt zu gut kannte, als daß ich unauffällig hätte arbeiten können; und zweitens, daß er nicht der Mann wäre, einem ehemaligen Championjockey Aufgaben zu übertragen, die ihn sein Gesicht verlieren ließen, selbst wenn mir das nichts auszumachen schien.

Das Ergebnis war, daß ich fast die ganze Zeit damit zubrachte, im Büro die Berichte anderer Leute zu lesen. Wenn mich jemand um Rat anging, erteilte ich ihn. Wenn mich jemand fragte, was ich unter gewissen Umständen tun würde, sagte ich meine Meinung. Ich lernte alle Außendienstangestellten kennen eigentlich mußte man sie ja alle als Privatdetektive einstufen — und unterhielt mich mit ihnen, wenn sie das Büro aufsuchten. Zeit dazu hatte ich immer. Wenn ich mir einen Tag frei nahm und ein Rennen besuchte, beschwerte sich niemand. Manchmal fragte ich mich, ob es überhaupt auffiel.

Von Zeit zu Zeit erklärte ich Radnor, er brauchte mich nicht zu behalten, da ich ja offensichtlich mein Gehalt nicht verdiente. Er erwiderte jedesmal, er wäre mit der Abmachung zufrieden, wenn ich nichts einzuwenden hätte. Ich gewann den Eindruck, daß er auf etwas wartete, wußte aber nicht, worauf. An dem Tag, als mich Andrews Kugel erwischte, war ich auf diese Art genau zwei Jahre bei Radnor >tätig< gewesen.

Eine Schwester kam ins Zimmer, um die Schläuche nachzusehen und meinen Blutdruck zu messen. Sie lächelte, sagte aber nichts. Ich wartete darauf, daß sie sagen würde, meine Frau wäre draußen und fragte besorgt nach mir.

Sie sagte es nicht. Meine Frau war nicht gekommen und würde nicht kommen. Wenn ich sie nicht hatte halten können, solange ich richtig am Leben gewesen war, warum sollte mein BeinaheTod sie herbeischaffen. Jenny. Meine Frau. Immer noch meine Frau, trotz dreijähriger Trennung. Bedauern war es wohl, was uns beide vor dem endgültigen Schritt einer Scheidung zurückhielt. Wir hatten Leidenschaft, Freude, Meinungsverschiedenheiten, Zorn und schließlich die Explosion erlebt. Nur das Bedauern blieb. Es war nicht stark genug, sie ins Krankenhaus zu bringen. Sie hatte mich schon so oft im Krankenhaus gesehen. Es war nicht mehr dramatisch, nicht mehr wirkungsvoll, wenn ich auf einem Krankenbett lag — selbst mit Schläuchen nicht. Sie würde nicht kommen, nicht telefonieren, nicht schreiben. Es war dumm von mir, es zu wünschen.

Die Zeit verging langsam, und ich hatte keinen Spaß dabei. Endlich wurden eines Tages die Schläuche bis auf den im Arm entfernt, und mein Körper begann zu heilen. Die Polizei fand Andrews nicht, Jenny blieb aus, Radnors Schreibdamen schickten mir eine Genesungskarte und das Krankenhaus eine Rechnung.

Eines Abends schlenderte Chico ins Zimmer, die Hände in den Hosentaschen, das übliche höhnische Grinsen im Gesicht. Er betrachtete mich gemächlich von oben bis unten, das Grinsen schien sich zu verstärken.

«Mit Ihnen möchte ich nicht tauschen«, sagte er.

«Sie können mich mal!«

Er lachte. Was Wunder, ich war für ihn eingesprungen, weil er mit einem Mädchen verabredet gewesen war, und Andrews Kugel hätte ihm Schmerzen verursachen sollen, nicht mir.

«Andrews«, sagte er nachdenklich.»Wer hätte das gedacht? Der kleine Knilch! Trotzdem, wenn Sie getan hätten, was ich gesagt habe — in der Toilette geblieben wären und sein Foto mit der Infrarotkamera aufgenommen hätten —, wäre er später ganz schlicht hopp gegangen, und Sie könnten im Büro herumhocken, statt hier langsam zu zerlaufen.«

«Sie brauchen mir das nicht noch unter die Nase zu reiben«, erwiderte ich.»Was hätten Sie gemacht?«

Er grinste.»Wahrscheinlich dasselbe wie Sie. Ich hätte gedacht, daß ein paar Ohrfeigen genügten, um aus dem Kerl herauszubringen, wer ihn geschickt hat.«

«Und das wissen wir jetzt nicht.«

«Nein. «Er seufzte.»Der Alte ist natürlich nicht maßlos begeistert. Er wußte zwar, daß ich das Büro als Falle benutzte, aber er glaubte nicht, daß es klappen würde. Jetzt ist er natürlich sauer. Er versucht, das Ganze zu vertuschen. Sie hätten auch eine Bombe schicken können, meint er. Und Andrews hat natürlich ein Fenster eingeschlagen, das ich wahrscheinlich bezahlen muß. Natürlich kommt der Trottel mit einem Schloß nicht zurecht.«

«Das Fenster bezahle ich«, sagte ich.

«Ja«, meinte er grinsend.»Ich habe mir schon gedacht, daß Sie’s tun, wenn ich’s Ihnen sage.«

Er wanderte im Zimmer herum und sah sich alles an. Es gab nicht viel zu sehen.