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«Sieht so aus, als wären Sie am Drücker. Der Alte hat eben angerufen und erklärt, daß Sie einen Platz zum Arbeiten brauchen. Jones klaut schnell einen Tisch in der Vermißtenabteilung. Das genügt doch vorerst, nicht wahr? Wir haben keinen freien Schreibtisch.«

Lautes Krachen und Poltern draußen kündigte die Rückkehr des jungen Jones an, der einen zerbrechlichen Schreibtisch hereinschleppte.

«Wie die Kerle hier einen Vermißten finden, weiß der Teufel.«

Er verschwand und kam kurz darauf mit einem Stuhl wieder.

«Was ich alles für Sie mache«, sagte er.»Im Schreibzimmer sitzt ein dummes Ding jetzt auf einem Hocker.«

«Wir brauchen mehr Möbel«, murmelte ich.

«Machen Sie keine Witze«, sagte Dolly.»Jedesmal, wenn der Alte einen Schreibtisch kauft, stellt er zwei neue Leute ein. Als ich vor fünfzehn Jahren hier anfing, hatte jeder sein eigenes Zimmer, ob Sie es glauben oder nicht.«

Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und sortierte die Fotografien, nahm die undeutlichen und doppelten Aufnahmen heraus, zerriß sie und warf die Fetzen in Dollys Papierkorb. Damit blieben mir einundfünfzig Fotos über den Inhalt von

Krayes Aktenköfferchen.

Die zwei größten Stapel waren die Verkaufsbescheinigungen von Seabury-Aktien und die Briefe von Krayes Börsenmakler. Das Blatt mit der Überschrift >S. R.< erwies sich als eine Aufstellung von Aktien, so daß ich sie diesem Päckchen zuschlug. Geblieben waren die Fotos der Banknoten, von Transaktionen, die mit Seabury nichts zu tun hatten, und die beiden Blätter, die ich unter der Schreibunterlage gefunden hatte.

Ich las alle Briefe des Börsenmaklers durch, eines gewissen Ellis Bolt, der einer Firma Charing, Street and King angehörte. Bolt und Kraye verkehrten in freundschaftlichem Ton miteinander. Die Briefe enthielten Bemerkungen über gesellschaftliche Veranstaltungen, bei denen sie sich getroffen hatten. Aber vorwiegend beschäftigten sie sich mit Aktien, vorgeschlagenen oder durchgeführten Käufen, mit Steuern, Gebühren und Provisionen.

Zwei Briefe waren mit der Hand geschrieben. Der erste, datiert vor zehn Tagen, lautete ganz kurz: >Erwarte mit Interesse die Nachrichten am Freitag. E.<

Der zweite Brief, den Kraye am Morgen vor seiner Abfahrt nach Aynsford erhalten haben mußte, hatte folgenden Text:

>Lieber H.

Ich habe die verbesserte Fassung in die Druckerei gegeben. Die Rundschreiben müssen Ende nächster Woche oder spätestens am kommenden Dienstag versandt sein. Jedenfalls zwei oder drei Tage vor der nächsten Versammlung. Das müßte genügen, denke ich. Wenn es wieder Schwierigkeiten gibt, sollte die Unruhe beträchtlich sein, aber Sie werden sich ja darum kümmern. E.<»Dolly«, sagte ich,»darf ich schnell telefonieren?«

«Bitte.«

Ich rief zur Abteilung Bona Fides hinauf.

«Jack, kann ich noch Auskünfte über einen anderen Mann haben? Ellis Bolt, Börsenmakler, bei einer Firma Charing, Street and King. «Ich gab ihm die Anschrift.»Er ist mit Kraye befreundet. Auch hier dürfte Vorsicht geboten sein.«

«In Ordnung. Sie bekommen Bescheid.«

Ich starrte die beiden harmlos aussehenden Briefe an.

>Erwarte mit Interesse die Nachrichten am Freitag.<

Das konnte alles mögliche bedeuten, aber auch die >Nachrichten<. Ich hatte am Freitag im Radio gehört, daß das Rennen in Seabury abgesagt worden war, weil ein Tankfahrzeug mit Chemikalien umgekippt war und den Rasen verbrannt hatte.

Der zweite Brief war genauso vieldeutig. Er konnte sich durchaus auf eine Aktionärsversammlung beziehen, in der Schwierigkeiten auf jeden Fall vermieden werden mußten. Oder er konnte sich auf eine Rennveranstaltung in Seabury beziehen, wo weitere Schwierigkeiten den Verkauf der Aktien beeinflussen würden.

Es war wie bei einem Zauberkunststück: Von der einen Seite sah man einen normalen Gegenstand, von der anderen einen Trick.

Wenn es ein Trick war, steckte Mr. Ellis Bolt bis zu den Ohren in unsauberen Geschäften. Wenn ich aber voreilige Schlußfolgerungen zog, tat ich einem respektablen Börsenmakler bitteres Unrecht.

Ich nahm den Hörer ab und ließ mir eine Amtsleitung geben.

«Charing, Street and King, guten Morgen«, sagte eine ruhige Frauenstimme.

«Oh, guten Morgen. Ich möchte gerne einen Termin bei Mr. Bolt, um die Anlage einer größeren Summe zu besprechen.

Wäre das möglich?«

«Selbstverständlich ja. Hier ist Mr. Bolts Sekretärin. Ihr Name?«

«Halley, John Halley.«

«Sind Sie ein neuer Klient, Mr. Halley?«

«Ja.«

«Aha. Mr. Bolt wird morgen nachmittag im Büro sein. Sie könnten um halb vier kommen. Ist Ihnen das recht?«

«Danke, ausgezeichnet. Ich komme rechtzeitig.«

Ich legte auf und sah Dolly an.

«Haben Sie etwas dagegen, wenn ich weggehe?«

«Lieber Sid, Sie sind ja sehr süß, aber Sie brauchen mich nicht um Erlaubnis zu fragen. Der Alte hat klargestellt, daß Sie jetzt auf sich selbst gestellt sind. Sie sind keinem verantwortlich, nur dem Alten. Ich gebe zu, daß er so etwas noch nie gemacht hat, aber Sie können tun, was Sie wollen. Ich bin nicht mehr Ihre Vorgesetzte.«

«Es macht Ihnen nichts aus?«

«Nein«, sagte sie nachdenklich.»Wenn ich mir’s richtig überlege — nein. Ich habe das Gefühl, was der Alte von Ihnen immer schon wollte, ist, daß Sie sein Partner werden.«

«Dolly!«sagte ich entsetzt.»Machen Sie sich doch nicht lächerlich.«

«Er wird nicht jünger«, meinte sie.

«Und da sucht er sich ausgerechnet einen lädierten Jockey aus?«

«Er sucht sich jemanden aus, der Geld genug hat, sich als Partner einzukaufen; jemanden, der in seinem Beruf an der Spitze war und der in ein paar Jahren in einem anderen wieder an die Spitze kommen wird.«

«Sie sind nicht bei Trost, Dolly. Gestern früh hätte er mich beinahe hinausgeworfen.«

«Aber Sie sind immer noch hier, oder? Mehr als je zuvor. Und Joanie sagte, er wäre gestern, nachdem Sie bei ihm waren, in großartiger Stimmung gewesen.«

Ich schüttelte lachend den Kopf.

«Sie sind romantisch. Aus einem Jockey wird genauso wenig ein Privatdetektiv, wie — «

«Na was?«

«— aus einem Auktionator oder einem Buchhalter ein Vertreter wird.«

Sie schüttelte den Kopf.

«Sie sind schon ein Privatdetektiv, ob Sie’s wissen oder nicht. Ich habe Sie die ganzen zwei Jahre beobachtet, erinnern Sie sich? Es hat zwar den Anschein, als täten Sie nichts, aber Sie haben alles gelernt, was man hier lernen kann. Wenn Sie nicht aufpassen, sitzen Sie Ihr ganzes Leben hier fest.«

Ich glaubte ihr nicht, und ich schenkte ihren Worten keine große Beachtung. Ich grinste.

«Ich fahre heute nachmittag nach Seabury, zum Rennplatz. Wollen Sie mitkommen?«

«Soll das ein Witz sein?«seufzte sie. Ihr Schreibtisch war beladen mit Akten.»Ich wäre schon zufrieden, wenn ich in Ihrer Rakete mitfahren und ein bißchen Seeluft atmen könnte.«

Ich sammelte die Fotos ein und legte sie zusammen mit den Negativen in die Schachtel zurück. Der Tisch, der mir zugeteilt worden war, verfügte über eine Schublade, und ich zog sie heraus, um die Fotos aufzuheben. Sie enthielt ein Paket Stullen, ein paar Päckchen Zigaretten und eine halbe Flasche Whisky. Ich begann zu lachen.

«Von der Vermißtenabteilung wird gleich jemand kommen und sein Eigentum als vermißt melden«, sagte ich.

Der Rennplatz Seabury lag ungefähr einen Kilometer von der Küste entfernt, direkt an einer Nebenstraße zum Meer. Wenn man sich auf den Tribünen umdrehte, konnte man die silbrigglänzende Oberfläche des Kanals sehen. Dazwischen und auf beiden Seiten lagen Häuschen, nichts als Häuschen. In jedem ein pensionierter Lehrer, Beamter oder Pfarrer — oder ihre Witwen, die es geschafft hatten und in einem Häuschen am Meer wohnen konnten.