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Sie drehte sich aber nicht um. Sie bewegte nur den Kopf ein bißchen zur Seite und fragte:»Ja?«

«Ich bin für halb vier zu Mr. Bolt bestellt«, antwortete ich.

«Ah ja, Sie sind Mr. Halley. Nehmen Sie Platz. Ich sehe nach, ob Mr. Bolt frei ist.«

Sie wies auf einen Sessel und drückte auf eine Taste an ihrem Sprechgerät. Während ich zuhörte, wie sie Mr. Bolt von meinem Eintreffen unterrichtete, hatte ich Zeit zu sehen, daß sie Ende Dreißig war, schlank, aufrecht in ihrem Stuhl saß und glattes dunkles Haar hatte, das ihr Gesicht halb verdeckte. Sie trug keine Ringe, und ihre Nägel waren unlackiert, dazu dunkle schlichte Kleidung. Es hatte den Anschein, als gäbe sie sich Mühe, unattraktiv zu erscheinen. Als sie aber den Kopf halb drehte und mir sagte, Mr. Bolt wäre jetzt frei, zeigte sie ein hübsches Profil. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf ein braunes Auge, das schnell gesenkt wurde, die Andeutung eines Lächelns um blasse Lippen, dann wandte sie mir wieder den Hinterkopf zu.

Ein wenig erstaunt öffnete ich die Tür zu Bolts Arbeitszimmer und trat ein. Auch hier kein erhebender Anblick. Das Zimmer war zwar größer und verfügte über einen grünen Teppich, aber die Wände waren in Grau gehalten und verliehen dem Ganzen eine düstere Note. Wenn die unauffällige Einrichtung mit Solidität gleichzusetzen war, mußte Bolt als ehrlicher Geschäftsmann gelten. Er stand hinter seinem Schreibtisch mit ausgestreckter Hand. Ich drückte sie, er bot mir einen Sessel und eine Zigarette an.

«Nein, danke, ich rauche nicht.«

«Sie Glücklicher!«sagte er jovial und setzte sich.

Sein Gesicht war überall rund — große runde Nase, runde Backen, rundes dickes Kinn. Er hatte buschige Augenbrauen, dicke Lippen und machte ein selbstzufriedenes Gesicht.

«Also, Mr. Halley, ich bin dafür, daß wir gleich zur Sache kommen. Was kann ich für Sie tun?«

Er hatte eine einschmeichelnde Stimme und schien sich selbst gern zu hören.

«Eine Tante hat mir etwas Geld gegeben, statt es mir im Testament zu vermachen. Ich möchte es anlegen.«

«Aha. Und warum kommen Sie zu mir? Haben Sie eine Empfehlung?«

Er verstummte einladend und beobachtete mich mit Augen, die mir verrieten, daß er kein Dummkopf war.

«Tja. «Ich zögerte und lächelte schüchtern, um zu zeigen, daß ich ihn keineswegs beleidigen wollte,»ich habe Sie buchstäblich mit einer Nadel gefunden. Ich kenne keine Börsenmakler und wußte nicht, wen ich nehmen sollte, deshalb suchte ich mir das Branchenadreßbuch heraus, steckte eine Nadel hinein, und die Wahl ist auf Sie gefallen.«

«Ah«, sagte er in väterlichem Ton und vermerkte den schlechten Sitz von Chicos zweitbestem Anzug, den ich mir für diese Gelegenheit ausgeborgt hatte.

«Können Sie mir helfen?«fragte ich.

«Ich denke schon. Wie groß ist denn das — äh — Geschenk?«

Seine Stimme klang ein wenig herablassend und gelangweilt. Er argwöhnte, daß ich nur gekommen war, ihm die Zeit zu stehlen.

«Fünfzehnhundert Pfund.«

Sein Gesicht hellte sich etwas auf.»Ja, damit können wir schon etwas anfangen. Kommt es Ihnen auf Wachstum oder auf hohen Ertrag an?«

Ich sah ihn verständnislos an. Er erklärte mir den Unterschied, ohne mir zum einen oder zum anderen zu raten.

«Na, dann Wachstum«, sagte ich.»Machen Sie ein Vermögen daraus, für das Alter.«

Er lächelte schwach und zog ein Blatt Papier heran.

«Kann ich bitte Ihren vollen Namen haben?«

«John Halley — John Sidney Halley«, sagte ich wahrheitsgemäß.

«Anschrift?«

Ich nannte sie.

«Und Ihre Bank?«

Ich gab ihm auch darüber Auskunft.

«Und ich brauche eine Empfehlung.«

«Sind Sie mit dem Geschäftsführer der Bank einverstanden?«fragte ich.»Ich habe dort seit zwei Jahren ein Konto. Er kennt mich ziemlich gut.«

«Ausgezeichnet. «Er schraubte seinen Füllhalter zu.»Haben Sie bereits eine Vorstellung, welche Aktien in Frage kommen, oder überlassen Sie das mir?«

«Ach, das überlasse ich Ihnen, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ich verstehe nämlich nichts davon. Ich möchte nur das Geld nicht einfach so herumliegen lassen.«

«Durchaus verständlich. «Er langweilte sich.»Sagen Sie, Mr. Halley, was für einen Beruf haben Sie?«

«Oh. Hm. Ich arbeite in einem Einzelhandelsgeschäft, Herrenkleidung, sehr interessant.«

«Zweifellos. «Er schien ein Gähnen zu unterdrücken.

«Ich habe Aussichten, nächstes Jahr Zweiter Einkäufer zu werden.«

«Wunderbar. «Er hatte genug, stand auf und führte mich zur Tür.»Also gut, Mr. Halley, ich lege Ihr Geld in soliden Papieren an und schicke Ihnen zu gegebener Zeit die Unterlagen zur Unterschrift. Sie hören in acht bis zehn Tagen von mir. Einverstanden?«

«Ja, Mr. Bolt, recht herzlichen Dank«, erwiderte ich respektvoll. Er schloß die Tür hinter mir.

Im Vorzimmer befanden sich jetzt zwei Personen. Die Frau, immer noch mit dem Rücken zu mir, und ein magerer älterer Mann mit schmalen Lippen. Er schien sich hier zu Hause zu fühlen und betrat nach einem kurzen Seitenblick auf mich Bolts Büro — wohl ein Angestellter.

Die Frau tippte Adressen auf Briefumschläge. Ein Stapel fertiger Umschläge lag links neben ihr, rechts schrieb sie von einer Namenliste ab. Ich blickte über ihre Schulter und riß die Augen auf. Es war eine Liste der Aktionäre des Rennplatzes Seabury.

«Wünschen Sie etwas, Mr. Halley?«fragte sie höflich, zog einen Umschlag aus der Schreibmaschine und spannte den nächsten ein.

«Tja-äh-ja.«

Ich wollte um den Schreibtisch herumgehen und stellte fest, daß das nicht ging. Ein großer altmodischer Tisch mit wulstigen Beinen füllte den Raum zwischen Schreibtisch und Wand aus. Ich begann zu begreifen.

«Vielleicht wären Sie so nett und würden mir verschiedenes über die Investierung von Kapital erklären. Ich wollte Mr. Bolt nicht zu sehr belästigen, er hat viel zu tun.«

«Tut mit leid, Mr. Halley. «Ihr Kopf war abgewandt und über die Liste gebeugt.»Ich habe zu tun, wie Sie sehen. Warum lesen Sie nicht die Börsenseite in der Zeitung oder besorgen sich ein Buch?«

Ich hatte schon ein Buch — die >Grundzüge des Gesellschaftsrechts<. Zumindest eines hatte ich daraus erfahren, daß nur Börsenmakler Rundschreiben an Aktionäre versenden durften. Bei Privatpersonen galt das als ungesetzlich. Kraye durfte also keine Rundbriefe an die Aktionäre des Rennplatzes schicken. Bolt durfte es.

«Mit den Büchern ist das nicht so einfach«, meinte ich.

«Wenn Sie jetzt beschäftigt sind, dürfte ich vielleicht später zurückkommen und Sie zum Essen einladen? Ich wäre Ihnen sehr dankbar.«

Sie fröstelte ein wenig.»Tut mir leid, Mr. Halley, aber das geht nicht.«

«Wenn Sie mich anschauen, damit ich Ihr Gesicht ganz sehen kann«, sagte ich,»frage ich Sie noch einmal.«

Sie zuckte zusammen, drehte sich aber schließlich um und sah mich an. Ich lächelte.»Schon besser. Darf ich Sie heute abend einladen?«

«Sie haben es erraten?«

Ich nickte.»An der Art, wie Sie die Möbel aufgestellt haben. Einverstanden?«

«Sie wollen immer noch?«

«Selbstverständlich. Wann sind Sie fertig?«

«Gegen sechs.«

«Ich hole Sie unten ab.«

«Also gut«, sagte sie,»wenn Sie es wirklich ernst meinen, danke. Ich habe sonst nichts vor.«

Jahre hoffnungsloser Einsamkeit prägten die Worte — heute nichts vor und sonst auch nicht. Dabei war ihr Gesicht nicht so schrecklich anzusehen; bei weitem nicht so schlimm, wie ich erwartet hatte. Sie hatte ein Auge verloren und trug ein gläsernes. Man sah die Spuren einer umfangreichen Verbrennung und zweifellos auch von Brüchen der Gesichtsknochen, aber durch kosmetische Operationen war der Schaden im wesentlichen behoben worden, und außerdem schien das alles sehr lange her zu sein. Die Narben waren alt. Nur die innere Wunde hatte nicht heilen können.