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«Man kann sehr wohl wissen, wie es ist, und trotzdem einem anderen — «Sie war ganz durcheinander.

«Quälen Sie sich nicht. Es war Güte, Mitgefühl.«

«Meinen Sie, daß Mitleid und Mitgefühl dasselbe sind?«fragte sie zögernd.

«Sehr oft, ja. Aber Mitgefühl ist diskret, Mitleid taktlos. Ach, entschuldigen Sie. «Ich lachte.»Es war mitfühlend von Ihnen zu bedauern, daß ich mir das Fleisch nicht selbst schneiden kann, aber taktlos, es auszusprechen — das ideale Beispiel.«»Es wäre gar nicht so schwer, den Menschen zu verzeihen, die nur taktlos sind«, meinte sie nachdenklich.

«Nein«, gab ich überrascht zu,»das stimmt auch wieder.«

«Taktlosigkeit würde gar nicht so weh tun, finden Sie nicht?«

«Vielleicht.«

«Und Neugier — auch damit käme man leicht zurecht, wenn man sie auf schlechte Manieren zurückführt. Ich meine, Taktlosigkeit und schlechte Manieren sind oft gar nicht so schwer zu ertragen. Mir könnten diese Leute sogar leid tun, weil sie nicht wissen, wie sie sich benehmen müssen. Warum bin ich nicht schon früher daraufgekommen?«

«Miss Martin«, sagte ich dankbar.»Noch einen Kognak? Sie sind eine Befreierin.«

«Wie meinen Sie das?«

«Mitleid kommt von schlechten Manieren und kann ertragen werden, wie Sie sagten.«

«Das haben Sie gesagt«, wandte sie ein.

«Nein, nicht so.«

«Also gut«, sagte sie fröhlich.»Trinken wir auf eine neue Ära. Ich werde meinen Schreibtisch wieder umstellen, damit mich jeder sehen kann. Ich. «Ihre Stimme klang heiser.»Wenn sie mich allzu offensichtlich bedauern, halte ich sie für schlecht erzogen.«

Wir tranken noch einen Kognak. Innerlich fragte ich mich, ob sie morgen noch genauso entschlossen sein würde. Ich bezweifelte es.

«Ich weiß nicht, ob ich es allein schaffe«, meinte sie plötzlich.

«Aber wenn Sie mir etwas versprechen, wird es gehen.«

«Einverstanden«, sagte ich vorschnell,»was?«

«Stecken Sie morgen Ihre Hand nicht in die Tasche. Lassen Sie sie alle Menschen sehen.«

Ich konnte das nicht, morgen wollte ich zu den Rennen. Ich sah sie entsetzt an und begriff erst in diesem Augenblick ganz, was sie zu ertragen hatte und wieviel es sie kosten würde, ihren Schreibtisch umzustellen. Sie sah, was ich dachte, und in ihren Augen erlosch ein Licht.

«Miss Martin — «, ich schluckte.

«Es spielt keine Rolle«, sagte sie müde.»Es spielt keine Rolle. Außerdem ist morgen Samstag. Ich gehe nur kurz ins Büro, um die Post durchzusehen. Da hätte es keinen Sinn, den Schreibtisch zu verrücken.«

«Und am Montag?«

«Vielleicht.«

Das hieß nein.

«Wenn Sie morgen umstellen und die ganze nächste Woche durchhalten, mache ich, was Sie verlangen«, sagte ich, wobei ich vor mir selbst erschrak.

«Sie können nicht«, sagte sie traurig.»Ich sehe, daß Sie es nicht können.«

«Wenn Sie es können, kann ich es auch.«

«Ich hätte Sie nicht darum bitten sollen. Sie arbeiten ja in einem Laden.«

«Oh. «Das hatte ich vergessen.»Darauf kommt es nicht an.«

«Meinen Sie es wirklich ernst?«

Ich nickte. Ich hatte etwas für sie tun wollen, irgend etwas. Du lieber Himmel.

«Versprechen Sie es?«fragte sie zweifelnd.

«Ja. Und Sie?«

«Gut. Aber ich schaffe es nur, wenn ich weiß, daß Sie im selben Boot sitzen. Dann darf ich Sie nicht im Stich lassen, verstehen Sie?«

Ich bezahlte und brachte sie nach Hause, obwohl sie behauptete, das wäre nicht nötig. Wir fuhren mit der Untergrundbahn nach Finchley. Sie ging sofort zum abgelegensten Platz und präsentierte die unverletzte Seite ihres Gesichts der Umwelt. Sie lachte plötzlich über sich selbst und entschuldigte sich.

«Macht nichts«, sagte ich,»die neue Ära beginnt erst morgen.«

Und ich verbarg meine Hand, Feigling, der ich war.

Sie wohnte nahe bei der U-Bahnstation in einem großen Zweifamilienhaus. Am Tor blieb sie stehen.

«Möchten Sie — ach, ich meine, möchten Sie mit hereinkommen? Es ist noch nicht sehr spät, aber vielleicht sind Sie müde?«

Sie drängte nicht, aber als ich annahm, schien sie sich zu freuen.

Wir gingen durch einen kleinen Garten zu einer schwarzgestrichenen Tür mit gräßlichen, farbigen Glasscheiben. Miss Martin kramte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel, und ich dachte, daß ich das Schloß mit meinen Werkzeugen genauso schnell aufgebracht hätte wie sie mit ihrem Schlüssel. Am Ende des langen Korridors kam eine Tür, an der eine Karte mit dem Namen >Martin< befestigt war.

Zanna Martins Zimmer überraschte mich: bequem, groß, dicker Teppich, neu tapeziert und frische, satte Farben. Sie knipste eine Tischlampe an und zog orangefarbene Vorhänge zu. Sie zeigte mir stolz das erst kürzlich angebaute kleine Badezimmer und die winzige Küche, Ergänzungen, die sie selbst bezahlt hatte. Sie wohnte seit elf Jahren hier. Es war ihr Zuhause. Nur: Zanna Martin besaß keinen Spiegel — nicht einen einzigen!

Sie ging in die Küche und kochte Kaffee. Um beschäftigt zu sein, dachte ich.

Ich saß auf ihrem großen, bequemen Sofa und beobachtete, daß sie sich aus alter Gewohnheit die meiste Zeit vorbeugte, so daß ihr das schulterlange Haar das Gesicht verdeckte. Sie brachte das Tablett herein und setzte sich rechts neben mir auf das Sofa. Man konnte es ihr nicht übelnehmen.

«Weinen Sie manchmal?«fragte sie plötzlich.

«Nein.«

«Auch nicht aus — Verzweiflung?«

«Nein. «Ich lächelte.»Ich fluche.«

Sie seufzte.»Ich habe früher oft geweint. Jetzt nicht mehr. Man wird natürlich älter. Ich bin fast vierzig. Ich habe mich damit abgefunden, daß ich nie heiraten werde.«

«Die Männer sind Narren«, erwiderte ich lahm.

«Hoffentlich macht es Ihnen nichts aus, wenn ich so mit Ihnen rede? Ich habe selten jemanden zu Besuch und praktisch nie jemanden, mit dem ich mich aussprechen kann.«

Ich blieb eine Stunde, hörte mir ihre Erinnerungen und ihre Erfahrungen an.

Schließlich sagte sie:»Wie war das bei Ihnen? Ihre Hand — «

«Ach, ein Unfall. Ein scharfes Metallstück.«

Ein rasiermesserscharfes Hufeisen eines galoppierenden Pferdes, um genau zu sein. Ein harter Schlag, als ich mich nach einem ungefährlichen Sturz zur Seite rollte. Wie es eben manchmal so geht.

Ich hatte sofort gewußt, als ich das Blut aus meinem Handgelenk spritzen sah, daß ich als Jockey erledigt war. Aber ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben und bestand bei den Chirurgen darauf, daß man mir die Hand zusammenflickte, obwohl man sie sofort amputieren wollte. Ich werde nie mehr etwas damit anfangen können, sagten sie, und sie hatten recht. Zu viele Nerven und Sehnen waren durchtrennt. Ich überredete sie später, noch zweimal zu operieren, aber es war zwecklos.

Zanna Martin schien mich nach Einzelheiten fragen zu wollen, verzichtete aber zum Glück darauf. Statt dessen fragte sie:»Sind Sie verheiratet? Ich habe soviel von mir selbst gesprochen, daß ich über Sie gar nichts weiß.«

«Meine Frau ist in Athen, zu Besuch bei ihrer Schwester.«

«Herrlich«, seufzte sie.»Ich möchte.«

«Eines Tages tun Sie so etwas auch«, behauptete ich fest.»Sparen Sie und machen Sie in ein, zwei Jahren Urlaub. Eine Busreise, jedenfalls mit anderen Menschen, nicht allein!«

Ich schaute auf die Uhr und stand auf.

«Der Abend hat mir sehr gefallen. Vielen Dank dafür, daß Sie mitgekommen sind. «Sie stand auf und gab mir die Hand, ohne von einem Wiedersehen zu sprechen.»Morgen früh. «sagte sie an der Tür.

«Morgen«, entgegnete ich nickend,»stellen Sie den Schreibtisch um. Und ich — verspreche, daß ich es nicht vergessen werde.«

Ich fuhr nach Hause und verfluchte das Schicksal, das mich mit einem Menschen wie Zanna Martin zusammengeführt hatte.