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«Was ist in der Flasche, aus der es in die Vene tropft?«

«Irgendeine Nahrung, soviel ich weiß. Zu essen bekomme ich jedenfalls nie etwas.«

«Wahrscheinlich haben sie Angst, daß Sie platzen.«

«Mag sein.«

«Nicht mal einen Fernseher! Wäre doch ein Vergnügen, zur Abwechslung mal zuzuschauen, wenn andere abgeknallt werden.«

Er studierte die Fieberkurve.

«Neununddreißig vier hatten Sie heute früh, wissen Sie das? Glauben Sie, daß Sie abkratzen?«

«Nein.«

«Muß aber knapp gewesen sein, was man so hört. Jones sagte, Sie hätten geblutet wie ein abgestochenes Kalb.«

Mit Jones’ Art von Humor konnte ich nicht viel anfangen.

«Kommen Sie zurück?«fragte Chico.

«Vielleicht.«

Er knüpfte Knoten in die Zugschnur der Jalousie. Ich beobachtete ihn. Ein hagerer Bursche mit so viel Energie ausgestattet, daß es ihm schwerfiel, sich ruhig zu halten. Er hatte zwei Nächte lang erfolglos in der Toilette gewartet, bevor ich an seine Stelle getreten war, und ich wußte, daß er diese Untätigkeit nicht hätte ertragen können, wenn er nicht so an seinem Beruf gehangen hätte. Er war der Jüngste in Radnors Team, ungefähr vierundzwanzig, wie ich glaubte. Als Kind war er auf den Stufen eines Polizeireviers ausgesetzt worden, so daß niemand genau Bescheid wußte.

Wenn die Polizei nicht so gut zu ihm gewesen wäre, sagte Chico manchmal, hätte er wahrscheinlich die späteren Gelegenheiten benutzt und die Verbrecherlaufbahn eingeschlagen. Die Mindestgröße für den Polizeidienst erreichte er nie. Seine Arbeit bei Radnor war Ersatz dafür. Er war tüchtig. Er vermochte zwei und zwei behende zu addieren, und niemand reagierte schneller als er. Judo und Ringen waren seine Steckenpferde, und neben den üblichen Griffen und Überwürfen hatte er ein paar erstaunlich schmutzige Tricks gelernt. Seine kleine Statur war in keiner Weise ein Nachteil bei seiner Arbeit.

«Wie kommen Sie mit dem Fall voran?«fragte ich.

«Mit was für einem Fall? Ach, der. Seit Sie angeschossen worden sind, ist es ruhig geworden. Brinton hat seither weder Drohbriefe noch Telefonate bekommen. Die Leute, die hinter der Sache stecken, scheinen etwas gerochen zu haben. Jedenfalls fühlt er sich plötzlich sicherer und meckert bei dem Alten über die Kosten. Noch ein, zwei Tage, dann wird ihm nachts keiner mehr das Händchen halten. Außerdem bin ich abgelöst worden. Ich fliege morgen nach Irland, zusammen mit einem sündteuren Hengst.«

Als Begleitperson war ich nie eingesetzt worden. Chico hatte eine Vorliebe für diese Aufträge und war oft unterwegs. Seit er einmal einen Neunzig-Kilo-Mann über eine zwei Meter hohe Mauer geworfen hatte, war er sehr begehrt.

«Sie sollten zurückkommen«, sagte er plötzlich.

«Warum?«Ich war überrascht.

«Ich weiß nicht«, sagte er grinsend.»Eigentlich komisch, wenn einer bloß herumhockt, aber man scheint sich an Sie gewöhnt zu haben. Sie werden vermißt, Kleiner, da staunen Sie.«

«Sie machen Witze.«

«Ja. «Er löste die Knoten in der Zugschnur auf, zuckte die Achseln und steckte die Hände in die Hosentaschen.»Meine Güte, da wird einem ja schlecht. Es riecht nach warmem Karbol, scheußlich. Wie lange wollen Sie hier eigentlich noch rumliegen?«

«Tage«, sagte ich gelassen.»Guten Flug!«

«Bis dann!«Er nickte und ging erleichtert zur Tür.»Wollen Sie irgend etwas, ich meine Bücher?«

«Nichts, danke.«

«Nichts. Typisch Sid. Sie wollen nichts.«

Er grinste und verschwand. Ich wollte nichts. Typisch. Mein Problem. Ich hatte besessen, was mir am liebsten gewesen war und es unwiederbringlich verloren. Ich hatte keinen Ersatz dafür gefunden. Ich starrte an die Decke und wartete darauf, daß die Zeit verging. Ich wollte nichts, als wieder auf die Beine kommen und das Gefühl loswerden, einen Zentner grüne Äpfel verschluckt zu haben.

Drei Wochen nach der Schießerei besuchte mich mein Schwiegervater. Er kam am späten Nachmittag und brachte ein kleines Päckchen mit, das er kommentarlos auf den Nachttisch legte.

«Na, Sid, wie geht’s?«

Er ließ sich in einem Sessel nieder, schlug die Beine übereinander und zündete sich eine Zigarre an.

«Kuriert, mehr oder weniger. Ich kann bald raus, gut, gut.«

«Und deine Pläne?«

«Ich habe keine.«»Du kannst nicht ohne Rekonvaleszenz ins Büro zurück«, meinte er.

«Wahrscheinlich.«

«Irgendwo in der Sonne zu liegen, wäre dir wohl am angenehmsten«, sagte er, die Zigarre betrachtend,»es wäre mir lieb, wenn du ein paar Tage zu mir nach Aynsford kommen würdest.«

Ich schwieg eine Weile.»Ist.?«begann ich und verstummte wieder.

«Nein«, sagte er.»Sie wird nicht da sein, sie ist nach Athen gefahren, zu Jill und Tony. Ich habe sie gestern weggebracht, beste Grüße.«

«Danke«, sagte ich trocken.

Wie gewöhnlich wußte ich nicht, ob ich traurig oder fröhlich sein sollte, daß ich meine Frau nicht treffen würde.

«Du kommst also? Mrs. Cross wird sich um dich kümmern.«

«Ja, Charles, danke. Ein paar Tage auf jeden Fall.«

Er klemmte die Zigarre zwischen die Zähne, kniff die Augen zusammen und zog sein Notizbuch heraus.

«Also, sagen wir, du wirst in — na, vielleicht in einer Woche, entlassen. Hat keinen Sinn, sich zu beeilen. Das wäre der Sechsundzwanzigste. Hmm. Sagen wir — nächste Woche, Sonntag? Ich bin den ganzen Tag zu Hause. Paßt dir das?«

«Ja, wenn die Ärzte nichts dagegen haben.«

«Also abgemacht.«

Er kritzelte etwas in sein Notizbuch, steckte es weg, nahm die Zigarre aus dem Mund und lächelte, während seine Augen mich undurchdringlich und ausdruckslos anblickten. Er saß leger in seinem dunklen Geschäftsanzug da, Konteradmiral a. D. Charles Roland. Ein Mann, dem seine sechsundsechzig Jahre nicht anzusehen waren. Fotos aus dem Krieg zeigten ihn groß, aufrecht, beinahe knochig, mit hoher Stirn und dichtem dunklen

Haar. Die Zeit hatte es ergrauen lassen, und durch ihr Zurückweichen wirkte die Stirn höher als je. Außerdem hatte er zugenommen. Er war meistens außergewöhnlich charmant und gelegentlich auf herablassende Weise beleidigend. Ich hatte beides bei ihm erlebt. Jetzt lehnte er sich bequem zurück und sprach vom Hindernisrennsport.

«Was hältst du von dem neuen Rennen in Sandown? Ich finde, daß es da noch an verschiedenem hapert.«

Sein Interesse für den Sport war erst ein paar Jahre alt, aber zu seinem Vergnügen hatte man ihn in letzter Zeit sogar gebeten, hier und dort in der Rennleitung mitzuwirken. Während ich ihm zuhörte, konnte ich ein Schmunzeln kaum verbergen. Es war schwer, seine damalige Reaktion auf Jennys Verlobung mit einem Jockey zu vergessen, seine Ablehnung meiner Person als künftigem Schwiegersohn, sein Fehlen bei unserer Hochzeit, die folgenden Monate eisiger Mißbilligung, das kühle Schweigen mir gegenüber.

Ich hielt das damals für reinen Snobismus, aber ganz so simpel war es nicht. Zweifellos hielt er mich nicht für gut genug, aber nicht nur oder nicht einmal in der Hauptsache vom Klassenstandpunkt aus; wahrscheinlich hätten wir einander nie verstanden, geschweige denn uns gar leiden können, wenn nicht ein regnerischer Nachmittag und das Schachspiel gewesen wären.

Jenny und ich fuhren zu einem unserer seltenen, quälenden Sonntagsbesuche nach Aynsford. Das Roastbeef verzehrten wir beinahe schweigend, Jennys Vater starrte unhöflich zum Fenster hinaus und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. Ich beschloß innerlich, nie mehr herzukommen. Ich hatte genug. Jenny konnte ihn alleine besuchen.

Nach dem Mittagessen sagte sie, sie wollte ein paar Bücher aussuchen, da wir einen neuen Bücherschrank gekauft hatten. Sie ging nach oben. Charles Roland und ich sahen einander unfreundlich an, bedrückt von der Aussicht auf den langweiligen Nachmittag. Ein Wolkenbruch verhinderte einen Rückzug in den Garten oder den Park dahinter.