«Und nachher?«
«Ein Darlehen, nehme ich an. Entweder von einer Bank oder von Privatpersonen. Aber die Direktoren müßten zuerst beweisen, daß Seabury erfolgreich sein kann wie früher. Niemand reißt sich darum, einem absterbenden Unternehmen Geld zu leihen. Die Wiedererweckung muß vor dem Geld kommen, wenn Sie mich verstehen.«
«Ich verstehe«, sagte er langsam,»aber.«
«Ja — aber. Darauf läuft es immer hinaus. In Seabury wird sich niemand mehr die Mühe machen.«
Wir schwiegen lange Zeit.
Schließlich sagte ich:»Die Veranstaltungen am Freitag und Samstag. Es wäre schade, noch eine Katastrophe in letzter Minute zu riskieren. Meine Firma könnte für eine Bewachung des Rennplatzes sorgen: Patrouillen und dergleichen.«
«Zu teuer«, erwiderte er sofort.»Und zudem haben Sie noch nicht bewiesen, daß man so etwas wirklich braucht. Die Schwierigkeiten in Seabury scheinen mir immer noch von einer Pechsträhne herzurühren.«
«Na ja — ein paar Nachtstreifen könnten ihre Fortsetzung verhindern.«
«Ich weiß nicht recht. Ich muß es mir überlegen.«
Er wechselte das Thema und sprach auf dem Weg nach London nur noch über andere Rennen auf anderen Bahnen.
Kapitel 10
Am Dienstag vormittag lieh mir Dolly resigniert ihr Telefon, und ich ließ mich mit der Vermißtenabteilung verbinden.
«Sammy?«sagte ich.»Sid Halley, Rennsport. Haben Sie zu tun?«
«Wir haben gerade den letzten Teenager aus Gretna Green geholt. Nur zu! Wer ist verschwunden?«
«Ein Mann namens Smith!«
Ein paar Flüche drangen aus der Muschel. Ich lachte.
«Ich glaube, er heißt wirklich Smith. Er ist von Beruf Kraftfahrer und hat im vergangenen Jahr einen Tanklaster für die Firma Intersouth gesteuert. Er verließ letzten Mittwoch seinen Arbeitsplatz und seine Wohnung, neue Anschrift unbekannt.«
Ich erzählte ihm von dem Unfall, der angeblichen Gehirnerschütterung und der nächtlichen Feier.
«Sie glauben, daß er vor einem Jahr absichtlich auf diese Stelle geschleust worden ist? Dann heißt er bestimmt nicht Smith, und es wäre schwieriger.«
«Ich weiß nicht. Aber ich halte es für wahrscheinlicher, daß er ein ganz normaler Kraftfahrer war, dem man für besondere Dienste eine Barprämie anbot.«
«Okay, ich versuche es zuerst damit. Vielleicht gibt er die Intersouth irgendwo als Referenz an, und ich kann ihn durch die Gewerkschaft aufspüren. Vielleicht war auch die Frau in Arbeit. Ich sage Ihnen Bescheid.«
«Danke.«
«Vergessen Sie nicht, wenn der Alte einen Direktorentisch mit Goldplatte für Sie kauft, möchte ich meinen zurückhaben.«
«Da warten Sie ewig«, meinte ich lächelnd.
Auf dem fraglichen Tisch lag die dünne Akte über den Fall Andrews, die Jones aus dem Keller geholt hatte. Ich sah mich im Zimmer um.
«Wo ist Chico?«fragte ich.
Dolly hob den Kopf.
«Er hilft einem Buchmacher beim Umziehen.«
«Was tut er?«
«Der Buchmacher nimmt seinen Tresor mit und wollte, daß Chico im Möbelwagen mitfährt. Es müßte unbedingt Chico sein, sagte er. Der Kunde hat immer recht, also ist Chico losgezockelt.«
«Verdammt.«
Sie griff in eine Schublade.
«Er hat Ihnen ein Band dagelassen«, sagte sie.
«Dann nehme ich alles zurück.«
Sie lächelte und gab mir das Tonband. Ich trug es zum Abspielgerät hinüber, fädelte es ein und hörte es mir über Kopfhörer an.
«Nachdem ich mir die Füße abgelaufen hatte«, sagte Chicos fröhliche Stimme,»fand ich heraus, daß Ihr Administrator in Dunstable nichts Schlimmeres getan hat, als Rennen anzusetzen, die nicht von erstklassigen Pferden bestritten wurden, und daß er zu allen Menschen saugrob war. Bis zu dem Jahr, in dem er sich umbrachte, war er allgemein beliebt. Dann scheint er plötzlich übergeschnappt zu sein. Er war so unfreundlich zu den Leuten, die auf dem Rennplatz arbeiteten, daß einer nach dem anderen kündigte. Die Geschäftsleute in der Umgebung wurden schon wild, wenn ich nur seinen Namen erwähnte. Ich sage Ihnen genau Bescheid, wenn wir uns wieder treffen, aber ein Vergleich mit Seabury ist nicht angebracht — keine Unfälle, keine Schäden, nichts.«
Ich seufzte, löschte das Tonband und gab es Dolly zurück. Dann schlug ich die Akte auf meinem Schreibtisch auf und studierte sie. Ein Mr. Mervyn Brinton aus Reading, Grafschaft Berkshire, hatte das Detektivbüro Radnor um persönlichen Schutz gebeten, weil er sich in Gefahr glaubte. Er hatte nicht mitteilen wollen, warum, und sich auch geweigert, Ermittlungen durchführen zu lassen. Er bestand nur auf einer Leibwache. In dem Bericht hieß es, es bestünde die Möglichkeit, daß Brinton sich als Amateurerpresser versucht und Pech gehabt habe. Brinton hatte noch angegeben, im Besitze eines gewissen Briefes zu sein, und er befürchtete, überfallen und des Briefes beraubt zu werden. Nach einer Überredung mit Chico Barnes, der darauf hinwies, daß Brinton sich ja nicht sein ganzes Leben lang bewachen lassen könnte, hatte er sich bereit erklärt, einer bestimmten Person mitzuteilen, daß sich der fragliche Brief in einer bestimmten Schublade der Rennsportabteilung des Detektivbüros Hunt Radnor befände. Das war natürlich nicht der Fall, und keiner der Angestellten Radnors hatte den Brief je gesehen. Thomas Andrews erschien jedoch, um den Brief zu holen, wurde von J. S. Halley dabei ertappt, worauf Andrews Halley niederschoß und die Flucht ergriff. Zwei Tage später rief Brinton an, um zu erklären, daß er keinen Bewacher mehr brauchte. Für die Firma Radnor war damit der Fall erledigt.
Die Informationen waren nach der Verletzung Halleys der Polizei zur Verfügung gestellt worden.
Ich klappte die Akte zu.
Brinton!
Der Rennplatzadministrator in Dunstable hatte auch den Namen Brinton getragen. Ich starrte die Akte an. Brinton war kein ungewöhnlicher Name. Wahrscheinlich gab es überhaupt keinen Zusammenhang. Brinton in Dunstable war schon zwei Jahre tot, als Brinton aus Reading um Schutz gebeten hatte. Der einzig sichtbare Zusammenhang war, daß sowohl der Brinton aus Dunstable wie Thomas Andrews mit dem Rennsport zu tun gehabt hatten. Es war nicht viel. Wahrscheinlich nichts, aber es ließ mir keine Ruhe.
Ich ging nach Hause, holte den Wagen und fuhr nach Reading. Ein nervöser, grauhaariger älterer Mann öffnete die Tür bei vorgelegter Kette und starrte durch den Spalt.
«Ja?«
«Mr. Brinton?«
«Was wollen Sie?«
«Ich komme von der Detektei Radnor. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn ich Sie sprechen könnte.«
Er zögerte und kaute an seiner Oberlippe, auf der ein schwarzweiß-gesprenkelter Schnurrbart wucherte. Ängstliche braune Augen sahen mich von oben bis unten an und richteten sich schließlich auf meinen weißen Sportwagen.
«Ich habe einen Scheck geschickt«, sagte er schließlich.
«Das ist alles in Ordnung«, versicherte ich ihm.
«Ich will keine Schwierigkeiten. Ich konnte nichts dafür, daß der Mann angeschossen wurde.«
«Dafür können Sie natürlich nichts«, sagte ich.»Er ist schon wieder gesund und arbeitet wieder.«
Seine Erleichterung war nicht zu übersehen.
«Na schön«, sagte er und drückte die Tür zu, um die Kette abzunehmen.
Ich folgte ihm ins Wohnzimmer.
«Meine Frau ist beim Einkaufen. Sie kommt bald wieder.«
Er sah erwartungsvoll zum Fenster hinaus, aber Mrs. Brinton blieb aus.
«Ich wollte Sie nur fragen, Mr. Brinton, ob Sie zufällig mit einem Mr. William Brinton, dem ehemaligen Administrator der Rennbahn Dunstable, verwandt sind.«
Er starrte mich bedrückt an, setzte sich zu meiner Verblüffung aufs Sofa und begann zu weinen. Er bedeckte mit zitternden Händen die Augen, und die Tränen liefen ihm übers Gesicht.
«Bitte, Mr. Brinton, es tut mir so leid«, sagte ich verlegen.