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Ich weiß, daß ich diesen Brief nicht abschicken werde. Mervy, wenn Du nur hier wärst. Ich habe sonst niemanden. Ich halte es nicht mehr lange aus, wirklich nicht.<

Fünf Minuten vor sechs Uhr öffnete ich die Tür zu Zanna Martins Büro. Sie saß mit dem Gesicht zur Tür am Schreibtisch. Sie hob den Kopf, erkannte mich und erwiderte meinen Blick mit einer Mischung aus Stolz und Verlegenheit.

«Ich habe es fertiggebracht«, sagte sie.»Wenn Sie abgesprungen sind, bringe ich Sie um.«

Sie hatte ihr Haar noch weiter nach vorn gekämmt, so daß es ihr Gesicht zum Teil verhüllte, aber man sah trotzdem die Verunstaltung auf den ersten Blick. Ich hatte seit Freitag vergessen, wie schlimm sie war.

«Mir ging es genauso«, sagte ich grinsend.

«Sie haben Ihr Versprechen wirklich gehalten?«fragte sie.

«Gewiß. Den ganzen Samstag und Sonntag, gestern und heute. Es war scheußlich.«

Sie seufzte erleichtert.

«Ich bin froh, daß Sie da sind. Heute früh hätte ich beinahe aufgegeben. Ich dachte, Sie würden nicht mitmachen und sich auch nie mehr blicken lassen.«

«Na, ich bin aber da«, sagte ich.»Ist Mr. Bolt auch da?«

Sie schüttelte den Kopf.»Er ist nach Hause gegangen. Ich räume gerade auf.«

«Sind Sie mit den Umschlägen fertig?«fragte ich.

«Mit den Umschlägen? Ach, die vom letztenmal? Ja, sie sind fertig.«

«Und abgeschickt?«

«Nein, die Rundschreiben sind noch nicht von der Druckerei zurück. Mr. Bolt hat sich sehr geärgert. Wahrscheinlich kann ich sie morgen wegschicken. «Sie stand auf, zog den Mantel an und band sich das Kopftuch um.

«Haben Sie heute abend etwas vor?«fragte ich.

«Ich gehe nach Hause.«

«Kommen Sie mit mir essen«, schlug ich vor.

«Das Geschenk der lieben Tante wird so nicht lange reichen, wie Sie das Geld ausgeben. Ich glaube, Mr. Bolt hat Ihr Kapital schon investiert. Sparen Sie lieber.«

«Na, dann gehen wir ins Cafe oder ins Kino.«

«Passen Sie auf«, sagte sie zögernd.»Manchmal kaufe ich mir auf dem Heimweg ein Brathuhn. Neben der U-Bahnstation ist eine Braterei. Möchten Sie — möchten Sie mitkommen und mir helfen, es aufzuessen? Als Revanche für Freitagabend?«

«Mit Vergnügen«, sagte ich.

«Wirklich?«

«Wirklich.«

Wie das letztemal fuhren wir mit der U-Bahn nach Finchley, aber diesmal saß sie so, daß alle Leute ihr Gesicht sehen konnten. Ich legte meinen Arm auf die Lehne zwischen uns beiden. Sie sah meine Hand an und schaute mir dann dankbar in die Augen. Als wir die Treppe hinaufstiegen, sagte sie:»Wissen Sie, es macht einen großen Unterschied, wenn man einen Mann dabei hat, selbst. «Sie verstummte plötzlich.

«Selbst, wenn er kleiner ist und auch lädiert«, ergänzte ich lächelnd.

«Ach, du meine Güte, und auch noch viel jünger.«

«Das Huhn kaufe ich«, sagte ich, als wir vor dem Laden stehenblieben. Der Geruch nach heißen Kartoffelchips vermischte sich mit den Dieselabgasen aus einem vorbeifahrenden Lkw. Zivilisation, dachte ich — großartig!

«Kommt gar nicht in Frage.«

Miss Martin kaufte das Huhn selbst. Ich trug es unter dem Arm. Es war in Zeitungspapier eingewickelt.

«Ich habe auch ein paar Chips und Erbsen mitgebracht«, sagte sie.

«Und ich kaufe Kognak«, erklärte ich entschieden.

Was Chips und Erbsen meinem Magen antun würden, wagte ich mir nicht vorzustellen.

Wir gingen mit unseren Einkäufen zu ihrem Haus und betraten ihr Zimmer.

«Dort drüben im Schrank stehen Gläser und eine Flasche Sherry«, sagte sie, während sie den Mantel auszog.»Gießen Sie mir ein? Sie trinken wahrscheinlich lieber Kognak, aber nehmen Sie sich Sherry, wenn Sie wollen. Ich trage nur die Sachen noch schnell in die Küche.«

Während ich die Flaschen öffnete und die Gläser füllte, hörte ich sie in der Küche rumoren. Als ich mit ihrem Glas durchs Zimmer ging, wurde es plötzlich totenstill. Als ich an die Tür kam, sah ich auch, warum. Sie hatte das Huhn in der einen Hand und las die Zeitung, in die es eingewickelt gewesen war. Sie starrte mich verblüfft an.

«Sie!«sagte sie.»Sie sind das.«

Ich schaute auf die Stelle, wo ihr Finger hindeutete. Das Huhn war in die >Sunday Hemisphere< eingewickelt gewesen.

«Hier ist Ihr Sherry«, sagte ich.

Sie legte das Huhn auf den Tisch und nahm das Glas, ohne es zu bemerken.

«Ein zweiter Halley«, sagte sie.»Das fiel mir auf. Natürlich habe ich es gelesen. Das ist Ihr Bild, und sogar von Ihrer Hand wird gesprochen. Sie sind Sid Halley!«

«Stimmt.«

Es hatte keinen Zweck, es zu bestreiten.

«Du meine Güte. Ich kenne Sie seit Jahren. Ich habe von Ihnen gelesen und Sie im Fernsehen gesehen. Mein Vater verfolgte die Rennen, wir sahen immer zu, solange er lebte. «Sie unterbrach sich und sagte plötzlich:»Warum haben Sie dann behauptet, Sie hießen John und arbeiteten als Verkäufer? Warum sind Sie zu Mr. Bolt gekommen? Das verstehe ich nicht.«

«Trinken Sie Ihren Sherry, legen Sie das Huhn ins Rohr, und dann erzähle ich es Ihnen.«

Es gab keine andere Möglichkeit. Ich wollte nicht riskieren, daß sie ihren Arbeitgeber unterrichtete.

Sie stellte das Essen warm, setzte sich aufs Sofa und hob fragend die Brauen.

«Ich arbeite nicht als Verkäufer«, gab ich zu.»Ich bin bei einem Detektivbüro Radnor tätig.«

Wie Brinton kannte sie meine Firma. Sie erstarrte und begann die Stirn zu runzeln. Ich erzählte ihr von Kraye und den Seabury-Aktien, aber sie war nicht dumm und kam sofort zum Wesentlichen.

«Sie verdächtigen also Mr. Bolt, deswegen sind Sie zu ihm gekommen.«

«Ja, leider.«

«Und ich? Sie haben mich nur ausgeführt, um mich auszuforschen?«Ihre Stimme klang bitter.

Ich schwieg eine Weile. Sie wartete. Ihre Ruhe war schlimmer als Tränen oder ein Zornausbruch. Sie verlangte so wenig vom Leben.

Schließlich sagte ich:»Ich bin zu Bolt gegangen, nicht nur, um ihn zu sprechen, sondern auch, um seine Sekretärin auszuführen — j a.«

In der Küche begannen die Erbsen zu kochen. Sie stand langsam auf.

«Wenigstens sind Sie ehrlich. «Sie ging hinaus und drehte das Gas ab.

«Und heute bin ich zu Ihnen gekommen, weil ich mir die Rundschreiben ansehen wollte, die Bolt an die Aktionäre von Seabury verschickt«, sagte ich.»Sie haben mir sofort erklärt, daß sie von der Druckerei noch nicht zurückgekommen sind. Ich hätte Ihre Einladung zum Abendessen also nicht mehr anzunehmen brauchen. Aber ich bin trotzdem hier.«

Sie stand an der Tür und hielt sich mühsam aufrecht.

«Das war wohl auch Lüge«, sagte sie mit gepreßter Stimme und deutete auf meinen Arm.»Warum? Warum haben Sie es getan? Sie hätten doch auch ohne das erfahren können, was Sie interessierte. Warum haben Sie verlangt, daß ich meinen Schreibtisch umstelle? Sie werden sich wohl den ganzen Samstag über krankgelacht haben.«