Die meisten anderen Anfangsbuchstaben bedeuteten mir nichts, bis auf die letzten, J. R. S., die auf den Tankwagenfahrer zu passen schienen. Die letzte Eintragung für J. R. S. über einhundert Pfund war einen Tag, bevor das Tankfahrzeug auf dem Rennplatz Seabury umgekippt war, datiert, an dem Tag, ehe Kraye nach Aynsford fuhr.
In der nächsten Zeile, der letzten, war eine weitere Summe von einhundertfünfzig Pfund für J. R. S. vermerkt. Das Datum war das des folgenden Dienstags, drei Tage bevor ich die Fotos aufnahm. Smith hatte an diesem Dienstag seine Stellung aufgegeben und die Wohnung gewechselt.
Zwischen den anderen, wechselnden Initialen tauchten ständig zwei Vornamen auf, Leo und Fred. Beide schienen regelmäßig besoldet zu werden. Entweder Leo oder Fred mußte meiner Meinung nach der große Mann gewesen sein, der Brinton besucht und erschreckt hatte. Entweder Leo oder Fred war der >große Manne, der Andrews mit einem Revolver in die Cromwell Road geschickt hatte.
Ich mußte also noch mit Leo oder Fred abrechnen.
Jones kam, um die Fotos zu holen. Ich legte sie in die Schachtel zurück und gab sie ihm.
«Wo ist denn unser Kaffee, du Hanswurst?«fragte Chico grob.
Wir waren bei Radnor gewesen, als Jones seine Runde gemacht hatte. Jones setzte Chico mit unfeinen Worten auseinander, wo er sich den Kaffee holen könnte. Chico ging einen Schritt auf ihn zu und sagte:»Das nimmst du zurück!«
Jones wiederholte die Beschimpfung. Chico ließ die Faust vorschnellen. Jones sprang einen Schritt zurück, lachte beleidigend, dabei fiel ihm die Schachtel aus der Hand und ging auf.
«Hört doch auf, ihr beiden!«schrie Dolly, als die großen Fotos auf ihren Schreibtisch und den Boden flatterten.
Jones half Dolly und mir, die Fotos aufzusammeln, legte sie ungeordnet in die Schachtel zurück und verschwand grinsend.
«Chico, der Klügere gibt nach«, sagte Dolly streng.
«Ach, lassen Sie mich in Ruhe«, zischte Chico.
Dolly biß sich auf die Lippe und sah in eine Ecke. Chico starrte mich trotzig an.
«Nur keine Aufregung, Kinder«, meinte ich beruhigend.
Chico machte ein grimmiges Gesicht und verließ das Zimmer. Die Vorstellung war vorbei, man machte sich wieder an die
Arbeit. Schreibmaschinen klapperten, jemand schaltete das Tonbandgerät ein, ein anderer begann zu telefonieren. Dolly seufzte und machte sich über die Liste für Seabury her. Ich saß da und dachte an Leo und Fred.
Nach einer Weile ging ich zur Abteilung Bona Fides hinauf, wo wie üblich wild durcheinander telefoniert wurde. George sah mich und schüttelte den Kopf. Jack Copeland, der einen geflickten grünen, ärmellosen Pullover trug, sagte mir zwischen zwei Telefongesprächen schnell, es wäre zwar bedauerlich, aber Fortschritte bei Kraye hätte man noch nicht erzielen können. Er habe seine Spuren aus der Zeit vor zehn Jahren ausgezeichnet verwischt. Man würde aber weiterschürfen, wenn ich es wollte.
Oben in der Vermißtenabteilung erklärte Sammy, es wäre noch zu früh, über den Verbleib von Smith etwas in Erfahrung bringen zu können.
Als ich der Meinung war, daß Mark Whitney nach dem zweiten Spaziergang wieder zu Hause sein müßte, rief ich ihn an und bat ihn, mir sein Gebrauchspferd zu leihen, ein altes Hindernisrennpferd ersten Ranges, das jetzt das Gnadenbrot bekam.
«Klar«, sagte er.»Wozu?«
Ich erklärte es ihm.
«Dann nehmen Sie am besten noch meinen Transportwagen mit«, meinte er.»Was tut ihr, wenn es die ganze Nacht gießt? Da sitzt ihr wenigstens im Trockenen.«
«Brauchen Sie den Wagen nicht? Im Wetterbericht heißt es >klar und trocken<.«
«Ich brauche ihn erst Freitag vormittag. Mein nächster Start ist erst in Seabury. Und auch da nur ein Pferd, obwohl es so nahe ist. Die Besitzer wollen einfach nicht mittun. Ich muß am Samstag bis nach Banbury fahren. Ausgesprochen albern, wo ich vor der Haustür eine viel bessere Bahn habe.«
«Wen lassen Sie in Seabury starten?«
Er erzählte mir des langen und breiten von einem halb blinden, völlig vertrottelten, gewohnheitsmäßigen Nichtspringer, mit dem er das Neulingsrennen gewinnen wollte. So, wie ich ihn kannte, würde er es wahrscheinlich schaffen. Wir vereinbarten, daß Chico und ich um acht Uhr abends bei ihm erscheinen würden. Ich legte auf. Dann verließ ich das Büro, fuhr mit der Untergrundbahn zum Company House in der City und ließ mir die Unterlagen über den Rennplatz Seabury geben. In einem numerierten Stuhl an einem langen Tisch, umgeben von ernsthaften Männern und Frauen, die ähnliche Unterlagen studierten und sich Notizen machten, ging ich die Liste der Aktionäre durch. Abgesehen von Kraye und seinen diversen Mittelsmännern, die ich durch die Vertrautheit mit den Fotos kannte, gab es keine größeren Aktienpakete. Niemand sonst besaß mehr als drei Prozent der Aktien, und da drei Prozent bedeuteten, daß ungefähr zweieinhalbtausend Pfund keinen Pfennig Dividende einbrachten, war leicht zu verstehen, warum niemand bestrebt war, sich einen größeren Anteil zu verschaffen.
Fothertons Name stand nicht auf der Liste. Obwohl das nichts bewies, weil ein Name wie >Mayday-Investitionen< alle möglichen Leute verbergen konnte, war ich mehr oder weniger überzeugt, daß Seaburys Administrator nicht auf den Untergang des Rennplatzes spekulierte. Alle großen Aktientransaktionen im vergangenen Jahr waren von Kraye lanciert.
Einige kleine Aktionäre, die an die zweihundert Anteilscheine besaßen, waren Leute, die ich persönlich kannte. Ich schrieb mir ihre Namen und Adressen auf, weil ich vorhatte, mir Bolts Rundschreiben zeigen zu lassen, sobald es mit der Post eintraf. Das war zwar ein Umweg, aber dafür sicher.
Ich scheute mich, an Zanna Martin zu denken.
Ich kehrte wieder ins Büro zurück und stellte fest, daß die
meisten noch beim Essen waren. Nur Chico saß an seinem Schreibtisch und kaute an seinen Nägeln. Ich sprach ihn an:»Wenn wir die ganze Nacht auf sein müssen, nehmen wir uns am besten den Nachmittag zum Schlafen frei.«
«Nicht nötig.«
«O doch. Ich bin nicht so jung wie Sie.«
«Armer alter Opa. «Er grinste plötzlich und entschuldigte sich für den Auftritt am Vormittag.»Ich kann nichts dafür. Dieser Jones geht mir auf die Nerven.«
«Jones ist mir egal. Ich denke an Dolly.«
«Komisch, ich mag sie eigentlich sogar sehr gern«, sagte er lachend.»Nur ihr mütterliches Gehabe macht mich verrückt.«
«Kein Wunder«, sagte ich freundlich.»Sie können auf meinem Sofa schlafen.«
Er seufzte.»Für Sie arbeitet es sich jedenfalls schwerer als für Dolly, das sehe ich schon.«
«Wie?«
«Sie verstehen mich schon, Freundchen — Sir, meine ich.«
Die anderen kamen zurück, auch Dolly, mit der ich vereinbarte, daß Chico den Nachmittag frei bekam.
«Die erste Streife fängt morgen um achtzehn Uhr an«, sagte sie.
«Soll ich den Leuten sagen, daß man Sie suchen und sich bei Ihnen melden soll?«
«Nein«, sagte ich entschieden.»Ich weiß nicht, wo ich dann sein werde.«
«Dann machen wir es wie sonst auch«, sagte sie.»Sie können sich beim Alten zu Hause melden, wenn sie anfangen, und das zweitemal um sechs Uhr früh, wenn sie abgelöst werden.«
«Und sie rufen ihn auch dazwischen an, wenn etwas passiert?«fragte ich.
«Ja. Wie üblich.«
«Das ist ja beinahe so schlimm wie bei einem Arzt«, meinte ich lächelnd.