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«Ist Ihnen klar, Miss Martin, daß Sie Ihre Stellung verlieren, wenn ich Erfolg habe?«fragte ich.

Sie lachte.

«Der arme Mr. Bolt. Er ist kein schlechter Arbeitgeber. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Für eine erfahrene Maklersekretärin ist es einfach, eine gute Stellung zu finden.«

Ich hielt vor ihrem Haus und schaute auf die Uhr.

«Ich kann leider nicht mit reinkommen, ich bin sowieso schon spät dran.«

Sie öffnete ohne weitere Umstände die Tür und stieg aus.

«Vielen Dank, daß Sie gekommen sind. «Sie lächelte, schloß die Tür und winkte.

Ich fuhr zu meiner Wohnung zurück, so schnell es ging, und fluchte über den Verkehr. Erst als ich unten in der Garage den Motor abstellte und mich hinüberbeugte, um sie aufzuheben, entdeckte ich, daß die Akte Brinton verschwunden war. Dabei fiel mir ein, daß Miss Martin sie während der Fahrt auf dem Schoß gehabt hatte. Die Akte war also bei Zanna Martin. Ich hatte keine Zeit mehr, sie zu holen, und konnte Miss Martin auch nicht anrufen, weil ich den Namen des Hausbesitzers nicht kannte. Aber — so dachte ich mir — bis Freitag ist die Akte dort ja in Sicherheit.

Kapitel 12

Chico und ich kauerten frierend im Ginstergebüsch und sahen die Sonne über dem Rennplatz aufsteigen. Wir hatten eine kalte, klare Nacht hinter uns, die Temperatur hatte um null Grad geschwankt, und wir zitterten beide erbärmlich. Hinter uns im Gebüsch und von außen nicht einzusehen, frühstückte >Revelation<, ehemaliger Gewinner des Cheltenham Gold Cup, auf magerer Weide. Wir hörten das Knirschen, wenn er tief an den Wurzeln zubiß, und das leise Knarren des Zaumzeugs. Chico und ich widerstanden schon seit geraumer Zeit der Versuchung, ihm seine warme Decke abzunehmen.

«Vielleicht versuchen sie es jetzt«, sagte Chico hoffnungsvoll,»bevor jemand wach wird.«

Während der Nacht hatte sich nichts gerührt, dessen waren wir uns sicher. Ich war mit >Revelation< jede Stunde einmal die ganze Bahn abgeritten, und Chico hatte leise die Tribünen durchforscht, eins mit den Schatten. Niemand war uns begegnet. Kein Laut, außer dem Wind — kein Licht, als das der Sterne und eines abnehmenden Mondes.

Unser Warteplatz — ausgewählt, als der Himmel heller wurde und wir uns verbergen mußten — befand sich so weit von der Tribüne entfernt wie möglich, an der unteren Kurve, wo die Straße die Rennbahn kreuzte. Büsche und Sträucher wuchsen zwischen Bahn und Zaun und schützten uns vor allen nicht zu neugierigen Blicken. Hinter dem Zaun lagen die kleinen rückwärtigen Gärten der ersten Bungalow-Reihe. Die Sonne stieg hell und gelblich zu unserer Linken empor, und die Vögel sangen. Es war halb acht Uhr.

«Wird ein herrlicher Tag«, meinte Chico.

Zehn Minuten nach neun Uhr begann es sich vor der Tribüne zu rühren, und der Traktor rollte mit einem Anhänger auf die Bahn. Ich nahm mein Fernglas aus dem Futteral, balancierte es auf meinen hochgezogenen Knien und schaute hindurch. Die Ladung des Anhängers schien aus Hürden zu bestehen. Drei Männer gingen zu Fuß daneben her. Ich gab Chico das Glas ohne Kommentar und gähnte.

«Nichts einzuwenden«, meinte er gelangweilt.

Wir sahen zu, wie der Traktor mit dem Anhänger langsam zum anderen Ende der Bahn fuhr, dort zum Abladen hielt und umkehrte, um die zweite Ladung zu holen. Bei der zweiten Fahrt kam er so nahe an uns vorbei, daß wir die Hürden genau sehen konnten, die man in regelmäßigen Abständen ablud, jeweils vier oder fünf, für den Fall, daß bei den Rennen einige zu Bruch gingen. Wir sahen eine Weile schweigend zu. Dann sagte ich langsam:

«Chico, ich bin blind gewesen.«

«Wieso?«

«Der Traktor«, sagte ich.»Der Traktor! Und die ganze Zeit hatten wir ihn vor der Nase.«

«So?«

«Der Tanklaster mit der Schwefelsäure ist von einem Traktor umgekippt worden. Ein kompliziertes Hebewerkzeug war da gar nicht erforderlich. Nur ein paar Seile oder Ketten um den Tank geschlungen und an den Achsen befestigt. Dann schraubt man die Luken auf und begibt sich in geziemende Entfernung. Jemand fährt den Traktor mit voller Kraft die Bahn hinauf, der Tanker kippt um, und die Sauce läuft heraus.«

«Auf jedem Rennplatz gibt es einen Traktor«, sagte Chico nachdenklich.

«Genau.«

«Also hat niemand Veranlassung, zweimal hinzusehen, wenn ein Traktor auf der Bahn unterwegs ist — klar. Niemand regt sich über die Spuren auf. Niemand spricht davon, wenn er einen gesehen hat. Wenn Sie recht haben, und ich bin überzeugt davon, muß es ja nicht unbedingt dieser, der zur Rennbahn gehörige Traktor gewesen sein.«

«Ich wette aber, daß man ihn benützt hat. «Ich erzählte Chico von den überprüften Initialen und Zahlen.»Morgen überprüfe ich die Anfangsbuchstaben aller Arbeiter hier, von Ted Wilkins an abwärts nach der Liste. Wahrscheinlich hat man einen dafür bezahlt, daß er den Traktor einfach auf der Rennbahn stehenließ. Das Tankfahrzeug kippte am Abend vor der Rennveranstaltung um, so wie heute. Der Traktor war damals auch in Betrieb: warm und voll Dieselöl. Nichts einfacher! Und nachher einfach die Bahn entlang und weg.«

«Es war nicht mehr sehr hell«, stimmte Chico zu.»Solange — während der paar Minuten, die es dauerte, die Seile oder Ketten abzumachen — niemand vorbeikam, konnte den Leuten nichts passieren. Keine Straßensperren, keine Umleitungen, nichts.«

Wir saßen da, beobachteten den Traktor und sahen ein, daß wir nichts beweisen konnten.

«Wir müssen uns verziehen«, sagte ich nach einer Weile.»Da vorn ist eine Hürde, keine fünfzig Meter entfernt. Sie werden gleich vorbeikommen.«

Wir zogen uns mit >Revelation< zu dem Pferdetransportwagen zurück, der fast einen Kilometer entfernt abgestellt war. Wir benützten die Gelegenheit, zu frühstücken. Als wir fertig waren, trat Chico als erster den Rückweg an, zuversichtlich in meiner Reithose, mit Reitstiefeln und Pullover dahinschlendernd, der perfekte Reitersmann von Kopf bis Fuß. Dabei hatte er in seinem ganzen Leben noch nie auf einem Pferd gesessen.

Nach einer Weile folgte ich auf >Revelation<. Die Männer hatten die Hürden in das Halbrund an der Kurve gebracht und zurechtgelegt. Sie marschierten jetzt die Bahn entlang und luden die letzte Ladung ab. Unbemerkt ritt ich ins Gebüsch zurück und stieg ab.

Von Chico war die nächste halbe Stunde nichts zu sehen, dann kam er, die Hände in den Taschen, pfeifend daher.

«Ich habe mich noch einmal an den Tribünen umgesehen«, sagte er.»Keiner paßt auf. Niemand hat mich gefragt, was ich dort treibe. Ein paar Frauen machen sauber, ein paar andere arbeiten im Stallgebäude. Ich sagte >Guten Morgenc, und sie begrüßten mich freundlich.«

Er war empört.

«Für Saboteure nicht gerade ideal«, sagte ich mürrisch.»Putzfrauen in den Tribünen und Arbeiter auf der Bahn.«

«Wenn es aber dunkel wird«, sagte Chico nickend.»Das halte ich jetzt für am wahrscheinlichsten.«

Der Vormittag verging langsam. Die Sonne stieg zu ihrem niedrigen Scheitelpunkt empor und schien uns grell in die Augen. Ich vertrieb mir die Zeit, indem ich >Revelation< und Chico fotografierte. Die winzige Kamera begeisterte ihn, er schwor sich, so ein Ding umgehend zu beschaffen. Ich steckte den Apparat in die Tasche, legte die Hand über die Augen und schaute zum hundertstenmal zur Rennbahn. Nichts — keine Männer, kein Traktor.

Ich blickte auf die Uhr: ein Uhr, Mittagszeit. Wir warteten. Chico nahm das Fernglas und besichtigte die Bahn.

«Vorsichtig«, sagte ich.»Nicht in die Sonne schauen damit. Das schadet den Augen.«

«Schon gut.«

Ich gähnte.

«Da ist ein Mann unterwegs«, sagte er plötzlich,»einer. Er marschiert einfach so dahin.«

Er gab mir das Glas. Er hatte recht. Ein Mann wanderte über den Rennplatz. Nicht die Bahn entlang, sondern über das Gras. Er war zu weit entfernt, als daß ich sein Gesicht hätte erkennen können, außerdem trug er einen Dufflecoat und hatte die Kapuze über den Kopf gezogen. Ich hob die Schultern und ließ das Glas sinken. Er schien harmlos zu sein.