Er sah mich zweifelnd an.»Mit der Hand?«
«Dann erfinden Sie eben eine neue Sportart«, sagte ich.»Judo einarmig.«
«Ich nehme Sie mit in den Club«, sagte er lächelnd.»Da gibt es einen alten Japaner, der bestimmt einen Weg findet.«
«Gut.«
Oben am anderen Ende des Rennplatzes bog ein Pferdetransportwagen von der Hauptstraße ab und rollte zu den Stallungen. Das erste der Pferde für die morgigen Rennen war eingetroffen.
Chico machte sich auf den Weg, um nachzusehen. Ich saß in der Dämmerung, ohne daß etwas geschah, und dachte Grimmiges über Fred — nicht Leo, Fred!
Sie waren zu viert, dachte ich: Kraye, Bolt, Fred und Leo.
Mit Kraye war ich zusammengetroffen: Er kannte mich nur als Sid, einen unliebsamen Schmarotzer im Haus eines pensionierten Admirals, den er in seinem Club kennengelernt hatte.
Ich war Bolt begegnet: Er kannte mich als John Halley, einen
Verkäufer, der ein Geschäft machen wollte, indem er ein Geschenk seiner Tante investierte.
Ich war Fred begegnet: Er kannte meinen vollen Namen, wußte, daß ich für Radnor arbeitete und in Seabury aufgetaucht war.
Ich wußte nicht, ob ich Leo schon getroffen hatte — aber es war möglich, daß Leo mich kannte. Wenn er mit dem Rennsport zu tun hatte, war das bestimmt der Fall.
Zu befürchten hatte ich nichts, dachte ich, solange sie nicht zu früh dahinterkamen, daß alle diese Sids und Halleys ein und dieselbe Person waren. Aber da war meine verkrüppelte Hand, die mir Kraye aus der Tasche gerissen hatte, die Fred im Garten aufgefallen sein mußte und von der Leo in der letzten Woche erfahren haben konnte, dank meines Versprechens gegenüber Zanna Martin, die für Bolt arbeitete. Ein richtiges Karussell, dachte ich.
Chico tauchte plötzlich auf.
«Das war Pingpong. Er startet morgen im ersten Rennen. Soweit ist alles in Ordnung«, sagte er.»Nirgends rührt sich etwas. Wir können gehen.«
Es war lange fünf vorbei. Ich stimmte zu und erhob mich mühsam.
«Dieser Fred«, sagte Chico, während er mir aufhalf,»ich habe nachgedacht. Er ist mir schon ein paarmal begegnet bei den Rennen. Er arbeitet nicht für einen Buchmacher oder so, taucht aber immer wieder auf.«
«Hoffentlich bringt er uns nicht alles durcheinander«, sagte ich.
«Ich wüßte nicht, warum«, meinte er ernsthaft.»Er kommt doch niemals auf die Idee, daß Sie ihn mit Andrews oder Kraye in Verbindung bringen. Sie haben ihn nur dabei erwischt, daß er ein Plakat an einem Baum anbringen wollte. An seiner Stelle
würde ich ruhig schlafen.«
«Ich habe ihn Fred genannt«, sagte ich.
«Oh«, entfuhr es Chico,»das stimmt.«
Wir erreichten die Straße und marschierten zum Pferdewagen.
«Fred scheint die Hauptarbeiten zu übernehmen«, sagte Chico.
«Er gräbt die Abzugskanäle, zündet Stallungen an und kippt Tankfahrzeuge um.«
«Mit den Flaggen hat er aber nicht gewinkt, da war er auf dem Baum.«
«Hm, ja! Wer war das?«
«Nicht Bolt«, sagte ich.»Bolt ist viel dicker — vielleicht Kraye, wahrscheinlich aber Leo.«
«Oder einer der Arbeiter oder Vorarbeiter.«
«Ja.«
Chico steuerte den Pferdewagen zu Mark zurück und durfte dann mit meinem Wagen nach London zurückfahren.
Kapitel 14
Chefinspektor Cornish war erfreut, versuchte das aber zu verbergen.
«Das können Sie für Ihre Firma verbuchen«, meinte er.
«Er ist uns direkt in die Hände gelaufen, um gerecht zu sein.«
«War aber gleich wieder weg«, erwiderte er trocken.
Ich schnitt eine Grimasse.»Sie sind ihm ja noch nicht
begegnet.«
«Solche Leute müssen Sie uns überlassen!«
«Wo waren Sie denn?«
«Auch wahr«, gab er lächelnd zu. Er sah sich die Kugel noch einmal an.»Prima. Nur schade, daß er einen Revolver hatte, keine Pistole. Es wäre gut gewesen, auch noch die Hülse untersuchen zu können.«
«Sie kriegen nie genug«, meinte ich.
Er starrte die Aluminiumleiter, das Plakat auf seinem
Schreibtisch und die Fotos an. Zwei klare Abzüge zeigten das Nummernschild des Kombis, vier weitere Fred bei der Auseinandersetzung mit Chico.
«Mit so viel Material spüren wir ihn auf, bevor er richtig zu sich kommt.«
«Prima«, sagte ich.»Je früher Fred aus dem Verkehr gezogen wird, desto besser. Bevor er in Seabury noch etwas anstellen kann. Er ist aber unverschämt stark und kann Judo. Wenn er nicht soviel Verstand gehabt hat, die Waffe wegzuwerfen, trägt er sie immer noch bei sich.«
«Wir denken dran«, sagte er.»Nochmals vielen Dank.«
Wir schüttelten uns die Hände, ich ging.
Auch in der Firma hatte sich einiges ergeben. Als ich eintraf, sagte mir Dolly, Jack Copeland wünschte mich zu sprechen. Ich stieg die Treppe hinauf. Jack strahlte mich über seine Brille hinweg an.
«George hat es geschafft bei Kraye.«
Ich ging zu George hinüber. George strahlte auch. Nachdem er zwei Minuten lang gesprochen hatte, mußte ich zugeben, daß es berechtigt war.
«Nur für alle Fälle habe ich mir ein glattes Stück Kristall ausgeborgt, das Kraye neulich im Geologiemuseum in der Hand hatte, und von Sammy die Fingerabdrücke sichern lassen — zwei oder drei verschiedene. Wir haben sie fotografiert. Hier gab es keine Archivunterlagen, deshalb haben wir auf alle Fälle die Interpol eingeschaltet. Das war genau richtig. Unser Freund Kraye steht in der Verbrecherkartei von New York.«
«Was hat er angestellt?«
«Vorsätzliche Körperverletzung.«
«Ist er über ein Mädchen hergefallen?«fragte ich.
George hob die Brauen.
«Über den Vater eines Mädchens. Kraye hatte das Mädchen geschlagen, offenbar mit ihrer Erlaubnis. Sie beschwerte sich nicht. Ihr Vater sah aber die Spuren und explodierte. Er sagte, er würde Kraye wegen Vergewaltigung anzeigen, obwohl das Mädchen in dieser Hinsicht nicht unwillig gewesen zu sein schien. Es sah aber sehr schlecht aus für Kraye. Er packte einen Stuhl, schlug ihn dem Vater auf den Schädel und verduftete. Man erwischte ihn am Flughafen, wo er sich nach Südamerika verdrücken wollte, und brachte ihn zurück. Der Vater hatte einen schweren Hirnschaden. Die medizinischen Einzelheiten sind zu kompliziert, jedenfalls fand er sich nachher nicht mehr zurecht. Kraye wurde zwar nicht wegen Vergewaltigung verurteilt, aber man unterstellte Tötungsabsicht bei dem Vater und brummte ihm vier Jahre auf. Drei Jahre danach tauchte er mit Geld und einem neuen Namen in England auf und heiratete bald. Es war die Frau, die sich wegen seelischer Grausamkeit scheiden ließ. Ein netter Bursche.«
«Und ob«, sagte ich.»Wie heißt er in Wirklichkeit?«
«Wilbur Potter«, sagte George ironisch.»Und das nächste erraten Sie nie. Er war von Beruf Geologe, ständig unterwegs. Charakterbeurteilung: geschickt, guter Redner, Blender. Er hatte immer mehr Geld, als er verdiente, gab furchtbar an, aber keine Straftaten. Die Mißhandlung des Vaters war sein erster Zusammenstoß mit dem Gesetz. Damals war er vierunddreißig.«
Sammy von der Vermißtenabteilung hatte mehr getan, als Krayes Fingerabdrücke zu fotografieren. Es war ihm beinahe gelungen, Smith ausfindig zu machen.
«Die Intersouth hat uns heute früh angerufen«, sagte er.»Smith gab seine alte Firma als Referenz an. Er hat sich in Birmingham um eine neue Stelle beworben.«
«Gut«, sagte ich.
«Bis nachmittag wissen wir seine Adresse.«
In meiner Abteilung griff ich nach Dollys Telefon und ließ mich mit >Charing, Street and King< verbinden.
«Mr. Bolts Sekretärin am Apparat«, sagte die ruhige Stimme.
«Ist Mr. Bolt da?«fragte ich.
«Leider nicht, wie ist bitte Ihr Name?«
«Haben Sie nicht zufällig eine Akte von mir?«
«Oh.«, sagte sie lachend.»Ich habe sie unabsichtlich mitgenommen. Tut mir sehr leid.«