«Einverstanden.«
«Das ist doch nicht dein Ernst?«
«Eigentlich nicht, da schläft sich’s so hart.«
«Mensch.«
«Aber oben, entweder bei mir oder bei dir. Ein paar von diesen Steinen sind sehr wertvoll. Die Versicherungsprämie muß dich einen schönen Batzen Geld gekostet haben.«
«Äh. Nein«, gestand Charles.»Ich habe zugesichert, daß ich alles ersetze, was beschädigt wird oder verlorengeht.«
Ich riß die Augen auf.»Ich weiß, daß du reich bist, aber du bist vollkommen verrückt! Laß sie sofort versichern! Hast du eine Ahnung, was jedes einzelne Stück wert ist?«
«Nein, eigentlich nicht. Ich habe nicht gefragt.«
«Na, wenn dich ein Sammler besucht, wird er wohl davon ausgehen, daß du weißt, was du für die Stücke bezahlt hast.«
«Daran habe ich schon gedacht«, unterbrach er mich.»Ich habe sie von einem entfernten Vetter geerbt. Damit läßt sich viel Unwissenheit vertuschen, nicht nur Kosten und Wert, sondern auch Näheres über Kristallographie, Vorkommen, Seltenheit und so weiter. Ich habe festgestellt, daß sich an einem Tag einfach nicht genug lernen läßt, aber es müßte genügen, wenn ich mich mit der Sammlung ein bißchen vertraut zeige.«
«Gewiß. Du rufst jetzt sofort die Stiftung an und erkundigst dich, was die Steine wert sind, dann setzt du dich mit deinem Versicherungsmann in Verbindung. Du bist einfach zu ehrlich, Charles. Andere Leute sind es nicht. Du lebst jetzt in der großen bösen Welt, nicht mehr in der Marine.«
«Na schön«, sagte er jovial,»wird gemacht. Gib mir die Liste!«
Er ging ans Telefon, und ich legte die Steine in die leeren Fächer, aber bevor ich einigermaßen vorangekommen war, läutete es an der Eingangstür. Mrs. Cross öffnete und kam herein, um mir zu sagen, daß mich ein Polizeibeamter zu sprechen wünschte.
Ich steckte meine nutzlose, verkrüppelte linke Hand in die Tasche, wie ich es immer vor Fremden machte, und ging in die Halle. Ein großer, breitschultriger junger Mann in Uniform stand da und versuchte den Eindruck zu erwecken, als überwältigte ihn die großartige Umgebung überhaupt nicht.
«Ist es wegen der Leiche?«fragte ich.
«Ja, Sir, ich glaube, sie erwarten uns schon.«
«Wessen Leiche ist es denn?«»Das weiß ich nicht, Sir. Ich soll Sie nur abholen.«
«Tja. Wohin?«
«Nach Epping Forest, Sir.«
«Aber das ist ja weit weg«, wandte ich ein.
«Jawohl, Sir«, gab er mit einer Spur von Bedrückung zu.
«Sind Sie sicher, daß ich gebraucht werde?«
«Absolut, Sir.«
«Na schön. Setzen Sie sich einen Augenblick, ich hole meinen Mantel und sage Bescheid.«
Der Polizist trieb Schindluder mit dem Getriebe, was mich empörte. Wir brauchten zwei Stunden von Aynsford nach Epping Forest, viel zu lange. Schließlich nahm uns an einer Kreuzung ein anderer Polizist auf einem Motorrad in Empfang, und wir fuhren hinter ihm eine kurvenreiche Nebenstraße lang. Überall dehnte sich Wald, naß und düster an diesem graufeuchten Tag.
Nach einer scharfen Kurve trafen wir auf zwei Autos und einen Kombiwagen. Der Motorradfahrer hielt und stieg ab. Der Polizist und ich stiegen aus.
«Zwölf Uhr fünfzehn«, sagte der Motorradfahrer nach einem Blick auf die Uhr.»Ihr habt euch verspätet. Die hohen Tiere warten schon seit zwanzig Minuten.«
«Auf der Hauptstraße war viel Verkehr«, entschuldigte sich mein Fahrer.
«Sie hätten sich beeilen müssen«, meinte der Motorradfahrer.
«Los, hier herüber!«
Er führte uns auf einem kaum erkennbaren Pfad in den Wald. Wir stapften auf dem toten Laub dahin. Nach fast einem Dreiviertelkilometer stießen wir auf eine Gruppe von Männern, die vor einer Abschirmung aus Sackleinwand standen. Sie stapften mit den Beinen, um sich warm zu halten, und unterhielten sich mit leisen Stimmen.
«Mr. Halley?«
Einer gab mir die Hand, ein jovial wirkender Mann mittleren Alters, der sich als Chefinspektor Cornish vorstellte.
«Tut uns leid, daß wir Sie den ganzen Weg herschleppen mußten, aber wir möchten, daß Sie sich die — äh — Überreste ansehen, bevor wir sie wegschaffen. Ich möchte Sie gleich warnen, der Anblick ist scheußlich.«
Er schauderte.
«Wer ist es?«fragte ich.
«Wir hoffen, daß Sie uns das mit Bestimmtheit sagen können. Wir nehmen an — das sollen Sie uns selbst sagen. In Ordnung?«
Ich nickte. Er führte mich um die Abschirmung herum.
Es war Andrews. Was von ihm übriggeblieben war. Er mußte schon geraume Zeit tot sein. Ich begriff, warum mich die Polizeibeamten hierher geholt hatten; wenn man ihn aufhob, würde nicht mehr viel zu besichtigen sein.
«Nun?«
«Thomas Andrews«, sagte ich.
Sie sahen einander erleichtert an.
«Sind Sie sicher? Ganz sicher?«
«Ja.«
«Nicht nur wegen der Kleidung?«
«Nein. Haaransatz, vorstehende Ohren, außergewöhnlich runde Ohrleiste, verkümmerte Läppchen, sehr kurze Brauen, an der Nasenwurzel verdickt — spatelförmige Daumen, weiße Flecken auf den Nägeln, Haare auf den Grundgliedern der Finger.«
«Gut«, sagte Cornish.»Das reicht, würde ich sagen. Wir haben wegen der Kleidung ziemlich schnell eine vorläufige
Identifizierung durchführen können. Sie war ja auf der Fahndungsliste beschrieben. Aber die erste Erkundigung verlief negativ. Er scheint keine Angehörigen zu haben, und niemand konnte sich an besondere Kennzeichen erinnern. Keine Tätowierungen, keine Narben, keine Operationen, und, soweit wir das feststellen konnten, ist er nie bei einem Zahnarzt gewesen.«
«Gute Idee, das alles zu prüfen, bevor er dem Pathologen übergeben wird«, meinte ich.
«Das war eigentlich ein Einfall des Pathologen. «Er lächelte.
«Wer hat ihn gefunden?«fragte ich.
«Ein paar kleine Jungen.«
«Wann?«
«Vor drei Tagen, aber offenbar liegt er schon seit Wochen hier, wahrscheinlich bald, nachdem er auf Sie geschossen hat.«
«Ja. Hatte er die Waffe noch in der Tasche?«
Cornish schüttelte den Kopf.
«Nicht zu finden.«
«Sie wissen noch nicht, wie er ums Leben gekommen ist?«
«Nein, bis jetzt noch nicht. Aber jetzt, wo Sie ihn für uns identifiziert haben, können wir weitermachen.«
Wir traten hinter der Abschirmung hervor, und ein paar von den anderen machten sich mit einer Bahre auf den Weg. Ich beneidete sie nicht.
Cornish ging mit mir zum Wagen zurück. Der Fahrer folgte uns in kurzem Abstand. Wir ließen uns Zeit und sprachen über Andrews, aber der Weg schien sich endlos zu dehnen. Ich war noch nicht kräftig genug für solche Anstrengungen.
Als wir zu den Autos kamen, lud mich Cornish zum Mittagessen ein. Ich schüttelte den Kopf, erklärte, daß ich Diät halten müßte, und schlug statt dessen vor, etwas zu trinken.
«Gut«, sagte er.»Wir können beide einen Schluck vertragen. Gar nicht weit von hier gibt es ein gutes Wirtshaus. Ihr Fahrer kann vorausfahren.«
Er stieg in seinen Wagen, und wir fuhren ihm nach. In der Bar setzten wir uns an einen schwarzen Eichentisch, ich mit einem großen Kognak, er mit Whisky und belegten Broten. Wir waren von Zaumzeug, Jagdhörnern und Kupfergeschirr umgeben.
«Eigentlich merkwürdig, daß ich Sie so kennenlerne«, sagte Cornish kauend.»Ich habe Sie oft auf dem Rennplatz gesehen. Bei den Wetten auf Sie habe ich übrigens ganz schön gewonnen. Mir ist kaum eine Veranstaltung in Dunstable entgangen, bevor man den Platz verkauft hat. Jetzt stehen Häuser drauf. Ich gehe nicht mehr so oft zum Rennen, es ist mir zu weit. «Er lächelte freundlich und fuhr fort:»Das waren ein paar tolle Dinger in Dunstable. Erinnern Sie sich noch, als Sie auf Brushwood in letzter Sekunde gewonnen haben?«