Mrs. van Dysart genoß das Leben in vollen Zügen. Man sah deutlich, wie sehr es ihr Vergnügen machte, mich praktisch isoliert zu sehen — in unpassender Kleidung, Gegenstand offenen Spottes für ihren Gastgeber. Mit ihrem blonden aufgetürmten Haar, den babyblauen Augen und dem mit Silberfäden durchwirkten rosa Seidenkleid sah sie so süß aus wie Zuckerguß. Ihre Worte zeigten, wie klar sie die Annehmlichkeit erkannte, einen Prügelknaben um sich zu haben.
«Arme Verwandte sind wirklich ein Problem, nicht wahr?«sagte sie mitfühlend zu Charles, absichtlich so laut, daß ich es hören mußte.»In unserer Position kann man sie sich nicht selbst überlassen. Sie treten sonst in den Boulevardblättern alles breit. Und es ist besonders schwierig, wenn man sie noch dazu im
Haus hat. Man kann sie ja schlecht in die Küche setzen, aber es gibt auch Gelegenheiten, wo man recht gut ohne sie auskäme. Vielleicht wäre da ein Tablett aufs Zimmer das beste.«
«Ah ja«, gab Charles zu,»aber damit sind sie wieder nicht einverstanden.«
Ich wäre beinahe erstickt, als ich daran dachte, welche Mittel er angewandt hatte, um mich an den Tisch zu bekommen. Und schlagartig war ich nicht nur beruhigt, sondern auch sehr interessiert. Darauf hatte er es also von Anfang an abgesehen, mich als Mann in den Augen seiner Gäste zu demolieren. Er würde zweifellos zu gegebener Zeit erklären, was ihn dazu bewogen hatte. Jedenfalls war meine Neigung, zu Bett zu gehen, plötzlich nicht mehr so groß wie vorher.
Ich sah Kraye an und fand seine grünlich-bernsteinfarbenen Augen auf mich gerichtet. Bei ihm war es nicht so deutlich wie bei Mrs. van Dysart, aber auch hier: Vergnügen. Ich krümmte die Zehen in den Schuhen. Interesse hin, Interesse her, es fiel mir schwer, bei diesem widerlichen, höhnischen Lächeln ruhig sitzen zu bleiben. Ich starrte vor mich hin, um ihn nicht mehr ansehen zu müssen.
Er gab einen Laut von sich, der halb ein Husten, halb ein Lachen war, und begann mit Charles über das Sammeln von Kristallen zu sprechen.
«Sehr vernünftig von Ihnen, sie alle hinter Glas aufzubewahren, obwohl mich das natürlich sehr reizt. Ist das eine Druse, im mittleren Fach? Die Spiegelung, wissen Sie. Ich sehe es nicht deutlich.«
«Äh. «sagte Charles, der genausowenig wie ich wußte, was eine Druse war.»Ich freue mich, Ihnen die Steine nachher zeigen zu können. Nach dem Essen vielleicht, oder morgen?«
«Oh, unbedingt heute abend, eine solche Gelegenheit möchte ich nicht verschieben. Sagten Sie nicht, Sie hätten Feldspat in Ihrer Sammlung?«
«Nein«, erwiderte Charles unsicher.
«Nun, ich sehe schon, daß das eine kleine Spezialsammlung ist. Vielleicht tun Sie gut daran, sich auf Kieselsäureanhydride zu beschränken.«
Charles brachte mit Geschick die Lüge vom Vermächtnis seines Vetters ins Spiel, die Kraye höflich enttäuscht zur Kenntnis nahm.
«Aber ein sehr interessantes Thema, mein lieber Roland, die Mühe, sich damit zu beschäftigen, lohnt sich. Die Erde unter den Füßen, die Ablagerungen aus den verschiedenen geologischen Perioden, sind unser kostbares Erbe, die Quelle unseres Lebens, unserer Macht. Mich interessiert nichts so sehr wie der Boden.«
Doria neben mir schnaubte kaum vernehmlich. Ihr Mann schien es nicht bemerkt zu haben, denn er gab eine vielsilbige und im großen und ganzen unverständliche Plauderei über die Natur des Universums von sich.
Ich saß untätig, während die andern Steaks, Pudding, Käse und Obst verzehrten. Die Gespräche wurden links und rechts, manchmal auch an mir vorbei geführt. Ein Taubstummer hätte keine schlechtere Rolle als ich spielen können. Mrs. van Dysart kommentierte die Schwierigkeiten der Ernährung armer Verwandter mit empfindlichen Mägen und wählerischem Appetit. Charles verschwieg ihr, daß ich angeschossen worden war und Geld genug hatte — gab aber zu, daß eine schlechte Verdauung bei schmarotzenden Angehörigen als moralischer Defekt zu betrachten wäre.
Mrs. van Dysart strahlte. Doria betrachtete mich gelegentlich, als wäre ich ein interessantes Exemplar niedrigen Lebens. Rex van Dysart bot mir wieder Brot an. Schließlich führte Viola Mrs. van Dysart und Doria ins Wohnzimmer zum Kaffee, während Charles den männlichen Gästen Portwein und Kognak anbot. Er reichte mir die Kognakflasche mit einer Spur von
Gereiztheit und preßte mißbilligend die Lippen zusammen, als ich mir einschenkte. Seinen Gästen entging das nicht. Nach einer Weile erhob er sich, öffnete die Tür des Bücherschranks und zeigte Kraye die Steinsammlung. Die beiden besprachen Stück für Stück, während van Dysart danebenstand, höfliches Interesse heuchelte und seine Langeweile zu verbergen trachtete. Ich blieb im Sessel sitzen und genehmigte mir noch einen Kognak.
Charles hielt sich sehr gut und ging die ganze Sammlung ohne einen einzigen Schnitzer durch. Dann führte er die Gäste ins Wohnzimmer, wo sich seine Halbedelsteinsammlung als großer Erfolg erwies. Ich marschierte mit, setzte mich auf einen Stuhl und hörte ihnen zu, kam aber zu keinen größeren Schlußfolgerungen, abgesehen von der Überzeugung, daß ich nicht mehr aus eigener Kraft nach oben kommen würde, wenn es nicht bald soweit war. Die Zeiger der Uhr wiesen auf elf, und ich hatte einen langen Tag hinter mir. Charles drehte sich nicht um, als ich das Zimmer verließ.
Eine halbe Stunde später, als seine Gäste unter Gemurmel auf ihre Zimmer gegangen waren, kam er leise herein und trat an mein Bett. Ich lag immer noch in Hemd und Hose da und versuchte vergeblich die Energie zusammenzuraffen, mich ganz ausziehen zu können. Er schaute lächelnd auf mich herab.
«Na?«sagte er.
«Der ausgepichte, achtzehnkarätige, hinterhältige Halunke bist du«, sagte ich.
Er lachte.»Ich dachte, du schmeißt mir die ganze Schau, als dir auffiel, daß dein Bild nicht mehr an der Wand hing. «Er zog mir Schuhe und Socken aus.»Du siehst völlig erledigt aus. Wo ist dein Schlafanzug?«
«Unter dem Kissen.«
Er half mir, mich auszuziehen.
«Warum hast du das getan?«fragte ich.
Er wartete, bis ich unter der Decke lag, dann setzte er sich auf den Bettrand.
«Hat es dir etwas ausgemacht?«
«Verflixt, Charles, natürlich! Wenigstens zu Anfang.«
«Es ist leider schlimmer geworden, als ich es erwartet hatte, aber ich will dir sagen, warum ich auf diese Idee gekommen bin. Erinnerst du dich an unser erstes Schachspiel? Als ich glatt geschlagen wurde? Weißt du, warum du so spielend gewonnen hast?«
«Du hast nicht aufgepaßt.«
«Genau. Ich habe nicht aufgepaßt, weil ich dich nicht für einen ernst zu nehmenden Gegner hielt — ein schwerer taktischer Fehler. «Er grinste.»Gerade ein Admiral darf sich so etwas nicht leisten. Wenn man einen starken Gegner unterschätzt, ist man im Nachteil. Wenn man ihn stark unterschätzt, wenn man überzeugt ist, daß er überhaupt nicht ins Gewicht fällt, hält man eine Abwehr nicht für nötig und besiegelt damit die eigene Niederlage. «Er schwieg einen Augenblick, dann fuhr er fort:»Es ist deshalb kluge Strategie, den Feind in dem Glauben zu wiegen, man sei zu schwach, um ins Gewicht zu fallen. Und das habe ich heute abend für dich getan.«
Er sah mich ernsthaft an.
«Und in welchem Spiel soll ich gegen Howard Kraye antreten?«fragte ich nach einer Weile.
Er seufzte zufrieden und lächelte.
«Erinnerst du dich, was ihn am meisten interessiert?«
Ich überlegte.»Der Boden.«
Charles nickte.»Boden. Richtig! Er sammelt ihn. Stückweise, quadratmeter-, hektarweise. «Er zögerte.
«Und?«
«Du kannst gegen ihn um den Rennplatz Seabury spielen.«
Ich war so verblüfft, daß mir fast der Atem wegblieb.
«Was?«sagte ich ungläubig.»Mach keine Witze! Ich bin doch nur — «