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»Was ist daran beunruhigender, als wenn sie in Hinterindien auftauchen würden?« fragte ich.

»Arkham ist nicht irgendein Ort«, antwortete Howard ernst. »Es gab ... ein paar sonderbare Zwischenfälle um einen gewissen Alina Billingston, der vor hundert Jahren in der Nähe Arkhams gelebt hat. Die Sache wurde niemals wirklich geklärt, und so wenig, wie irgendeiner weiß, was damals wirklich geschehen ist, haben diese ... Zwischenfälle ... je wirklich aufgehört.«

»Was für Zwischenfälle?« fragte ich.

Howard zuckte mit den Achseln. »Menschen verschwinden oder sterben auf rätselhafte Weise. Man hört Geräusche, vor allem nachts und vor allem in den Wäldern, und ein paar Einheimische behaupten, sonderbare Dinge am Himmel gesehen zu haben. Dazu kommt noch etwas. In dieser Bibliothek« - er machte eine Geste auf die Bücherborde, die uns umgaben - »ist der vielleicht größte Schatz an Wissen und Informationen über die GROSSEN ALTEN und den CTHULHU-Kult gesammelt, den es auf der Welt gibt. Ein großer Teil dieses Wissens, Robert«, fügte er mit veränderter Stimme hinzu, »stammt von deinem Vater. Er war einer der Gründer der Miscatonic-Universität. Auch wenn das fast niemand weiß.«

»Seit sechs Monaten, Robert«, fuhr Lengley an Howards Stelle fort, »erreichen uns immer mehr Meldungen von sonderbaren Dingen. Es scheint, daß sie immer aktiver werden, von Tag zu Tag.«

»Und sie kommen näher«, fügte Howard hinzu.

Sein Gesicht verdüsterte sich. »Aber ich habe nicht zu fürchten gewagt, daß sie schon so nahe sind. In Arkham. Nur ein paar Meilen von hier.«

Er schüttelte den Kopf, seufzte tief und sah mich an. »Professor Lengley, ein paar seiner Kollegen und ich haben beschlossen, etwas gegen sie zu unternehmen. Wir müssen ergründen, wer diese Wesen sind, woher sie kommen, welche Ziele sie verfolgen und wo sie sich verbergen.«

»Und welche Rolle«, fragte ich, »hast du mir dabei zugedacht? Die des Lockvogels?«

Howard starrte mich an, suchte einen Moment krampfhaft nach Worten und versuchte die Situation dann mit einem Lächeln zu entspannen. Ganz gelang es ihm nicht.

»Du mußt lernen«, sagte er. »Du weißt manches über die GROSSEN ALTEN, aber es gibt noch so viel, das du nicht weißt. Ich ... hatte gehofft, dir mehr Zeit geben zu können. Jahre, vielleicht Jahrzehnte, um die Kräfte in dir in Ruhe reifen zu lassen. Aber diese Zeit werden uns unsere Feinde nicht lassen. Ich möchte, daß du hierbleibst und alles lernst, was es über die GROSSEN ALTEN zu lernen gibt. Lengley und ich werden dir dabei helfen.«

»Das ist es also«, sagte ich leise. Meine Stimme zitterte. »Ihr ... wollt gar nicht mich. Ihr wollt mein magisches Erbe. Die Kräfte, die mir mein Vater hinterlassen hat. Ihr wollt -«

Howard wollte etwas sagen, aber diesmal war Lengley schneller. Er sah mich mit sonderbarem Ausdruck an.

»Ihre Gefühle ehren Sie, Robert«, sagte er. »Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn Sie nicht so reagiert hätten. Es ist Jahrzehnte her, aber ich erinnere mich an den Tag, als wäre es erst gestern gewesen, da saß Ihr Vater auf diesem Stuhl und schrie mich so an, wie Sie es jetzt am liebsten mit Howard getan hätten, wären Sie mit ihm allein gewesen.«

Ich blickte verstört zwischen ihm und Howard hin und her, und Lengley fuhr mit einem flüchtigen Lächeln fort: »Glauben Sie, Sie wären der erste, der so etwas durchmacht, mein Junge? Ihr Vater hat ganz genauso reagiert, als Howard und ich ihm die Wahrheit erklärten. Oh, er war älter als Sie jetzt und viel stärker, aber sein Zorn war so heiß wie der Ihre.«

»Wenn Sie glauben, ich würde so werden wie er«, unterbrach ich ihn wütend, »dann täuschen Sie sich, Professor. Nicht in tausend Jahren!«

»Das sollst du auch nicht, Junge«, sagte Lengley sanft, beinahe ein wenig traurig. »Du bist hier, damit es nicht nötig ist, daß ein zweiter Roderick Andaras aus dir wird. Dein Vater hatte keine Wahl, als so zu werden, wie er war. Er wurde gezwungen, von einem Schicksal, das das Wort Gnade nicht kennt, und er zahlte einen fürchterlichen Preis. Howard und ich wollen verhindern, daß es dir irgendwann ebenso ergeht, Robert. Wir sind deine Freunde, glaube mir.«

Seine Worte lösten ein sonderbares Echo in meinem Inneren aus. Ich war zornig, gleichzeitig aber fühlte ich mich so hilflos und verwirrt wie niemals zuvor in meinem Leben. Ich wußte einfach nicht mehr, was ich denken sollte.

»Vielleicht ist es besser, wenn wir dich jetzt für eine Weile allein lassen«, sagte Lengley, während er bereits aufstand. »Ich glaube, du hast über eine Menge nachzudenken.«

Ich merkte kaum, wie Howard und er den Raum verließen.

Er wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war. Er wußte auch nicht, wie er hierhergekommen war und wo und was dieses hier überhaupt war. Als er die Augen aufschlug, lag er auf einem frisch bezogenen Bett in einem kleinen, staubigen Zimmer, das nur durch schmale Streifen flirrenden Mondlichtes erhellt wurde, die sich durch die Fensterläden mogelten.

Shannon blinzelte, richtete sich vorsichtig auf die Ellbogen auf und sah sich aufmerksam um.

In seinem Kopf purzelten die Erinnerungen wirr durcheinander, und er vermochte nicht zu sagen, was davon Wahrheit war und was Bilder aus den Alpträumen, die sein Erwachen zur Qual gemacht hatten.

Er war zusammen mit Jeff in das Boot gestiegen und losgerudert, und dann ...

Der Fluß war außer Rand und Band geraten und hatte versucht, ihn zu verschlingen. Shannon glaubte sich schwach an eine Gestalt zu erinnern, die am jenseitigen Ufer erschienen war, an das Zuschlagen ungeheurer magischer Mächte.

Er glaubte sich an kochendes Wasser zu erinnern und saugende Strudel, die ihn in die Tiefe zerren und ertränken wollten, dann an Jeff, der im letzten Moment aufgetaucht war und ihn gerettet hatte.

Er war halbwegs ohne Bewußtsein gewesen, als sie das Ufer erreichten. Dann war dieser Fremde wieder aufgetaucht, und Jeff hatte irgend etwas getan, mit ihm geredet oder gekämpft, das vermochte er nicht mehr zu sagen ...

Der junge Magier stöhnte wie unter einem Fausthieb, als die Schleier vor seinem Gedächtnis endgültig zerrissen und er begriff, was geschehen war.

Er hatte den Mann gefunden, den zu suchen er hier war, Robert Craven, den Mann mit der weißen Strähne im Haar, den Erben der Macht, wie der Meister ihn bezeichnet hatte.

Und er hatte diese Macht zu spüren bekommen!

Shannon begriff, daß sie alle den Sohn des Magiers unterschätzt hatten. Er war nicht der unwissende Narr, der seine Kräfte erst zu entdecken begann, sondern ein mächtiger, voll ausgebildeter Magier, dessen Mächte den seinen grenzenlos überlegen waren.

Wäre Jeff nicht dabei gewesen, dann wäre er jetzt tot.

Shannon verscheuchte den Gedanken, richtete sich vollends auf und schlug die Decke beiseite. Er war nackt, aber seine Kleider lagen ordentlich zusammengefaltet neben seinem Bett auf dem Boden. Als er sich danach bückte, stellte er fest, daß sie bereits wieder getrocknet waren. Er mußte sehr lange bewußtlos gewesen sein.

Rasch zog er sich an. Die Tür war verschlossen, aber es kostete Shannon weniger als eine halbe Minute, das Schloß zu öffnen und auf den Gang hinauszutreten.

Es war eine seltsame Umgebung. Sein Zimmer hatte wie ein besserer Verschlag gewirkt, voller Staub und Spinnweben, aber der Gang, auf den er trat, konnte eher zu einem Schloß gehören. Die Decke war hoch und gewölbt, überall hingen Bilder und Wappen, und auf dem Boden lagen kostbare Teppiche.

Irgendwo tief im Inneren des Gebäudes schlug eine Uhr, ein mächtiger, tiefer Gong, der zehn-, elf-, schließlich zwölfmal ertönte und mit einem vibrierendem Nachhall verstummte.

Im gleichen Moment spürte Shannon das Fremde.

Es war so wie am Morgen, nur stärker, unendlich stärker. Die Luft schien plötzlich von einem üblen Geruch durchdrungen, und irgend etwas geschah mit dem Licht.