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»Warte hier«, sagte Howard, nachdem er hinter ihr aus dem Wagen geklettert war. »Ich begleite Lady Audley ins Haus.«

Es war keine Bitte - Howard hatte in so scharfem Ton geredet, daß ich es nicht wagte, ihm zu widersprechen.

So sah ich den beiden wortlos zu, bis sie das Haus erreicht hatten und verschwunden waren, ehe ich in den Wagen zurückstieg und die Tür hinter mir zuzog, um die Kälte und den Nebel nicht hereinkriechen zu lassen. Sicher wollte Howard noch einmal mit Lady Audley sprechen, und irgendwie verstand ich sogar, daß er keinen besonderen Wert darauf legte, mich dabei zu haben. Offenbar war er der Meinung, daß ich für einen Tag genug Schaden angerichtet hatte.

Ich lehnte mich auf der gepolsterten Bank zurück, schloß die Augen und versuchte, das Chaos hinter meiner Stirn zu ordnen. Aber es gelang mir nicht. Gegen meinen Willen kehrten meine Gedanken wieder zurück zu all den finsteren Geheimnissen, die ich von Howard erfahren und zum Teil am eigenen Leib erlitten hatte, zu Cthulhu, dem Schrecklichsten der GROSSEN ALTEN, der tot in seinem unterseeischen Palast in R’Lyeh lag und darauf wartete, erneut zu schrecklichem Leben zu erwachen, und dessen eisigen Atem ich verspürt hatte, zu Nyaralathotep, dem gigantischen Krakendämon, der meinen Vater getötet hatte, und zu ...

Mit aller Macht drängte ich die gräßlichen Bilder dorthin zurück, wo sie hergekommen waren, öffnete abermals den Wagenschlag und sprang zum zweiten Mal auf die Straße hinab. Plötzlich war es mir ganz egal, ob Howard ärgerlich wurde oder nicht. Ich mußte einfach wissen, was der entsetzliche Zwischenfall bei der Seance in Penderguest Hall zu bedeuten hatte.

Ich beschied dem Kutscher mit wenigen Worten, auf Howard und mich zu warten, wandte mich um und öffnete das schmiedeeiserne Tor zu Lady Audleys Grundstück. Rasch schritt ich den gewundenen Kiesweg zum Haus hinauf, blieb vor der Treppe noch einmal stehen - und erstarrte.

Hinter mir war ein Geräusch. Und es war nicht irgendein Geräusch, sondern ... Schritte. Aber ich war völlig sicher, daß ich das Tor wieder hinter mir geschlossen hatte, und daß der Garten verlassen gewesen war, als ich ihn betrat.

Mit klopfendem Herzen drehte ich mich herum.

Mein Gehör hatte mich nicht getrogen. Hinter mir stand eine Gestalt. Sie stand etwas außerhalb des Lichtkreises, so daß ich sie nur als dunklen, verzerrten Schatten erkennen konnte, aber es ging etwas spürbar Drohendes von dem flachen schwarzen Umriß aus.

Und ich war absolut sicher, daß sie vor einem Augenblick noch nicht dort gestanden hatte!

»Wer ... wer sind Sie?« murmelte ich, mehr verwirrt als wirklich erschrocken. »Und was -«

Meine Stimme versagte, als die Gestalt aus ihrer Starre erwachte und mit einer sonderbar fließenden Bewegung in das Licht der kleinen Gaslaterne hineintrat.

Vor mir stand eine Frau. Die Fremde war nicht sehr groß, aber von außergewöhnlich gutem Wuchs, das konnte ich sogar in der schlechten Beleuchtung hier draußen erkennen. Eine Schönheit, deren perfekt proportionierte Gestalt auch noch von der hellgrünen, lose fallenden Toga betont wurde, die ihren Körper vom Hals bis zu den Zehenspitzen verhüllte. Ihre Hände steckten in gräßlichen, an Raubtierkrallen erinnernden Handschuhen, und wo ihr Gesicht sein sollte ...

waren die skelettierten Reste eines ins Absurde vergrößerten Rattenschädels, an denen da und dort noch Fetzen verfaulten Fleisches oder eingetrockneter, zu grauem rissigem Pergament verschrumpelter Haut hingen!

Im flackernden gelben Licht der Lampe sah es aus, als throne ein bizarrer Monsterschädel auf den zierlichen Schultern der Fremden. Bleiche Knochen schimmerten wie lackiertes Elfenbein, das Gebiß, dessen Fleisch und Lippen weggefault waren, schien mich höhnisch anzugrinsen, und in die leeren Augenhöhlen des Rattenkopfes waren faustgroße, grünlich schimmernde Kristalle eingesetzt worden, in denen sich der Schein der Lampe tausendfach brach, so daß es aussah, als lebten sie noch. In halber Höhe des Schädels waren zwei münzgroße Löcher in den Knochen gebohrt worden, durch die ich den Blick zweier dunkler, grausamer Augen auffing.

»Großer Gott!« entfuhr es mir. »Was bedeutet das?!«

Und plötzlich war die Angst da. Eisig wie eine unsichtbare, gnadenlos harte Hand griff sie nach meinem Herzen, schnürte mir die Kehle zu und preßte meinen Magen zu einem schmerzenden Klumpen zusammen.

Ich schrie auf, prallte zurück und wirbelte herum, um zur Treppe zu stürzen, führte die Bewegung aber nicht zu Ende.

Ein heller, struppiger Körper erschien hinter mir auf den Stufen und kam auf trappelnden hornigen Krallen auf mich zu. Knopfgroße, schwarze Augen blitzten tückisch.

Eine Ratte! durchfuhr es mich. Das war eine Ratte! Eine weiße Albinoratte! Und sie starrte mich an, aus roten funkelnden Augen, die ganz und gar nicht die eines stumpfsinnigen Tieres waren!

Mit einem Schrei prallte ich zurück, griff ziellos in die leere Luft und wirbelte erneut herum.

Die Fremde stand noch immer an der gleichen Stelle, an der sie wie aus dem Nichts aufgetaucht war, und ihre Augen - der einzige Teil ihres Gesichtes, den ich unter dem bizarren Schädelhelm erkennen konnte - blickten mich mit der gleichen gnadenlosen Kälte an, die ich auch in denen der wirklichen Ratte gelesen hatte.

»Wer ... wer sind Sie?« fragte ich mühsam. Die Angst schnürte mir die Kehle zu.

»Das spielt keine Rolle«, antwortete sie. Ihre Stimme klang sonderbar verzerrt und dumpf unter dem Helm aus weißem Knochen hervor. »Ich bin hier, um dich zu warnen, Robert Craven.«

»Warnen?« stotterte ich. Ich begriff nicht das Mindeste. »Wovon sprechen Sie eigent-«

Mit einer ärgerlichen Handbewegung schnitt sie mir das Wort ab. »Das weißt du besser als ich«, sagte sie kalt. »Du mischst dich in Dinge, die dich nichts angehen. Halte dich von Lady Audley und St. Aimes fern, oder du wirst sterben.«

Und damit verschwand sie.

Sie ging nicht etwa, sondern verschwand, von einem Sekundenbruchteil auf den anderen. Die Stelle, an der sie gerade noch gestanden hatte, war plötzlich leer, und der gelbe Schein der Gaslaterne beleuchtete nur noch den kiesbestreuten Weg vor Lady Audleys Haus.

Einen Moment lang starrte ich die Stelle fassungslos an und fragte mich allen Ernstes, ob ich vielleicht das eine oder andere Glas Champagner zu viel getrunken haben könnte, an diesem Abend. Aber als ich mich herumdrehte und ins Haus gehen wollte, begriff ich, daß das nicht so war.

Die weiße Ratte war noch da.

Reglos hockte sie auf der obersten Treppenstufe und starrte mich aus ihren tückisch funkelnden Augen an. Sie schien nicht die mindeste Angst vor mir zu haben. Sie floh auch dann nicht, als ich langsam die Treppe hinaufzugehen begann, sondern kroch nur behäbig ein Stück zur Seite und starrte mich weiter an. Unter ihren zitternden weißen Schnurrbarthaaren blitzte ein Paar gewaltiger Schneidezähne. Erst jetzt fiel mir auf, wie groß dieses Tier war - so groß wie ein Terrier, aber sehr viel kräftiger. Sicherlich kräftig genug, auch einen recht kräftigen, achtzehnjährigen Hexer wie mich in kleine Appetithappen zu zerbeißen, sollte er eine unvorsichtige Bewegung machen.

Ich bemühte mich, genau das nicht zu tun, und schob mich vorsichtig an dem riesigen weißen Tier vorbei. Meine Hände zitterten so heftig, daß ich Mühe hatte, den Türknauf herumzudrehen.

Als ich in die Halle stürmte, kam mir Howard entgegen. Seine Miene verfinsterte sich bei meinem Anblick noch mehr.

»Zum Teufel«, polterte er los. »Ich habe doch ausdrücklich gesagt, daß du ...«