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Dann zerstob die Illusion. Die klumpige Dunkelheit ballte sich zu Körpern, und ich sah, was es wirklich war.

Ratten.

Auf dem Teppich vor dem Kamin lagen Dutzende von Ratten, große, häßliche Tiere mit schwarzgrauem Fell, die meisten tot oder sich in Krämpfen windend, andere auf grauenhafte Weise verstümmelt und verkrüppelt. Nur wenige hatten noch die Kraft, sich mit zuckenden Bewegungen von der Stelle zu rühren.

Für endlose Sekunden blieb ich reglos und erstarrt vor Schreck und immer stärker werdendem Ekel vor dem Fenster stehen. Der Anblick krampfte meinen Magen zu einem harten, schmerzhaften Klumpen zusammen. Meine Hand umklammerte den nutzlosen Revolver so heftig, daß sie zu zittern begann, und trotz des eisigen Schauers, der immer und immer wieder meinen Rücken hinablief, brach mir überall am Leib der kalte Schweiß aus.

Trotzdem war es mir unmöglich, den Blick von der grauenhaften Erscheinung zu nehmen.

Die Ratten bildeten einen großen, zuckenden Berg aus Leibern und ineinander verkrallten Gliedmaßen, eine einzige schwärzliche Masse, die wie ein riesiges bizarres Tier zuckte und bebte. Viele von ihnen hatten sich im Todeskampf in ihre Artgenossen verbissen, andere lagen verkrümmt da, in unmöglichen Haltungen, und wieder andere waren auf fürchterliche Weise entstellt, die Leiber aufgedunsen und verquollen wie haarige Bälle, mit schrecklich verwachsenen Gliedmaßen, Gesichtern ohne Augen und Münder, mit zu vielen oder falschen Beinen, einige Körper nackt, und glitzerten in feuchtem Rot, als wäre ihnen die Haut abgezogen worden oder ...

Erst, als eine der grauenhaft entstellten Kreaturen auf mich zuzukriechen begann, erwachte ich endlich aus meiner Erstarrung.

Mit einem Schrei sprang ich zurück, prallte schmerzhaft gegen die marmorne Fensterbank und riß, halb von Sinnen vor Entsetzen und Ekel, den Abzug des Revolvers durch.

Der peitschende Knall zerriß die Stille wie ein Kanonenschlag. Die Kugel verfehlte das Tier und riß eine Handbreit neben ihm Splitter aus dem Boden, denn meine Hände zitterten so stark, daß ich die Waffe kaum zu halten, geschweige denn zu zielen vermochte. Aber die Ratte erschlaffte trotzdem mitten in der Bewegung, zuckte noch einmal und lag dann still.

Wie zur Antwort auf den Knall des Pistolenschusses ertönte irgendwo im Haus ein erschrockener Ruf, dann hörte ich eine Tür schlagen und eine zweite Stimme schreien, aber die Geräusche schienen irgendwie nicht an mein Bewußtsein zu dringen, sondern blieben irreal und bedeutungslos. Der furchtbare Anblick hielt mich noch immer gefangen, und mit jeder Sekunde, die sich meine Augen mehr an die Dunkelheit gewöhnten und ich weitere Einzelheiten zu erkennen vermochte, wuchs der Schrecken noch.

Die Ratten bildeten einen fast halbmeterhohen, kribbelnden, wogenden Klumpen aus verquollenem Fleisch und blutigem Fell vor dem Kamin, aber dahinter, wie eine grausige Spur, zog sich eine unterbrochene Kette toter Tiere quer durch die Bibliothek, lief im Zickzack über den Parkettboden und endete vor dem Schreibtisch. Mein Herz schien einen Schlag zu überspringen und hämmerte dann mit schmerzhafter Wucht und doppelt schnell weiter, als ich sah, daß einer der aufgedunsenen Kadaver direkt neben der Lampe auf der Schreibtischplatte lag - wenige Zentimeter von der Stelle entfernt, an der meine Hand gewesen war.

Ich versuchte, das immer stärker werdende Ekelgefühl zu unterdrücken, trat ein Stück vom Fenster fort und sah, daß sich die Spur aus toten oder sterbenden Ratten auf der anderen Seite des Schreibtisches fortsetzte, in einem leicht geschwungenen Bogen quer durch das Zimmer führte und am Fuße der Standuhr abbrach.

Das hieß - nicht an ihrem Fuß.

Die Tür des mannshohen, monströsen Möbels stand eine Handbreit offen, und aus dem Spalt blickten mich die gebrochenen Augen einer Ratte an, erfüllt von einer Wut, die sich selbst im Tode noch in ihren Blick gebrannt hatte.

Draußen auf dem Gang wurden polternde Schritte und Stimmen laut, dann wurde die Tür aufgestoßen; so heftig, daß sie wuchtig gegen die Wand krachte. Howard und Rowlf stürmten dicht hintereinander in die Bibliothek und blieben wie angewurzelt stehen. Howard keuchte, während Rowlf einen sonderbaren, quietschenden Laut ausstieß und zurückprallte.

Aber ich bemerkte die beiden kaum, sondern starrte aus ungläubig aufgerissenen Augen auf die Standuhr.

Die plötzliche Erschütterung ließ ihre Tür ein weiteres Stück aufgehen. Und aus dem schmalen Raum dahinter quollen Dutzende von toten Ratten wie eine schwarze, haarige Lawine auf den Boden ...

Howard hatte die Lampen angezündet, und das Licht tat meinen an die Dunkelheit gewöhnten Augen fast weh. Vielleicht war das Schlimme aber auch nur das Bild, das der helle Schein der Gaslampen so gnadenlos enthüllte. Vorhin, als ich das Arbeitszimmer betreten und nur Schemen erkannt hatte, war es erschreckend und unheimlich gewesen.

Jetzt war es ein Alptraum.

Als sich das Entsetzen, das wie eine haarige Spinne meinen Rücken hinaufgekrochen war, legte, wurde mir übel.

Ich starrte erst Rowlf, dann Howard sekundenlang an und machte einen schwerfälligen Schritt auf die Standuhr zu.

»Nicht«, sagte Howard scharf. »Rühr sie nicht an, Robert!«

Ich gehorchte. Hinter der harmlosen Fassade der Standuhr verbarg sich nichts anderes als eines der geheimnisumwitterten Tore der GROSSEN ALTEN, ein Zugang zu jenem magischen Transportsystem, mit dem sie vor zweihundert Millionen Jahren in Sekundenschnelle von einem Ende der Welt zum anderen gelangen konnten. Es war eines der letzten, das die Jahrmillionen überstanden hatte, und wie so vieles in diesem verhexten Haus war es Teil jenes unheimlichen Erbes, das mir mein Vater hinterlassen hatte. Aber sowohl Howard als auch ich hatten seit den Ereignissen in Amsterdam angenommen, daß das bizarre Transportsystem der ausgestorbenen Dämonenrasse endgültig zerstört sei.

Das Bild, das sich uns bot, überzeugte uns auf recht drastische Weise vom Gegenteil. Keine zehn Pferde hätten mich jetzt noch dazu gebracht, die Uhr zu betreten.

»Was ist passiert?« fragte Howard. Obwohl er sich Mühe gab, so ruhig und sachlich wie gewohnt zu klingen, hörte ich das Zittern in seiner Stimme deutlich.

Ich warf ihm einen raschen Blick zu und bemerkte, daß sein Gesicht bleich wie Schnee und von feinen Perlen glitzernden Schweißes bedeckt war.

»Ich weiß es nicht«, murmelte ich. »Ich bin hereingekommen, und ...« Ich sprach nicht weiter, denn in diesem Moment bewegte sich etwas dicht neben meinem rechten Fuß. Ein kleiner grauer Ball kroch auf mich zu, stieß ein klägliches Quietschen aus und verendete. Voller Entsetzen führte ich mir die Tatsache vor Augen, daß längst nicht alle Ratten tot waren. Ich wies auf die Uhr. »Sie müssen durch das Tor gekommen sein.«

Howard sah mich zweifelnd an. Er machte einen Schritt auf die offenstehende Uhr zu und ließ sich dicht neben dem Strom graubrauner toter oder sterbender Ratten in die Hocke sinken. Seine Gelenke knackten. Einen Moment lang sah er sich suchend um, dann deutete er mit einer Kopfbewegung auf das Lineal, das auf meinem Schreibtisch stand, und streckte fordernd die Hand aus.

Ich reichte es ihm. Howard drehte sich in der Hocke herum, stützte sich mit der Linken am Boden auf und angelte mit dem Ende des Lineals nach der Tür der Standuhr. Die Scharniere knirschten leise, als das massive Eichenholzblatt vollends nach außen schwang.

Howard prallte mit einem Schrei zurück, als Hunderte und Aberhunderte von toten Ratten wie eine braune Lawine aus der Uhr kollerten und sich auf dem Boden verteilten.

Mit rasendem Herzen trat ich hinter Howard und spähte in die Uhr. Die komplizierte Mechanik des Läutwerkes war verschwunden; aber das hatte ich erwartet. Was ich nicht erwartet hatte, war der zuckende, rotweiße Korridor, der hinter der Tür begann.

Er war rund, wenn auch nur annähernd, denn seine Wände befanden sich in beständiger zuckender Bewegung, und schien sich unablässig zu biegen und zu winden wie ein Schlauch. Tropfen von weißer und roter Flüssigkeit drangen überall aus Wänden und Decke. Auf furchtbare Weise hatte ich das sichere Gefühl, etwas Lebendigem gegenüberzustehen ...