Howard packte das Lineal fester, beugte sich weiter vor und schob die Tür langsam wieder zu. Immer wieder mußte er damit innehalten, um tote Ratten beiseite zu schieben, die die Tür blockierten, und ich hatte das Gefühl, daß der Tunnel stärker zuckte und bebte, je weiter sich die Tür schloß.
Es gelang uns nur mit vereinten Kräften, und selbst zu dritt hatten wir alle Mühe, die Uhr zu schließen. Es war nicht so, als müßten wir wirklich gegen einen fühlbaren Widerstand ankämpfen; vielmehr schien sich die Tür selbst mit aller Gewalt gegen unseren Druck zu stemmen. Es war ein Gefühl, als versuche man die Faust in ein Wattebündel zu schlagen, und als das kleine Messingschloß schließlich einrastete, hörte es sich fast an wie ein leises, qualvolles Stöhnen.
Howard wandte sich wieder um, ging erneut vor dem Strom toter und verendender Tiere in die Hocke und hob schließlich einen der kleinen Nager am Schwanz in die Höhe.
»Schau dir das an«, sagte er.
Widerwillig ließ ich mich neben ihm in die Hocke sinken, schluckte bitteren Speichel herunter und versuchte mich innerlich gegen den ekelerregenden Anblick zu wappnen.
Es war schauderhaft. Die Ratte war tot, aber jetzt, nachdem ich mich zwang, den gräßlichen Anblick zu ertragen, sah ich auch, daß sie nicht an ihren Verletzungen verendet war.
Sie war nämlich nicht verletzt.
Obgleich der Kadaver einen Anblick bot, der ausgereicht hätte, dem Marquis de Sade schlaflose Nächte zu bereiten, wies er keinerlei äußerliche Verletzungen auf. Was ich für schreckliche Wunden gehalten hatte, waren große, glitzernde Stellen, an denen das Fell nach innen gewachsen zu sein schien, die vermeintlich zerbrochenen Glieder waren so gewachsen, die heraushängenden Eingeweide von einem brutalen Scherz der Natur so angeordnet.
Und endlich begriff ich. Nicht eines der zahllosen Tiere, die hier bei uns im Raum waren, war gewaltsam ums Leben gekommen. Es war eine Armee grausiger Mißgeburten, die durch das Tor im Inneren der Uhr gekommen war!
Vor den Fenstern kroch graue Dämmerung in die Nacht, aber wir saßen noch immer beieinander; keiner von uns hatte auch nur einen Gedanken daran verschwendet, sich zurückzuziehen oder gar Schlaf finden zu wollen. Es war fünf - eine Zeit, zu der ich normalerweise zu Bett ging und gewisse abartig veranlagte Menschen bereits wieder aufstanden - und wir hatten den Rest der Nacht damit verbracht, die toten Ratten zu beseitigen und wenigstens wieder einigermaßen Ordnung zu schaffen. Nicht, daß es uns gelungen wäre. Der Aasgestank würde sich noch monatelang in Tapeten und Vorhängen halten, und überall auf dem Teppich waren dunkle Flecken zurückgeblieben. Aber wir hatten wenigstens die Kadaver beseitigt, und wir hatten sogar das Kunststück fertiggebracht, dies zu tun, ohne die Dienerschaft dabei aufzuwecken. Die Männer und Frauen, die in meinem Dienst standen, waren zwar Absonderliches gewöhnt - aber ein paar hundert verstümmelter Ratten, die aus dem Nichts in meiner Bibliothek auftauchten, gehörten nun doch nicht dazu.
Mit zitternden Händen griff ich nach meiner Tasse mit längst kalt gewordenem Kaffee, trank einen Schluck und stellte sie mit einem übertrieben kräftigen Ruck wieder ab, als Howard sich die wahrscheinlich fünfzigste Zigarre während dieser Nacht anzündete. Er hatte argumentiert, daß der Tabaksgeruch den Aasgestank überdeckte - was nicht stimmte, es roch jetzt zwar nicht mehr nach Aas, sondern nach verbranntem Aas -, aber ich hatte mich trotzdem geschlagen gegeben.
»Ich versteh’ dat nich«, murmelte Rowlf. »Du has doch gesacht, das dat Tor es nich mehr tut.«
Howard deutete mit dem glühenden Ende seiner Zigarre auf die tote Ratte, die auf einem Stück Papier auf dem Tisch lag. »Zumindest funktioniert es nicht mehr so, wie es sollte«, sagte er. »Sieh dir dieses Tier an. Ich vermute, das war eine völlig normale Ratte, als es das Tor betreten hat.«
Mein Magen kroch ein Stück weit in meiner Speiseröhre hinauf. »Wie ... bitte?« sagte ich mühsam.
Howard seufzte. Einen Moment lang hielt er meinem Blick stand, dann sah er weg, sog an seiner Zigarre und seufzte abermals. »Ich weiß nicht viel über die Tore«, begann er.
»Aber offensichtlich immer noch eine Menge mehr als ich«, unterbrach ich ihn spitz. Howard runzelte die Stirn.
»Ich habe meine Gründe, dir nicht alles zu sagen«, murmelte er. »Du bist noch nicht soweit, Junge.«
Zorn kochte wie eine heiße Woge in mir hoch. »Aber ich bin weit genug, mich umbringen zu lassen«, sagte ich böse. »Ich bin weit genug, mitten in der Nacht eine Armee verkrüppelter Ratten in meinem Arbeitszimmer zu finden, und ich bin weit genug, dir um die halbe Welt nachzureisen, um dich vor den Nachstellungen deiner verrückten Logenbrüder zu retten. Zum Teufel - wann wirst du aufhören, mich wie einen Idioten zu behandeln, Howard?«
Die letzten Worte hatte ich fast geschrien, aber Howard blieb ganz ruhig. Er hatte eine Art, immer ruhiger und sanfter zu werden, je mehr ich mich aufregte, die mich rasend machte. »Wenn du aufhörst, dich so zu benehmen, Robert«, sagte er leise.
Ich starrte ihn an. Howard hielt meinem Blick gelassen stand. »Es hat überhaupt keinen Sinn, wenn wir uns jetzt streiten, Robert«, sagte er sanft. »Ich weiß wirklich nicht viel über die Tore. Dein Vater wußte eine Menge darüber, aber er hat mir niemals alles verraten. Selbst von dem Tor in dieser Uhr habe ich nur durch Zufall erfahren.«
»Immerhin wußtest du genug darüber, um es zu benutzen«, erinnerte ich ihn.
Howard nickte. »In äußerster Not«, bestätigte er. »Aber so, wie es jetzt aussieht, würde ich es nicht mehr wagen.«
Ich schluckte, blickte einen Herzschlag lang die geschlossene Tür der Standuhr an und wandte mich dann wieder an Howard. »Wie meinst du das?«
»Ich weiß nicht viel über die Tore«, sagte er noch einmal, an den Beginn seiner Erklärung anknüpfend, die ich so abrupt unterbrochen hatte. »Aber dein Vater erklärte mir einmal, daß sie eine Art Weg durch eine andere Dimension darstellen.« Er lächelte schmerzlich. »Ich weiß, wie verrückt sich das anhört, aber genau das waren seine Worte. Wer diesen Weg betritt, der existiert nicht mehr wirklich. Nicht ... nicht körperlich, verstehst du? Dein Körper wird in Atome aufgelöst und in unglaublich kurzer Zeit zu einem anderen Tor transportiert. Dort wird er wieder zusammengesetzt. Du ... begreifst, was ich meine?«
»Natürlich«, sagte ich und schüttelte den Kopf.
Howard lächelte. »Es ist schwer zu erklären«, gestand er ein. »Versuch es so zu sehen - du existierst nur noch als Idee, sobald du ein Tor betrittst. Und aus dieser Idee wird wieder ein Körper, sobald du es verläßt.«
»Das mit den Ratten war ‘ne Scheißidee«, warf Rowlf ein. Er war aufgestanden und zum Fenster gegangen, um auf die Straße hinauszusehen.
Howard blieb vollkommen ernst. »Ich weiß nicht, ob es nur dieses Tor hier betrifft oder das ganze System«, fuhr er fort. »Jedenfalls scheint es nicht mehr zu funktionieren. Die Ratten wurden entmaterialisiert, aber nicht mehr richtig zusammengesetzt - laienhaft ausgedrückt.«
Ein eisiger Schauer raste über meinen Rücken, als ich begriff, was er meinte. »Willst ... willst du damit sagen, daß ... dasselbe mit einem Menschen geschehen würde, wenn er ...« Ich sprach nicht weiter. Der Gedanke ließ mich innerlich zu Eis erstarren.
»Ich fürchte es«, sagte Howard. »Jedenfalls möchte ich es nicht ausprobieren.«