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»Aber woher sind sie gekommen?« fragte ich. »Und warum?«

Diesmal antwortete Howard nicht sofort. Natürlich wußte er, worauf ich mit meiner Frage anspielte - es konnte kein Zufall sein, daß diese Ratten-Armee ausgerechnet jetzt hier aufgetaucht war, kaum eine Stunde nach meiner unheimlichen Begegnung mit der maskierten Frau und ihrem gespenstischen Begleiter.

»Ich weiß es nicht«, seufzte er schließlich. »Aber es sieht so aus, als hätte jemand etwas dagegen, daß du dich zu sehr in gewisse Dinge mischst. Wer immer diese Frau war, die du gesehen hast - sie meint es ernst.«

»Aber das ergibt überhaupt keinen Sinn!« widersprach ich. »Warum sollte sie mich erst warnen und mir dann diese ... diese Biester schicken?!«

»Vielleicht, um ihrer Warnung ein wenig Nachdruck zu verleihen«, vermutete Howard.

»Unsinn!« widersprach ich heftig. »Das hätte Sinn, wenn ich mich weiter -«

»Vielleicht redet ihr später drüber«, unterbrach mich Rowlf. »Da kommt ne Droschke. Sieht aus, wie wennse hier halten würde.«

Howard und ich standen gleichzeitig auf und traten neben ihn. Rowlf hatte recht - im schwachen Licht des heraufziehenden Tages war ein vierspänniger Wagen zu erkennen, der quer über den Ashton Place herangefahren kam und zielsicher vor meinem Grundstück hielt. Der Kutscher sprang vom Bock, wieselte um den Wagen herum und riß den Schlag auf. Augenblicke später wälzten sich zwei Zentner tüllverhüllten Specks auf die Straße und wackelten auf die Tür zu.

»Das ... ist Lady McPhearson!« sagte ich erstaunt. »Was in aller Welt will sie hier? Noch dazu zu dieser Zeit?«

»Das habe ich befürchtet«, murmelte Howard. »Es wäre auch zu schön gewesen ...« Er schloß mit einem Seufzen, drehte sich abrupt vom Fenster weg und gab Rowlf einen Wink.

»Geh hinunter und mach die Tür auf«, sagte er. »Schnell, ehe sie klopft und die Dienerschaft weckt.«

Rowlf gehorchte. Wir hörten ihn die Treppe hinunterpoltern und durch die Halle stürmen; wenige Augenblicke später knarrte die Eingangstür, und Lady Audleys Stimme klang auf.

Howard wickelte hastig die tote Ratte in ein Papier, sah sich einen Moment hilflos um und plazierte sie in Ermangelung eines besseren Verstecks schließlich im Kamin, während ich das Fenster aufriß, um den üblen Geruch aus dem Zimmer zu vertreiben. Auf die Idee hätte ich auch schon vor zwei Stunden kommen können.

Wir waren kaum mit unseren Vorbereitungen fertig, als die Tür aufging und Rowlf wieder hereinkam, gefolgt von Lady Audley, die zu ihrem Doppelkinn nun auch noch dunkle Ringe unter den Augen trug. Sie schien in dieser Nacht so wenig geschlafen zu haben wie wir.

»Robert«, begann sie, ohne sich mit irgendwelchen überflüssigen Floskeln aufzuhalten, »ich muß Sie sprechen.« Zielsicher walzte sie auf mich zu, ließ sich in einen Stuhl fallen und griff nach der Kaffeekanne.

»Zwecklos, Lady Audley«, sagte ich. »Er ist kalt. Aber Rowlf kann neuen aufbrühen.«

Rowlf nickte und verschwand, während sich Howard - schon wieder eine neue Zigarre im Mund - zwischen mir und Lady Audley am Tisch niederließ.

»Ich sehe, Sie haben auch keinen Schlaf gefunden«, begann Lady Audley. »Das ist verständlich, nach allem, was geschehen ist. Und es enthebt mich der Peinlichkeit, Sie wecken zu müssen.«

»Es hätte nichts ausgemacht«, antwortete ich. »Aber Sie haben recht. Howard und ich haben die ganze Nacht darüber nachgedacht, was nun während der Seance wirklich geschehen ist. Aber leider wissen wir es nicht.«

»Aber ich«, erklärte Lady Audley.

Verwirrt sah ich sie an. »Sie ... wissen?« murmelte ich.

Lady Audley McPhearson nickte mit großem Ernst. »Sie können es nicht wissen, mein Junge«, sagte sie. »Sie sind jung und unbefangen, und das ist auch gut so.«

Ich hatte meine Züge wohl nicht halb so gut unter Kontrolle, wie ich es gerne gehabt hätte, denn Lady McPhearson lächelte plötzlich und fuhr - in eindeutig gönnerhaftem Ton - fort: »Machen Sie sich nichts draus, Robert. Sie sind vielleicht ein begnadetes Medium, aber Ihnen fehlt einfach noch die Erfahrung, wissen Sie? Irgendwann werden Sie begreifen, daß es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die sich unsere Schulweisheit nicht erklären kann.«

Das kam mir irgendwie bekannt vor, aber ich war klug genug, sie nicht zu unterbrechen.

»Was meinen Sie damit?« fragte Howard.

Lady Audley bedachte ihn mit einem Blick, der jeden anderen in den Sessel hätte schrumpfen lassen. »Ich meine damit, Mister Phillips«, sagte sie, »daß Robert unsere kleinen Seancen bisher nicht ernst genommen hat. Widersprechen Sie mir nicht, Robert«, sagte sie mit erhobener Stimme, als ich sie unterbrechen wollte. »Ich habe Sie längst durchschaut. Für Sie war das alles nur ein großer Spaß, bei dem Sie sich köstlich über uns alberne alte Frauen amüsiert haben, nicht wahr?« Ein flüchtiges Lächeln stahl sich auf ihre übermüdeten Züge und erlosch wieder. »Das ist Ihr gutes Recht, Robert«, fuhr sie fort. »Aber seit heute nacht sollten Sie wissen, daß es mehr ist als ein Spaß. Vielleicht war es das, bisher. Aber Sie sind ein Medium, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen.«

Ich schwieg einen Moment, während Lady Audley sichtlich den Schrecken genoß, den ihre Worte für mich bedeuten mußten. »Wissen Sie, Lady Audley«, sagte ich schließlich, »es gibt da etwas, was ich Ihnen erklären muß ...«

Howard begann zu husten.

»Warum finden Sie sich nicht einfach damit ab, mein lieber Robert«, sagte Lady Audley. »Ich weiß, wie schwer es Ihnen fallen muß, aber es gibt so etwas wie Geister und übersinnliche Dinge. Wenn Sie älter werden, werden Sie noch begreifen, was ich meine. Schauen Sie - die meisten meiner Freunde halten mich für leicht verrückt, und ich lasse sie in diesem Glauben. Aber ich bin es nicht, ganz und gar nicht.«

»Aber Lady Aud-«

»Bitte, Robert«, unterbrach sie mich. »Halten Sie mich meinetwegen für eine verrückte alte Frau, aber gewähren Sie dieser verrückten alten Frau die Gnade, ein paar Stunden Ihrer Zeit in Beschlag zu nehmen.«

»Lady Audley«, begann ich, der Verzweiflung nahe. »Ich halte Sie ganz und gar nicht für verrückt. Im Gegenteil. Sie können nicht wissen, daß -«

»Warum hältst du nicht den Schnabel und hörst einfach zu?« unterbrach mich Howard. »Vielleicht ist es ja wirklich wichtig, Robert.«

Ich gab auf. Und wahrscheinlich hatte Howard sowieso recht - selbst wenn Lady Audley mir geglaubt hätte, wäre es mir schwergefallen, ihr zu erklären, daß ich als Sohn eines leibhaftigen Hexers eine ganze Menge mehr über diese Dinge wußte, von denen sie sprach.

Lady Audley warf Howard einen dankbaren Blick zu. »Ich danke Ihnen, Mister Phillips«, sagte sie, und fügte - nach einem übertrieben geschauspielerten Verziehen der Nase - hinzu: »Übrigens - was rauchen Sie für einen Tabak?«

»Warum?« fragte Howard.

»Er riecht nicht besonders gut«, sagte Lady Audley. »Um ehrlich zu sein, er stinkt nach verbrannter Ratte.«

Howard schluckte, während ich mit Mühe ein Grinsen unterdrückte. Gottlob kam in diesem Moment Rowlf mit einer Kanne frisch aufgebrühtem Kaffee zurück, und Lady Audley schwieg, bis er eingeschenkt und das Zimmer wieder verlassen hatte. Danach leerte sie schweigend hintereinander drei Tassen, ehe sie sich mit einem genußvollen Seufzer zurücksinken ließ.

»Das tat gut«, sagte sie. »Ich bin es nicht mehr gewohnt, eine Nacht nicht zu schlafen, Robert. Aber jetzt fühle ich mich schon besser.«

»Warum sind Sie hier, Mylady?« begann Howard steif. »Doch sicher nicht nur, um Rowlfs Kaffee zu genießen.«

Ich sah ihn warnend an, aber Lady Audley schien seine Worte nicht übelzunehmen. »Natürlich nicht, Mister Phillips«, sagte sie. »Mein Überfall hat mit dem zu tun, was gestern abend auf der Seance geschehen ist. Aber das haben Sie sicher schon vermutet.«