Mein Blick wurde hart, und Cohen sah es. »Wenn Sie mich irgendeiner Straftat verdächtigen, Captain«, sagte ich eisig, »dann reden Sie am besten mit meinem Anwalt weiter. Er wartet draußen.«
Cohen machte eine wegwerfende Geste. »Hören Sie mit Ihrem Rechtsverdreher auf, Craven.«
»Dr. Gray ist kein Rechtsverdreher!«
Cohen seufzte. »Ich weiß. Er ist einer der besten und teuersten Juristen des Landes. Das ist ja gerade das Schlimme.« Er beugte sich vor, verschränkte die Hände vor sich auf dem Tisch und sah mich über den Rand seiner dünnen, goldgefaßten Brille hinweg durchdringend an. »Sie sind Amerikaner, Mister Craven.«
»Das steht in meiner Geburtsurkunde«, sagte ich, »aber ich bin seit -«
Aber wieder unterbrach mich Cohen. »Ich weiß«, sagte er. »Ich habe Ihre Karte studiert, Mister Craven. Trotzdem sind Sie de jure amerikanischer Staatsbürger.«
»Ein Ausländer«, antwortete ich gereizt. »Sagen Sie es ruhig.«
Cohen zuckte die Achseln. »Das haben Sie gesagt. Ich ... will ehrlich zu Ihnen sein, Mister Craven. Sie haben uns eine Menge Ärger gemacht, in den letzten Monaten.« Er stockte, suchte einen Moment sichtlich nach den richtigen Worten. »Ich will nicht lange um den heißen Brei herumreden, Craven«, fuhr er mit deutlich veränderter Stimme fort. »Sie und ich sind erwachsene Menschen und wissen recht gut, wie die Dinge wirklich sind. Ich glaube kaum, daß Sie etwas mit dem Verschwinden von Lady McPhearson zu tun haben; jedenfalls nicht in dem Sinne, daß ich Sie einer Straftat verdächtigen würde. Und ich fürchte, bei Ihrem Einfluß und Ihren nicht unbeträchtlichen finanziellen Mitteln dürfte es mir schwer fallen, Sie offiziell unter Anklage zu stellen, selbst wenn ich irgendwelche konkreten Beweise hätte.«
»Was soll ich dann noch hier?« fragte ich wütend, das halbe Dutzend kaum verhohlener Vorwürfe und Unterstellungen in seinen Worten bewußt ignorierend.
Cohen lächelte kalt. »Mir zuhören, Craven«, sagte er ruhig.
»Es geht nicht darum, ob und was ich Ihnen beweisen kann. Lady McPhearson ist nicht jemand, der einfach so verschwinden kann, ohne daß es weiter auffiele, aber darum kümmern wir uns. Wenn sie noch lebt, finden wir sie, und wenn sie tot sein sollte, finden wir ihre Mörder. Aber wie gesagt - darum geht es bei diesem Gespräch gar nicht. Es geht um Sie, Mister Craven. Sie verbreiten Unglück. Ich werfe Ihnen nicht vor, irgend etwas Ungesetzliches getan zu haben, aber sie verbreiten Unglück. Die Leute, die in Ihre Nähe kommen, entwickeln einen verhängnisvollen Hang, auf dramatische Weise ums Leben zu kommen. Das müssen Sie zugeben.«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte ich scharf.
»Nichts«, erwiderte Cohen gelassen. »Ich denke nur laut.« Er seufzte. »Wissen Sie, Craven«, fuhr er nach einer Weile fort. »Ich glaube, ich kann Sie nicht leiden. Und ich glaube weiter, daß ich kein Wort von der verrückten Geschichte glaube, die Sie mir aufgetischt haben. Wenn es nach mir ginge, dann würde ich sie einfach festnehmen und in den tiefsten Keller des Towers sperren, so lange, bis ich die Wahrheit herausbekommen hätte. Aber zufälligerweise sind Sie kein irgendwer, sondern einer der reichsten und höchstwahrscheinlich auch einflußreichsten Männer der Stadt, trotz ihrer Jugend.«
»Gut, daß Sie es einsehen«, knurrte ich.
»Das ändert gar nichts«, sagte Cohen gelassen. »Nicht viel, jedenfalls. Ich werde ein Auge auf Sie haben, verlassen Sie sich darauf.« Er lächelte, blickte einen Moment konzentriert aus dem Fenster, als gäbe es dort etwas ungemein Wichtiges zu sehen, und sah mich dann wieder über den Rand seiner Brille hinweg an.
»Das Allerbeste«, sagte er leise, aber sehr, sehr ernst, »wäre, wenn Sie die Stadt verlassen würden, Mister Craven. Vielleicht sogar die Britischen Inseln.«
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff. »Sie ... Sie wollen mich aus der Stadt werfen?« fragte ich. »Mich des Landes verweisen? Mit welcher Begründung?«
»Mit keiner«, antwortete Cohen. »Wie gesagt - ich denke nur laut. Aber ich bin nicht der einzige, der das tut, müssen Sie wissen. Es gibt Leute, die es für besser halten würden, wenn sie dem Britischen Empire den Rücken kehren würden. Natürlich verweise ich Sie weder der Stadt noch des Landes. Das kann ich nicht. Noch nicht.«
»Aber Sie legen mir nahe zu gehen, ehe sie es können.«
Cohen nickte. »Ja. Was nicht ist, kann durchaus noch werden, wissen Sie? Ich würde es bedauern, wenn ich Sie in Handschellen an Bord eines Schiffes führen müßte, das in die Staaten fährt.«
Nicht, daß mich Cohens Worte wirklich überraschend getroffen hätten. Nach allem, was vorgefallen war, hatte ich im Grunde mit viel größeren Schwierigkeiten gerechnet. Ohne Grays juristische Kunststücke säße ich wahrscheinlich jetzt schon längst in irgendeiner Zelle, die ich erst in fünfzig Jahren wieder verlassen konnte.
»Überlegen Sie es sich«, sagte Cohen und stand auf. »Es hat keine Eile. Wie Sie sich denken können, muß ich Sie sowieso bitten, die Stadt in nächster Zeit nicht zu verlassen. Aber sobald die Untersuchungen abgeschlossen sind, sollten Sie meinen Vorschlag ernsthaft ins Auge fassen. Vielleicht sehe ich in ein paar Tagen bei Ihnen vorbei und hole mir Ihre Antwort ab. Es sind da sowieso noch ein paar ... Kleinigkeiten zu besprechen.«
Ich stand ebenfalls auf, starrte ihn einen Moment mit einer Mischung aus Zorn und Niedergeschlagenheit an, und stürmte aus seinem Büro.
Dr. Gray, mein Rechtsanwalt und Vermögensverwalter, der die ganze Zeit auf mich gewartet hatte, um sofort eingreifen zu können, falls ich doch in Schwierigkeiten geraten sollte, sprang von der unbequemen Holzbank auf und kam mir mit fragendem Gesicht entgegen. »Nun?«
»Nichts, nun«, sagte ich seufzend. »Er hat mir nahegelegt, das Land zu verlassen, oder wenigstens die Stadt.«
Gray erbleichte. »Er hat - was?« keuchte er.
»Mir gesagt, ich solle verschwinden, ehe ich Ärger kriege«, antwortete ich. »Jedenfalls lief es darauf hinaus. Und das Schlimme ist: er hat sogar recht.«
Gray fegte meine Antwort mit einer wütenden Bewegung beiseite, trat an mir vorbei und streckte die Hand nach der Türklinke aus. »Warte hier auf mich«, sagte er. »Ich kläre die Angelegenheit.«
Ich hielt ihn mit einem raschen Griff zurück. »Das hat doch keinen Sinn«, sagte ich. »Cohen hat ja recht. Ich kann nicht die Hände in den Schoß legen und so tun, als wäre nichts geschehen.«
»Natürlich nicht«, schnappte Gray. Seine grauen, von einem Netzwerk winziger Fältchen eingefaßten Augen blitzten. »Aber ich kenne Cohen. Wenn er keinen Dämpfer bekommt, wird er dein Schweigen als Zeichen von Furcht auffassen und das nächste Mal einen Schritt weiter gehen. Warte unten in der Halle auf mich. Das hier dauert nur einen Moment.« Ehe ich Gelegenheit hatte, ihn zurückzurufen, drückte er die Klinke herunter und stürmte in Cohens Büro.
Einen Moment lang blickte ich die geschlossene Tür noch kopfschüttelnd an, dann ging ich langsam den nur schwach erhellten Korridor zur Treppe hinab. Vermutlich hatte Gray recht - man mußte Cohen auf die Finger klopfen. Aber seine Fähigkeit, Konflikte auszutragen, war einfach erschöpft. Ich war müde, fühlte mich schwach, hatte Hunger und Durst, und in meinem Kopf drehte sich alles. Im Grunde wollte ich nur noch nach Hause.
Ich ging die Treppe hinunter und trat in die hohe, nach vorne offene Säulenhalle hinaus. Obwohl es für diese Jahreszeit kalt war, fühlte ich mich im Freien einfach wohler. Es war absurd - die Männer, die in dem wichtigen Gebäude von Scotland Yard ihren Dienst versahen, waren im Grunde meine Verbündeten. Wir hätten zusammenhalten sollen. Aber im Augenblick waren sie meine Feinde.