Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich einen Schrei zu hören, einen Schrei so voller Entsetzen und Furcht, wie ich ihn noch nie zuvor in meinem Leben vernommen hatte. Dann verstummte er. Der Nebelkörper und das schwarze Ding in der Tischplatte war verschwunden, und plötzlich war das Licht wieder normal.
Aber nur für einen Moment.
Dann kehrte der grüne Schein zurück, und ein geradezu bestialischer Gestank raubte mir den Atem.
Und über der Tischplatte erschien zum zweiten Mal die flackernde Nebelgestalt.
Aber sie hatte sich verändert!
Ihr Körper schien auf bizarre Weise verkrüppelt, verzerrt und irgendwie in sich gestaucht und verdreht, so daß er mehr der Karikatur eines menschlichen Wesens glich. Das gerade noch blütenweiße, seidene Nachtgewand war mit schwarzen Flecken übersät, und in ihrem Haar klebten Blut und Schleim.
Mit einem Schrei prallte ich zurück, verlor das Gleichgewicht und stolperte über einen Stuhl.
Aber ich spürte den Schmerz kaum. Mein Blick hing wie gebannt an der grauenhaften Karikatur meiner Verlobten, an diesem fürchterlichen, gräßlichen Etwas, in das sich ihr Bildnis verwandelt hatte.
Und es verwandelte sich weiter ...
Ihr Gesicht veränderte sich.
Eine unsichtbare Hand schien nach ihrem Antlitz zu greifen und ihre Züge zu kneten, auf grausige Weise zu verschieben und neu zu formen, als bestünden sie nur aus weichem Wachs. Aus dem zarten, knabenhaften Antlitz Priscyllas wurde eine gräßliche Grimasse. Plötzlich war ihre Haut teigig und weiß, die Augen dunkle, tief in die Höhlen zurückgesunkene Pfuhle, aus denen mich der Wahnsinn angrinste. Hinter den zurückgezogenen, gerissenen Lippen höhnte ein fürchterliches Raubtiergebiß.
Langsam drehte sich die Nebelgestalt um, löste sich aus dem flackernden Lichtkranz, der sie umgab, und gewann weiter an Substanz. Ihre Hände hoben sich, und ich sah, daß sie sich zu Raubtierkrallen verwandelt hatten.
Mit langsamen, sonderbar schwerelos wirkenden Bewegungen löste sich die Gestalt vom Tisch, blieb einen Moment reglos stehen und ging dann auf mich zu.
»Rette mich, Robert«, kicherte sie. »So rette mich doch. Du mußt mir helfen!«
Irgend etwas in mir zerbrach. Ich wußte, daß das Ding vor mir nicht wirklich Priscylla war, sondern nur ein Trugbild, eigens zu dem Zweck geschaffen, mich zu quälen und mit der Karikatur des einzigen Menschens, den ich jemals geliebt hatte, zu verspotten. Aber der Anblick lähmte mich.
Ich begann rücklings vor dem näherkommenden Schauspiel zurückzukriechen. Die Bestie kicherte, verzog das Gesicht zu einem höhnischen Grinsen und schlug spielerisch mit den Krallen nach mir.
»Robert!« brüllte Howard. »Das ist nicht Priscylla! Das ist ein Shoggote! Wehr dich!«
Gleichzeitig sprang er auf, riß den Stockdegen aus seiner Umhüllung und holte zu einem Hieb aus.
Das Monster war schneller. Blitzartig wirbelte es herum und schlug mit seinen fürchterlichen Krallen nach dem Angreifer. Howard versuchte dem Hieb auszuweichen, schaffte es aber nicht ganz. Die Tigerpranke des Ungeheuers berührte ihn fast sanft an der Brust.
Howard schrie auf, als wäre er von einem Blitz getroffen worden. Er taumelte zurück, prallte gegen ein Regal und riß es im Zusammenbrechen mit sich. Sekundenbruchteile später, ehe er unter einer Flut von zerberstenden Brettern und Büchern verschwand, sah ich, daß sich sein weißes Hemd über der Brust rot färbte.
Langsam wandte sich das Monster um.
»Du bist tot, Robert Craven!« höhnte es, während es näherkam. »Du wirst sterben. So wie alle anderen. Wir kriegen dich!«
Seine Pranke zuckte vor, riß meinen Rock auf und hinterließ einen blutigen Schnitt in meiner Schulter. Der Schmerz riß mich in die Wirklichkeit zurück.
Plötzlich begriff ich mit schmerzhafter Klarheit, daß ich sterben würde. Das Ding, dem ich gegenüberstand, war keine Vision, kein Schattenbild, sondern ein Shoggote, eine Kreatur, die zu dem einzigen Zweck erschaffen worden war, zu töten.
Mich zu töten.
Der Unhold kicherte böse, als hätte er meine Gedanken gelesen. Vielleicht hatte er es. »Du wirst sterben, Robert!« zischte die Spottgeburt. »Du bist schon tot. Du hast es nur noch nicht gemerkt!«
Im gleichen Moment erscholl draußen auf dem Korridor ein Schrei. Die Tür wurde mit einem Schlag aufgesprengt, und unter der Öffnung erschien eine geduckte, schlanke Gestalt.
Shannon!
Der Shoggote reagierte mit übernatürlicher Schnelligkeit. Mit einem wütenden Zischen wirbelte er herum, riß die Hände in die Höhe - und schleuderte einen knisternden Blitz auf den jungen Magier.
Geblendet schloß ich die Augen, aber der gleißende Schein drang durch meine Lider und ließ mich wie in einem bizarren, lebenden Schwarz-weiß-Bild erkennen, was weiter geschah.
Der Blitz raste auf Shannon zu - aber er erreichte ihn nicht. Die Gestalt des jungen Magiers schien plötzlich in einen Mantel aus knisternden Funken gehüllt zu sein. Sein Haar leuchtete auf, und vor seinen Füßen begann der Boden zu schwelen.
Dann schlug er zurück.
Ich konnte nicht erkennen, was er tat. Es war kein Blitz wie der des Shoggoten, kein plötzliches Aufflammen magischer Energien, sondern etwas Unsichtbares, das wie ein körperloser Schatten durch den Raum zuckte, den Leib des Shoggoten einhüllte und ihn zurücktaumeln ließ.
Die Schreie des Wesens klangen plötzlich gequält. Er taumelte, fiel auf die Knie und versuchte sich wieder aufzurichten.
»Jeff!« brüllte Shannon. »Der Stein! Dein Shoggotenstern! Schnell!«
Endlich begriff ich, was Shannon meinte. Meine Hand zuckte zur Rocktasche, fuhr hinein - und griff ins Leere.
Ein eisiger Schrecken durchzuckte mich. Der Stein war verschwunden. Ich hatte mich umgezogen, nachdem wir die Universität erreicht hatten - und der Shoggotenstern befand sich noch in der Tasche meines anderen Rockes, zwei Zimmer entfernt und unerreichbar!
Das Priscylla-Ding richtete sich mit einem boshaften Zischen auf. Sein Blick irrte zwischen mir und Shannon hin und her, aber es schien in dem jungen Magier instinktiv den gefährlicheren Gegner zu erkennen.
Wieder zuckte seine Hand in die Höhe, und wieder brach ein knisternder Blitz blauweißer Helligkeit aus seinen Krallen.
Diesmal taumelte Shannon unter dem Anprall magischer Energien. Blaue, haardünne Lichtblitze zuckten aus dem unsichtbaren Mantel, der seinen Körper schützte.
Shannon wich Schritt für Schritt zurück. Auf seinem Gesicht lag ein angespannter, konzentrierter Ausdruck, und ich sah, wie seine Lippen lautlose Worte formten, als er sich auf den nächsten magischen Hieb der Bestie vorbereitete.
Um ein Haar hätte ihn dieser Irrtum das Leben gekostet.
Der Shoggote hatte endlich erkannt, daß er hier einem Gegner gegenüberstand, dessen magische Fähigkeiten den seinen ebenbürtig, wenn nicht überlegen waren.
Aber er war noch immer eine Bestie, deren schiere Körperkräfte denen eines Bären gleichkommen mußten!
Mit einem Schrei warf er sich vor, sprang auf Shannon zu und schloß die Krallen wie in einer Umarmung um seinen Oberkörper. Shannons Schrei wurde zu einem Stöhnen, als die Umarmung die Luft aus seinen Lungen preßte.
Ohne auch nur einen Gedanken an die Gefahr zu verschwenden, in der ich schwebte, sprang ich vor und versuchte, den Kopf des Monstrums zurückzureißen.
Der Shoggote knurrte wie ein gereizter Löwe, krümmte den Rücken und schüttelte mich ab wie ein lästiges Insekt.
Der Ruck ließ mich quer durch den Raum und gegen den Tisch prallen.
Ich fiel auf die Knie und fühlte etwas Hartes unter mir, griff zu und erkannte den Degen.