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Cohen starrte einen Moment lang ihn, dann die geschlossene Tür an, und nickte. Umständlich kletterte er von seiner Bank herunter, ging rückwärts zur Tür und klopfte mit der Faust dagegen. Draußen ertönte ein grellender Schrei, wie zur Antwort, und wieder kreischte ein Pferd. Diesmal war es eindeutig ein Schmerzensschrei.

Cohen erbleichte. Wie von Sinnen begann er mit den Fäusten gegen die Tür zu schlagen und zu brüllen, aber die einzige Reaktion auf seine Worte waren neue Schreie draußen auf der Straße, und ein abermaliger, dumpfer Schlag, der den Wagen traf. Dann krachte ein Schuß, gleich darauf ein zweiter, und plötzlich begannen eine ganze Menge Stimmen gleichzeitig zu kreischen. Den Geräuschen nach zu urteilen, mußte dort draußen eine mittlere Schlacht stattfinden.

»Warum schließen Sie nicht auf?« schnappte Howard. »Da draußen passiert etwas, das hören Sie doch!«

Cohen nickte nervös. »Ich kann nicht aufschließen«, sagte er. »Ich habe keinen Schlüssel. Das ist Vorschrift.«

»Dann brechen Sie sie auf!« sagte Howard.

Cohen zögerte einen Moment, lauschte noch einmal auf das Schreien und Krachen draußen und nickte abgehackt. Mit einem heftigen Ruck drehte er sich herum und richtete den Lauf seiner Waffe auf das Türschloß. »Treten Sie zurück.«

Howard, ich und die beiden Polizisten gehorchten hastig, aber Rowlf trat mit einem ärgerlichen Knurren an mir vorbei, ergriff Cohens rechte Hand und verbog sein Gelenk, bis er mit einem Schmerzlaut die Waffe fallen ließ.

»Biste bescheuert, Mann?« schnauzte er. »Dat is ne Fünfunvierzier. Wenne mit der Wumme hier drin schießn tust, platzt jedem hiers Trommelfell. Geh zurück. Ich machs schon.«

Damit versetzte er Cohen einen Stoß, der ihn quer durch den Wagen und in die Arme seiner beiden Männer taumeln ließ, drehte sich mit einem Knurren herum - und rannte mit aller Gewalt gegen die geschlossene Tür.

Die Londoner Gefängniswagen schienen nicht halb so stabil zu sein, wie im allgemeinen angenommen wurde. Oder Rowlf war noch stärker, als ich ohnehin wußte.

Ich hatte erwartet, daß er die Tür im ersten Ansturm aufbrechen würde; was ich nicht erwartet hatte, war, daß das Holz wie mürbes Stroh nachgab und er regelrecht durch die Tür hindurchrannte, um - von seinem eigenen Schwung weiter vorwärts getragen - aus dem Wagen zu stolpern und draußen auf die Knie zu fallen.

Ein Mann taumelte an ihm vorüber. Er trug die schwarze Uniform der englischen Stadtpolizei. Seine Jacke und sein Gesicht waren voller Blut, und er schrie so gellend und schrill, wie ich es selten zuvor gehört hatte. An seinem rechten Arm hing ein zappelnder, pelziger brauner Ball.

Und endlich erwachte auch Cohen wieder aus seiner Erstarrung. Mit einem wütenden Laut sprang er hinter Rowlf her, erblickte die Ratte und zog ganz automatisch seine Pistole. Entsetzt beobachtete ich, wie er auf die zappelnde Ratte anlegte, die sich in den Arm des schreienden Bobbys verbissen hatte.

»Um Gottes willen, Cohen - nicht!« rief ich. Blitzschnell warf ich mich vor, prallte mit weit ausgebreiteten Armen gegen ihn, einen Sekundenbruchteil, bevor sich der Schuß löste. Die großkalibrige Kugel, die möglicherweise die Ratte und ganz sicher den Polizisten getroffen hätte, jagte harmlos in die Luft.

Aneinandergeklammert stürzten wir zu Boden. Der Aufprall war hart genug, Cohen die Waffe aus der Hand zu schlagen.

Wir sprangen beinahe gleichzeitig nach dem schweren Revolver, aber diesmal war ich um eine Winzigkeit schneller. Als Cohen sich verblüfft - und noch immer ein bißchen benommen - auf die Knie hochstemmte, blickte er in die Mündung eines eigenen Revolvers.

»Nicht bewegen!« sagte ich warnend. »Ich würde Ihnen nur sehr ungern ins Bein schießen, Captain. Aber ich tue es, wenn ich muß.«

Cohen erstarrte. Seine Augen wurden groß vor Schrecken, dann blitzte Wut in seinem Blick auf. Aber er wagte es nicht, auch nur einen Finger zu rühren. »Das ... das werden Sie bereuen, Craven!« krächzte er.

Ich antwortete nicht, sondern sah mich zum ersten Mal bewußt auf der Straße um. Der Schuß hatte die Ratte vertrieben, die sich in den Arm des Bobbys verbissen hatte, aber eine ganze Anzahl weiterer der großen häßlichen Nager bevölkerten die Straße. Das kleine Fuhrwerk, das uns vorausgefahren war, war umgestürzt, und die beiden Pferde, die durch das jähe Auftauchen der Ratten offensichtlich in Panik geraten waren, zerrten wie von Sinnen an ihrem Geschirr.

Trotzdem war es lange nicht so schlimm wie am Morgen. Anders als bei dem Angriff auf unsere Kutsche waren nur ein paar Dutzend Ratten auf der Straße erschienen, genug, um die Pferde in Panik zu versetzen und Cohens Leuten einen gehörigen Schrecken einzujagen, aber mehr auch nicht. Ich atmete innerlich auf.

Ein verschreckt aussehender Bobby humpelte auf uns zu, den Schlagstock griffbereit in der Hand; aber er blieb abrupt stehen, als ich drohend mit dem Revolver fuchtelte.

»Sagen Sie Ihren Männern, daß Sie keine Dummheiten machen sollen«, sagte ich warnend. »Ich schieße, wenn Sie mich dazu zwingen.«

Cohen preßte die Lippen zusammen. Die Furcht in seinem Blick wich immer stärkerer Wut, aber er schien zu erkennen, daß ich es ernst meinte. »Damit kommen Sie nicht durch«, sagte er gepreßt. »Sie kommen niemals aus der Stadt heraus, das schwöre ich Ihnen.«

Ich ignorierte ihn kurzerhand. Mir blieb keine Zeit für Erklärungen. Vorsichtig stand ich auf, ging zur Kutsche zurück und begann eines der Pferde abzuschirren, wobei ich Cohen weiterhin mit seiner eigenen Waffe in Schach hielt. Das Pferd war halb wahnsinnig vor Angst und versuchte nach mir zu beißen. Ich griff nach seinem Geist und brach seinen Widerstand, und aus einem hysterischen Gaul wurde von einer Sekunde zur anderen ein lammfrommes Tier. Ich hatte fast so etwas wie ein schlechtes Gewissen, denn es hat mir immer widerstrebt, dem bewußten Willen einer denkenden Kreatur Gewalt anzutun, selbst wenn es nur ein Tier war. Dann vertrieb ich den Gedanken. Mir blieb keine Zeit für solcherlei Überlegungen.

Howard erreichte mich, als ich das Pferd zur Hälfte abgeschirrt hatte, und riß mich unsanft an der Schulter herum. »Was hast du vor?« fragte er erregt.

Ich streifte seine Hand ab und fuhr fort, das Geschirr zu lösen. »Ich muß weg«, sagte ich. »Sofort. Ich weiß jetzt, was das alles zu bedeuten hat.«

»Dann sag es mir!« verlangte Howard.

Ich schüttelte den Kopf, löste den letzten Lederriemen und schwang mich auf den Rücken der Stute. »Das kann ich nicht«, sagte ich. »Nicht jetzt. Es geht um Sekunden, Howard.«

Ich wollte losreiten, aber Howard fiel mir zum zweiten Mal wütend in die Zügel. »Ich begleite dich«, sagte er, aber wieder schüttelte ich den Kopf und schlug seine Hand beiseite; fester, als ich eigentlich gewollt hatte.

»Das geht nicht«, sagte ich hastig. »Bitte, Howard - vertrau mir. Du mußt hierbleiben. Kümmere dich um Cohen und erkläre ihm alles, was nötig ist.« Ich griff nach den Zügeln und zwang das Pferd, auf der Stelle kehrtzumachen. Auf einen lautlosen Befehl hin setzte sich die Stute in Bewegung. Sekunden später verließ ich die Seitenstraße und sprengte los.

Das Pferd war nahe am Zusammenbruch, als ich Ashton Place erreichte.

Wie von Furien gehetzt war ich quer durch die Londoner Innenstadt galoppiert, ungeachtet der Flüche und Verwünschungen, die mir folgten. Vermutlich würde ich einen ganzen Berg Strafanzeigen auf meinem Schreibtisch vorfinden, wenn ich zurückkam. Aber daran verschwendete ich in diesem Moment nicht einmal einen Gedanken.

DAS TIER. Das war das einzige, woran ich denken konnte. Die Bestie, die ich durch die Augen des Rattenmädchens gesehen hatte. Shub-Niggurath, die schreckliche Ziege mit den tausend Jungen, das war alles, woran ich denken konnte. Selbst als ich das Pferd quer über den zu dieser Zeit recht belebten Ashton Place preschen ließ und eine Spur auseinanderspritzender, fluchender Menschen und einen wütend gestikulierenden Bobby hinter mir zurückließ, sah ich nur das furchtbare Bild vor mir.