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Es gab keinen Laut, als das grüne Glühen ihn aufsaugte. Nur das Wabern und Wogen in seinem Zentrum wurde stärker, das unbeschreibliche Etwas, das im Herzen des grünen Lichtes Gestalt anzunehmen begann, schien erneut um eine Winzigkeit lebendiger und stofflicher zu werden ...

Wieder bewegten sich die Lippen des Mädchens, und diesmal war es ein Wort in der Sprache der Menschen, das sie sprachen. Nur ein Wort, aber immer und immer wieder. »Bald«, flüsterte sie. »Bald.«

Aus dem Grab erklang ein gräßlicher, saugender Laut; wie zur Antwort. Er klang fast wie ein Schmatzen.

»Cindy!« sagte ich verzweifelt. »Bitte!«

Diesmal reagierte sie nicht mehr. Hoch aufgerichtet und mit beschwörend ausgestreckten Armen stand sie über dem Grab, und ihre Lippen formten lautlose Worte; Worte einer Sprache, die vor Äonen untergegangen war und jetzt wieder zu schrecklichem Leben erwachte.

Wie die Wesen, die sie gesprochen hatten.

Mehr und mehr Ratten näherten sich dem Grab, immer in kleinen Gruppen und immer einen Toten zwischen sich tragend, den sie lautlos in das grüne Wogen hinabstürzen ließen. Opfer für Shub-Niggurath, dachte ich schaudernd. Nahrung für das Monster, das bald aus seinem äonenlangen Schlaf erwachen und das vergessene Grauen der Urzeit wieder über die Welt der Menschen bringen sollte. Und mit jedem Leichnam, der in das Grab geworfen wurde, wurde der aufgedunsene schwarze Balg der Bestie ein wenig stofflicher ...

Schließlich war auch der letzte Tote im Grab verschwunden, und der schwarze Fleck im Zentrum des grünen Lichtmeeres war jetzt zu einem pulsierenden, widerlichen Klumpen geworden, nur noch eine Winzigkeit davon entfernt, zu wirklichem Leben zu erwachen. Aber etwas fehlte noch.

Das letzte, entscheidende Opfer.

Das lebende Opfer, das er brauchte, um endgültig zu erwachen.

Cindy hob die Hand, und wie auf einen lautlosen Befehl hin setzte sich Lady Audley in Bewegung, trat ganz an das Grab heran und schloß die Augen. Ihre Lippen zuckten.

Und dann sah ich die Ratte.

Irgend etwas unterschied sie von den zahllosen Tieren, die zusammengekommen waren, um der fürchterlichen Zeremonie beizuwohnen.

Es war die Ratte, die Kilian begleitet hatte. Das Tier, das mich gerufen hatte. Und im gleichen Moment, in dem ich das begriff, spürte ich das Tasten.

Es war wie die Berührung unsichtbarer Spinnenfinger in meinem Geist, ein Suchen und Sondieren auf dumpfer, animalischer Ebene, das ich trotzdem verstand und auf das ich reagierte.

Die Verbindung kam so schnell zustande wie am Nachmittag, als ich mit dem Geist des durchgehenden Pferdes in London verschmolzen war; nur daß es diesmal die Ratte war, die den Kontakt herstellte. Sie war noch immer ein Tier, und trotzdem waren ihre Handlungen zielgerichtet und überlegt, denn da war ein anderer, stärkerer Geist im Hintergrund, der sie lenkte. Für Bruchteile von Sekunden sah ich durch die Augen der Ratte.

Und für Bruchteile von Sekunden sah ich Cindy so, wie sie wirklich war ...

Ein Monster. Ein gigantisches, krakenhaftes Ding mit riesigen Fledermausflügeln, lodernden roten Augen und schrecklichen Krallen, ein Ding, dessen bloßer Anblick tötete.

Ich schrie auf.

Cindys Kopf ruckte hoch, und in ihren Augen flammte Schrecken, dann nackte, panische Angst. Plötzlich fuhr sie herum, stieß einen schrillen Laut aus und deutete auf die Ratte.

Im gleichen Moment erlosch die geistige Verbindung zwischen uns. Die Ratte quietschte, fuhr auf der Stelle herum und versuchte verzweifelt, sich in Sicherheit zu bringen.

Sie kam nicht einmal einen Schritt weit. Wie eine graue Flut stürzten sich Hunderte ihrer Rassegenossen auf sie und zerrissen sie buchstäblich in Stücke.

Wie vor den Kopf geschlagen starrte ich Cindy an. Ich wußte, daß das, was ich gesehen hatte, die Wahrheit war. Aber ich weigerte mich, es zu glauben.

»Nein«, stammelte ich. »Das ... das ist nicht ...«

»Schweig!« schrie sie, und das Wort wurde von einem gedanklichen Hieb solcher Wucht begleitet, daß ich taumelte und mich wie unter Schmerzen zusammenkrümmte. »Störe die Zeremonie nicht!«

Ich stürzte, prallte mit dem Gesicht gegen einen Stein und verlor beinahe das Bewußtsein. Trotzdem spürte ich den Schmerz kaum. Hinter meiner Stirn tobte das Chaos, und für Sekunden balancierte ich auf der messerscharfen Trennlinie zwischen Wahnsinn und Normalität entlang.

»Iä!« rief Cindy. Plötzlich war ihre Stimme nichts als ein widerliches Krächzen, die grausame Verhöhnung des Bildes, das mir meine Augen vorgaukelten. »Iä Shub-Niggurath! Ngaathgaa nhafth!«

Ich krümmte mich wie unter einem Hieb. Meine Hand kroch in meine Jackentasche und umklammerte etwas Kleines, Hartes. Cindys Stimme fuhr fort, diese scheußlichen Töne zu produzieren, und unter uns, in der Grube, begann Shub-Niggurath langsam Gestalt anzunehmen. Wie durch einen blutigen Nebel sah ich, wie Lady Audley mit einem entschlossenen Schritt vortrat, über den Rand der Grube geriet und wie in Zeitlupe nach vorne kippte.

Ich riß den Arm hoch und schleuderte den Stein. Der Sternstein drang in das grüne Leuchten ein, eine halbe Sekunde, ehe Lady Audley mit weit ausgebreiteten Armen in Shub-Nigguraths Rachen fiel.

Und die Zeit blieb stehen.

Es dauerte nur den tausendsten Teil einer Sekunde, weniger, als ein Gedanke braucht, sich zu bilden. Und trotzdem Ewigkeiten.

Das grüne Leuchten erlosch. Der schwarze Balg des GROSSEN ALTEN zuckte wie unter einem Hieb, zog sich zusammen, bebte, zitterte, versuchte vor dem verfluchten grauen Stein zurückzuweichen und wand sich wie unter Krämpfen.

Dann zerplatzte er.

Im gleichen Moment, in dem der Sternstein sein unheiliges Fleisch berührte, löste sich das Ungeheuer auf, verging in einer lautlosen Explosion gleißendweißer Helligkeit, die das grüne Leuchten und das Licht des Mondes auslöschte. Ein unglaubliches Brüllen erklang, ein Schrei solcher Verzweiflung und solchen Zornes, daß sich die Schöpfung selbst darunter zu krümmen schien, ein Schrei voller zweitausend Millionen Jahre alten Hasses. Shub-Niggurath verging, und sein Sterben ließ den Himmel selbst erbeben, schleuderte Cindy und mich und alle anderen zu Boden und ließ die Erde aufstöhnen.

Und dann -

Schwarz.

Kein Körper. Kein Ding. Keine Substanz, nicht einmal nur Dunkelheit, sondern etwas wie das Böse an sich. Das, was die schwarze Scheußlichkeit anstelle einer Seele trug, die Essenz des Bösen selbst. Das Prinzip des Schlechten, Zerstörerischen.

Es ging unglaublich schnell, noch schneller als das Sterben Shub-Nigguraths zuvor. Ein körperloses Etwas löste sich aus dem Chaos, das am Grunde des Grabens tobte, hüpfte wie ein Ball hoch in die Luft, sprang hierhin und dorthin, berührte Menschen und Ratten und wieder Menschen und wieder Ratten, als suche er etwas - und raste auf die weiße Albinoratte zu, die neben Cindy hockte. Das Tier wurde wie von einer unsichtbaren Riesenfaust getroffen und meterweit zurückgeschleudert, wo es mit zuckenden Gliedmaßen liegenblieb. Gleichzeitig bäumte sich Cindy auf und brach mit einem Schmerzensschrei in die Knie.

Ich reagierte, ohne zu denken. Mit einem Satz sprang ich in die jetzt leere Grube hinein und riß Lady Audley in die Höhe. Die Angst gab mir zusätzliche Kraft. Ich zerrte ihre zwei Zentner aus dem Grab heraus, half ihr auf die Füße und jagte los.

Rings um uns herum herrschte noch immer das Chaos. Die Ratten rasten wie von Sinnen durcheinander, bissen wild in die leere Luft oder zerfleischten sich gegenseitig, aber ich sah aus dem Augenwinkel, wie das weiße Albino-Ungeheuer bereits wieder auf die Füße kam; noch unsicher, aber unverletzt. Neben ihm regte sich Cindy.