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Er beugte sich vor, schnippte seine Zigarrenasche in das Chaos, das Cohen auf meinem Schreibtisch angerichtet hatte, und blies dem Captain eine blaue Qualmwolke ins Gesicht.

»Wir müssen diese Bestie erwischen, Cohen, ehe noch mehr passiert. Ich würde vorschlagen, daß wir etwas unternehmen. Vielleicht«, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu, »ehe Sie Roberts Büro endgültig verwüstet haben.«

Cohen blinzelte, blickte auf seine tintenverschmierten Hände herab und sah mit einem Male sehr betroffen aus. Aber dann nickte er. »Sie haben recht, Phillips. Vielleicht bin ich verrückt geworden, aber wenn auch nur die geringste Chance besteht, daß Sie und Craven die Wahrheit sagen, muß ich etwas tun.«

Er hob müde die Hände ans Gesicht, rieb sich mit Daumen und Zeigefinger der Rechten über die Augen und sah erst Howard, dann mich sehr lange und sehr nachdenklich an. Ich spürte, wie schwer es ihm fiel, weiterzureden. »Und ich weiß auch schon den richtigen Mann, der uns helfen wird.«

»Wen?« fragten Howard und ich wie aus einem Mund.

Aber diesmal schüttelte Cohen nur den Kopf. »Später«, sagte er. »Es hat keinen Sinn, jetzt blindlings loszurennen. Ich muß ... nachdenken. Und wir brauchen alle ein paar Stunden Schlaf.« Er stand auf, fuhr sich noch einmal mit den Händen durch das Gesicht und ging zur Tür, mit langsamen, schleppenden Schritten.

»Ich komme wieder«, sagte er. »Heute nachmittag.«

Ich war viel zu müde, um zu antworten, und auch Howard nickte nur knapp, als Cohen sich endgültig umwandte und das Zimmer verließ. Erst als seine polternden Schritte draußen auf der Treppe verklangen, brach er das Schweigen wieder.

»Ein paar Stunden«, murmelte er. »Haben wir so viel Zeit?«

»Ich weiß es nicht«, gestand ich. »Aber wir werden sie haben müssen, fürchte ich. Ich bin mit meinem Latein am Ende.« Ich schloß die Augen, unterdrückte ein Gähnen und sah nachdenklich zu der großen Standuhr hinüber.

»Nein!« sagte Howard so scharf, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Eher lasse ich dich von Rowlf fesseln und knebeln, ehe ich zulasse, daß du noch einmal in dieses Ding steigst. Du hättest sterben können.«

»Ach?« sagte ich humorlos. »Tatsächlich?« Irgendwie spürte ich, daß er unrecht hatte. Ich war nicht in Gefahr gewesen. Da war etwas. Etwas Wichtiges. Ich hatte es gewußt, aber wieder vergessen. Die Lösung. Die Lösung all dieser scheinbaren Widersprüchlichkeiten und Rätsel.

»Tatsächlich«, sagte Howard grimmig. »Und selbst, wenn du es schaffst, sie auf diesem Wege zu finden - was willst du tun? Dich entgültig umbringen lassen?«

»Und was wollen wir tun, wenn wir sie gemeinsam finden?« gab ich zurück.

Darauf antwortete Howard vorsichtshalber nicht mehr.

Schon von weitem hatte das Haus sonderbar ausgesehen. Eingepfercht wie ein edles Rennpferd zwischen Ackergäulen, erhob es sich wie ein Fremdkörper zwischen den schmalbrüstigen, vom Alter grau und schäbig gewordenen Mietskasernen, die das Straßenbild in diesem Teil der Stadt bestimmten. Seine Fassade aus weißem Marmor mußte einmal sehr prachtvoll gewesen sein und wirkte selbst jetzt, wo Alter und Erosion ihre Spuren hinterlassen hatten, noch beeindruckend. Nicht einmal der Umstand, daß die meisten Fenster von innen mit Brettern vernagelt und der Vorgarten vollkommen verwildert waren, vermochten den Eindruck nachhaltig zu stören.

»Ihr ... Bekannter wohnt hier?« fragte Howard, als der Wagen angehalten hatte und Cohen uns mit Gesten zu verstehen gab, auszusteigen.

Der Polizeicaptain hatte das unmerkliche Zögern in Howards Worten bemerkt und sah auf. Er war noch immer nervös, und seine Nervosität hatte noch zugenommen, je mehr wir uns dem Haus genähert hatten.

»Er ist kein Bekannter«, antwortete er knapp, stieg aus dem Wagen und wartete mit sichtlicher Ungeduld, daß Howard, Rowlf und ich ihm folgten. Ehe einer von uns Gelegenheit hatte, eine weitere Frage zu stellen, drehte er sich auf dem Absatz herum, eilte auf das Haus zu und stieß die schmiedeeiserne Gartentür wuchtig auf. Ich tauschte einen erstaunten Blick mit Howard - den dieser mit einem Achselzucken quittierte - und beeilte mich, dem Captain zu folgen.

Cohen hatte mittlerweile das Haus erreicht und den Türklopfer betätigt. Jetzt trat er ungeduldig von einem Bein auf das andere und wartete darauf, daß die Tür geöffnet wurde.

Ich trat neben ihn, beugte mich vor, um das Türschild zu lesen - und zog überrascht die Brauen zusammen.

»Cohen?« murmelte ich und sah den Captain fragend an. »Das Haus gehört -«

»Meinem Bruder«, unterbrach mich Cohen. Irgendwie klang seine Stimme feindselig, und ich begann mich zu fragen, ob wir wirklich gut beraten gewesen waren, sein überraschendes Hilfsangebot anzunehmen. Irgend etwas war mit ihm geschehen, auf dem Friedhof. Und es war keine Veränderung zum Guten.

»Er ist auch bei der Polizei?« erkundigte ich mich vorsichtig.

Cohens Miene nach zu urteilen, mußte das eine ziemlich unpassende Frage gewesen sein, denn der Captain runzelte nur die Stirn und preßte wütend die Lippen aufeinander, ohne auch nur mit einer Silbe zu antworten. Wütend griff er erneut nach dem Türklopfer und ließ den schweren Messingknauf so wuchtig gegen das Holz krachen, daß die gesamte Tür erbebte.

Nach einer Weile wurden drinnen schlurfende Schritte laut, und Cohen hörte auf, die Tür zu malträtieren. Eine Kette klirrte, dann wurde die Tür geöffnet, und ein verhutzeltes Faltengesicht lugte hinaus.

»Sir?« Die Überraschung, die der Mann beim Anblick Cohens empfand, war nicht zu überhören.

»Ich muß meinen Bruder sprechen, Fred«, sagte Cohen knapp. »Ist er zu Hause?«

Der Butler nickte. Cohen grunzte zufrieden, schob die Tür und den Alten mit der gleichen Bewegung nach innen und bedeutete uns, ihm zu folgen.

»Aber Sir!« ereiferte sich der Butler. »Das geht doch nicht! Sie wissen doch genau, wie -«

Cohen gab einen Laut von sich, der wie das Zischen einer wütenden Riesenkobra klang, und der Alte verstummte mitten im Satz. Sein Gesicht wurde noch bleicher, als es ohnehin war.

»Holen Sie meinen Bruder«, sagte Cohen. »Sofort.«

Der Alte starrte ihn noch eine Sekunde unsicher an, dann nickte er und lief die Treppe hinauf, so schnell ihn seine alten Beine trugen.

Wir standen in einer großen, früher sicher einmal prachtvollen Empfangshalle, die jetzt ein Opfer des Staubes und jahrzehntelanger Verwahrlosung geworden war. Die wenigen Möbelstücke, die auf dem gefliesten Boden standen, waren ausnahmslos mit Tüchern verhängt, und von den Kronleuchtern und der Decke hingen graue, staubverklebte Spinnweben fast bis zum Boden herab.

Cohen registrierte meinen Blick. »Wenn Ihnen das hier komisch vorkommt«, sagte er leise, »dann warten Sie erst einmal, bis Sie Stanislas kennenlernen.«

»Stanniwen?« fragte Rowlf.

Ein flüchtiges Lächeln huschte über Cohens Gesicht. »Meinen Bruder«, antwortete er. »Er ist ein wenig ... sonderbar. Sozusagen das schwarze Schaf der Familie, wenn Sie verstehen, was ich meine. Wir haben schon seit Jahren keinen Kontakt mehr. Aber ich glaube, er ist der einzige, der uns jetzt helfen kann - wenn er uns überhaupt zuhört, heißt das.«

Ich kam nicht dazu, Cohen zu fragen, wie er seine Worte gemeint hatte, denn in diesem Moment fiel oben im Haus eine Tür so wuchtig ins Schloß, daß der Kronleuchter zu klirren begann, und Sekunden später erschien eine hünenhafte Gestalt am oberen Ende der Treppe.

»Wilbur!« polterte eine Stimme. »Fred hat es mir gesagt, aber ich konnte es nicht glauben. Du hast tatsächlich die Unverfrorenheit, hier aufzutauchen!«

Ich strengte die Augen an, um trotz des herrschenden Halbdunkels die Gestalt Stanislas Cohens erkennen zu können. Der Mann war ein Riese - gut zwei Köpfe größer als Rowlf und weitaus breitschultiger, dabei aber - bedachte man, daß Cohen sein Bruder war - erstaunlich jung, allerhöchstens fünfunddreißig. Trotzdem war sein Haar schlohweiß.