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»Wessen?« fragte ich lauernd. »Das der Menschen, oder der GROSSEN ALTEN?«

Aber diesmal antwortete das Mädchen nicht mehr, sondern preßte nur die Lippen aufeinander.

»Sie haben schon viel zuviel erfahren«, sagte sie schließlich. »Mehr, als ich hätte sagen dürfen.«

»Warum?« fragte ich. Etwas ... war anders geworden, das spürte ich ganz deutlich. Auf eine schwer in Worte zu fassende Art war Cindy ... erschüttert. Als hätten meine Worte in ihr etwas wachgerufen, was sie mit aller Macht zu bekämpfen versuchte, aber nicht konnte.

»Es ist sinnlos«, sagte sie schließlich. »Er ist unser Gott, Robert. Was ist daran anders als bei Ihnen? Ihr betet einen Gott an, den es vielleicht nicht einmal gibt.«

»Zumindest ist es ein Gott, der seine Jünger nicht auffrißt«, sagte Howard böse.

In Cindys Augen flammte es auf. »Was wissen Sie?« schnappte sie. »Wie viele Menschen haben ihr Leben gelassen, im Namen Ihres Gottes? Wie viele Völker sind ausgelöscht worden, im Zeichen des Kreuzes, wie viele Kriege haben sie geführt, nur weil die einen glaubten, ihr Gott wäre ein wenig wichtiger als der ihrer Nachbarn? Wir geben unsere Leben, das stimmt, aber wir tun es freiwillig, und wir wissen, daß es einem höheren Zweck dient. Er wird wieder leben, und das allein zählt. Wir werden -« Sie brach abrupt ab, als sie bemerkte, daß sie schon viel mehr gesagt hatte, als sie eigentlich gedurft hätte. Der Zorn in ihrem Blick wandelte sich in Bestürzung.

»Gehen wir weiter«, sagte sie.

Die Menge der Ratten teilte sich vor uns, wie ein lebender Ozean, durch den wir hindurchschritten, und der sich hinter uns sofort wieder schloß. Langsam, nur von Cindy mit ihrem schrecklichen Schädelhelm und zwei der bizarren Riesenratten begleitet, näherten wir uns der Mitte der gigantischen Höhle.

Es gab dort einen runden, annähernd zehn Schritte durchmessenden Kreis, den keine Ratte betreten hatte, aber ich entdeckte die Gestalt, die zusammengekauert an seinem jenseitigen Rand hockte, erst, als wir ihn fast erreicht hatten.

»Lady Audley!« rief ich, gleichzeitig erleichtert, sie lebend anzutreffen, wie entsetzt, als ich begriff, was ihr Hiersein bedeutete.

Sie reagierte nicht, aber das hatte ich beinahe erwartet. Sie trug noch immer das bizarre Opfergewand, in dem ich sie schon gestern während der mißglückten ersten Beschwörung Shub-Nigguraths gesehen hatte.

Diesmal, dachte ich düster, würde das Zeremoniell nicht unterbrochen werden. Nichts und niemand konnte dieses Ungeheuer jetzt noch aufhalten. Selbst wenn Wilbur Cohen sein Versprechen wahrmachte und uns folgte - die gesamte Polizei Londons war nicht genug, diese ungeheuerliche Armee von Ratten aufzuhalten.

Auf ein Zeichen Cindys hin blieben wir stehen. Lady Audley sah auf, mit leerem Blick und müden Bewegungen, wie ein Mensch, der sich im Traum bewegt, stemmte sich ganz langsam in die Höhe und trat in die Mitte des Kreises. Für eine Weile geschah nichts, dann begannen sich die Ratten zu bewegen, auf eine unheimliche, fast militärisch anmutende Art. Aus der wild durcheinanderwogenden Masse wurde eine große, aus Tausenden und Abertausenden grauer und brauner Körper zusammengesetzte Spirale, die sich fortwährend um den kleinen, freigebliebenen Kreis nackten Felsgesteins drehte, in dem Lady Audley und wir standen.

Und es ging weiter. Die Bewegung war erst kaum wahrnehmbar, nur eine sanfte, rhythmische Welle, die von einem Ende der Spirale zum anderen lief. Sie wurde schneller, gleichzeitig heftiger, bis der gewaltige Kreis aus Leibern zuckte und bebte wie ein riesiges, sich in Krämpfen windendes Tier. Dann begann das Singen.

Zuerst war es nur ein Ton, ein dunkles, irgendwie angstmachendes Summen und Dröhnen, das die Luft selbst zum Schwingen brachte und ein unangenehmes Kribbeln in meinem Magen auslöste. Das Geräusch schwoll an, sank wieder herab und schwoll abermals an, immer und immer und immer wieder, bis aus dem Dröhnen ein Laut wurde, eine Silbe, fremdartig und doch auf schauderhafte Weise bedrohlich. Die Ratten sangen!

»Thuuuuuuul«, summten die Tiere. »Thuuuuuul.« Immer und immer wieder, stets unterbrochen von Sekunden, in denen ein tödliches Schweigen herrschte, und stets lauter als beim vorigen Mal.

Ich schauderte. Nur, um nicht vollends den Verstand zu verlieren und mich abzulenken, versuchte ich, mir ein Bild vom wirklichen Ausmaß dieser unterirdischen Anlage zu machen, aber meine Phantasie kapitulierte vor den gewaltigen Dimensionen der Katakombenstadt. Es mußten Meilen von Gängen sein, die ganz London und vielleicht ein noch größeres Gebiet unterzogen. Ich glaubte jetzt zu ahnen, was Cohen gemeint hatte, als er behauptete, in Wirklichkeit seien nicht die Menschen, sondern die Albinoratte der Herr der Stadt.

Etwas im Klang der dämonischen Melodie änderte sich, und ich sah auf. Die Masse der Tiere wiegte sich weiter hin und her und rief immer noch dieses eine, schreckliche Thuuuuul.

Im Zentrum der Spirale aus Körpern, gute zwei Meter über dem freigebliebenen Kreis, erschien ein giftgrüner Lichtball. Zuerst war er winzig, wie ein Nadelkopf der ein intensives Licht ausstrahlte, aber er wuchs binnen weniger Sekunden zu einem Ball und schließlich zu einer mannsgroßen, flammenden Kugel grauenhaft heller Glut. Ich schloß mit einem leisen Stöhnen die Augen, aber die Helligkeit fraß sich selbst durch meine geschlossenen Lider.

»Thuul«, intonierten die Ratten. »Thuul! Thuul!« Immer und immer wieder, bis der Laut meinen Herzschlag in seinen Bann zog, meine Zähne vibrierten und jeden einzelnen Knochen in meinem Leib zum Schwingen zu bringen schien. Schließlich dachte ich sogar im Rhythmus dieses schrecklichen, immer wiederkehrenden Lautes.

Der Lichtball pulsierte, im gleichen Rhythmus, den die singenden Ratten vorgaben. In seinem Inneren begann sich ein dunkler, zuerst noch formloser Umriß zu bilden. Nach einer Weile wurde er fester, und gleichzeitig sank der Ball herab, berührte den Boden und drang darin ein.

Noch einmal erbebte die Höhle unter einem gewaltigen, aus hunderttausend Rattenkehlen hervorgebrüllten »Thuuuuuul!« Der grüne Lichtball erlosch, und an seiner Stelle stand ...

Ich keuchte vor Erstaunen, als ich sah, was aus dem Flammenball hervorgetreten war.

Es war die weiße Ratte.

Das Tier bewegte sich, wandte den Kopf hierhin und dorthin und machte einen ersten, noch schwerfälligen Schritt auf Lady Audley zu, berührte sie aber nicht.

Ich schauderte, als ich dem Blick seiner schwarzen Augen begegnete. Sie hatten sich verändert, auf schreckliche Weise verändert. Der rote Glanz, der ihnen das Aussehen blutgefüllter kleiner Tümpel gegeben hatte, war erloschen, aber trotzdem schienen sie von lauerndem, bösem Leben erfüllt.

Wieder teilte sich die Menge, und ein halbes Dutzend der riesigen Königsratten kam heran. Rasch näherten sie sich dem Albino, blieben in einiger Entfernung stehen und senkten demütig die Häupter. Die Albinoratte stieß einen schrillen, mißtönenden Pfiff aus, und aus der Menge hinter ihr lösten sich zwei weitere große Ratten, trippelten auf sie zu.

Ich kann das, was in den nächsten Sekunden geschah, nicht in Worte fassen. Ich sah nichts Außergewöhnliches - dafür spürte ich um so deutlicher, wie sich etwas in dem riesigen weißen Monstrum regte, das längst keine Ratte mehr war, sondern nur noch so aussah, wie es mit unsichtbaren Spinnenfingern zu den beiden Tieren hinabgriff und irgend etwas aus ihren Körpern saugte.

Und dann begann sich der Albino zu verändern. Sein Fell erstarrte. Teile seines Körpers bröckelten ab; rostige Späne fielen wie blutiger Hagel zu Boden; Risse und Sprünge durchzogen den Leib des Tieres, als wäre es plötzlich zu Eisen geworden, das in Sekundenschnelle um Jahrhunderte alterte.