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»Wird schon gut gehen, Jungchen«, brummelte Rowlf vom Kutschbock herunter. Ich sah flüchtig auf und gewahrte ein gutmütiges Lächeln auf seinem von der Kälte geröteten Bullenbeißergesicht. Howard hatte darauf bestanden, daß Rowlf hier draußen zurückblieb, ohne einen konkreten Grund dafür anzugeben.

Ich wußte ihn trotzdem. Rowlf war unsere Rückendeckung, und - wenn es zum Schlimmsten kam - unsere einzige Möglichkeit zur Flucht. Es war schon beruhigend, einen Zwei-Meter-Mann wie Rowlf, noch dazu bewaffnet, in seinem Rücken zu wissen. Solange er hier draußen war, konnten wir wenigstens sicher sein, nicht hinterrücks überfallen zu werden.

Nebeneinander gingen wir über die menschenleere Straße auf das verlassene Haus zu. Der Wind trug schwere, niedrig hängende Regenwolken mit sich, und gerade, als wir das unkrautüberwucherte Grundstück betraten, verfinsterte sich die Sonne. Es kam mir ganz so vor wie ein düsteres Omen.

Arkham lag wie eine Geisterstadt vor uns; selbst die wenigen Lichter, die ich bei unserer Ankunft bemerkt hatte, waren mittlerweile erloschen, und mit Ausnahme unserer Schritte und dem leisen, monotonen Heulen des Windes war nicht der geringste Laut zu vernehmen. Es war das gleiche unheimliche Schweigen, mit dem mich die Stadt bei meiner ersten Ankunft empfangen hatte.

Und es hatte nichts von seiner Drohung verloren.

Ich versuchte den Gedanken zu verscheuchen, warf Howard ein schon fast übertrieben zuversichtliches Lächeln zu und trat mit einem entschlossenen Schritt durch die Tür. Das gesprungene Glas des Flügels löste sich unter meinen Fingern endgültig aus dem Rahmen und zerbarst; das Geräusch hörte sich in der Stille überlaut und unheimlich an.

Dämmerung umfing uns wie ein graues Leinentuch, als wir in die Halle traten. Unter unseren Schritten wirbelte grauer, seit Jahren nicht mehr berührter Staub auf, und ein Schwall muffig riechender Luft schlug uns entgegen.

Ich spürte plötzlich eine unheimliche Präsenz, aber als ich mich darauf konzentrieren wollte, entglitt sie meinen Gedanken und war verschwunden.

Die Eingangshalle des Hotels bot einen gespenstischen Anblick. Überall lagen Staub und Schmutz, trockene Blätter und Papier, die durch die zerborstenen Scheiben hereingeweht worden waren; ein Teil der Decke war eingebrochen. Die Theke, hinter der mich der Alte begrüßt hatte, stand schräg wie ein gestrandetes Schiff auf den eingesunkenen Bodenbrettern. Die Tapeten waren verblichen und rollten sich auf, wo sie nicht bereits heruntergerissen oder schlichtweg weggefault waren. Das Haus mußte seit mindestens einem Jahrzehnt dem Verfall anheimgegeben sein.

Und trotzdem war es das gleiche Haus, in dem ich mich vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden über einen unfreundlichen Hotelportier geärgert und ein Zimmer bezogen hatte ...

»Dort hinauf?« Howard deutete mit einer Kopfbewegung auf die Treppe, die nach oben führte.

Ich nickte, fuhr mir nervös mit der Zungenspitze über die Lippen und folgte ihm, als er die morschen Stufen emporzusteigen begann.

Die gesamte Treppe ächzte und bebte unter unserem Gewicht. Staub rieselte aus den Fugen der morschen Stufen, und als ich leichtsinnig genug war, die Hand auf das Geländer zu legen, neigte sich die ganze Konstruktion mit einem drohenden Ächzen zur Seite, so daß ich hastig zurücksprang.

Howard machte eine Geste, vorsichtiger zu sein, und ging weiter.

Wir erreichten die erste Etage, blieben einen Moment stehen und gingen langsam weiter. Irgendwo über uns knackte und vibrierte das Haus wie ein gewaltiges lebendes Wesen. Meine überreizten Nerven gaukelten mir Schritte und helle, mühsame Atemzüge vor, Schatten, die am oberen Ende der Treppe auftauchten und sich hastig wieder zurückzogen ...

Plötzlich blieb Howard abermals stehen, hob die Hand und runzelte die Stirn. »Du hattest recht, Robert«, sagte er leise. »Hier stimmt etwas nicht.«

Ich sah ihn fragend an. Wieder glaubte ich schlurfende Schritte zu hören, und wieder tauchte ein Schatten über uns auf und verschwand wieder.

Dann begriff ich, daß es nicht nur eingebildete Schritte waren; so wenig, wie ich mir den Schatten einbildete. Wir waren nicht allein.

Howard hob warnend die Hand an die Lippen, griff unter seinen Gehrock und förderte einen kurzläufigen Revolver zutage. Obwohl er den Hahn mit der Linken abdeckte, als er ihn spannte, klang das Knacken wie ein Kanonenschuß in meinen Ohren. Wie zur Antwort schlurften wieder Schritte über uns. Diesmal schienen sie sich zu entfernen.

Auf Zehenspitzen schlichen wir weiter, erreichten die nächste Etage und blieben am Fuße der Treppe stehen. Die Schritte waren jetzt ganz deutlich zu hören - schnell, schleifend und ungleichmäßig, als liefe dort oben jemand unruhig auf und ab, aber jemand, der einen Fuß nachzog.

Das war die eine Möglichkeit, dachte ich bedrückt.

Die andere war, daß dieser - wer immer dort oben auf uns wartete - keine Füße hatte, die er nachschleifen konnte, sondern mörderische Tentakeln, und daß ...

Ich weigerte mich, den Gedanken weiterzudenken, und nahm, dicht gefolgt von Howard, der mir mit entsicherter Waffe den Rücken deckte, die letzten Stufen in Angriff. Ich hatte das ungute Gefühl, daß uns der Revolver nicht allzuviel nutzen würde gegen die Wesen, die dort oben auf uns lauerten. Trotzdem war es ein beruhigender Gedanke, nicht vollkommen schutzlos zu sein.

Wir erreichten die dritte Etage, blieben stehen und sahen uns aufmerksam um. Es war dunkel hier oben; durch die schmutz-verkrusteten Fenster an den beiden entgegengesetzten Enden des Ganges drang nur wenig Licht. Die Luft war voller Staub, der in der Kehle brannte und alles hinter einem wirbelnden grauen Schleier verbarg.

Trotzdem sah ich die Spuren sofort.

Es waren zwei Reihen ungleichmäßiger, nebeneinander liegender Eindrücke, die Spuren menschlicher Füße, die die zolldicke Staubschicht auf dem Boden durchbrachen und in ungleichmäßigen Schlangenlinien im hinteren Teil des Ganges verschwanden. Aber wenigstens, dachte ich erleichtert, waren es menschliche Spuren ...

Trotz der Kälte, die wie ein unsichtbarer Bruder der Nacht in den morschen Mauern des Hotels zurückgeblieben war, war ich in Schweiß gebadet, als wir das Zimmer im dritten Stock erreichten. Meine Finger schlossen sich um den Griff des Stockdegens, den ich wie ein Schwert unter den Gürtel geschoben hatte. Den Verschluß hatte ich bereits entriegelt, ehe wir aus der Kutsche stiegen. Es hatte nicht viel Sinn, es abstreiten zu wollen - ich war nervös wie selten zuvor.

Howard bedeutete mir, zurückzubleiben. Langsam hob er die Rechte, legte die Hand auf die Tür und schob sie unendlich langsam auf.

Irgend etwas bewegte sich hinter der Tür.

Es war eigentlich nur ein Gefühl, die Ahnung von Leben und Bewegung, verbunden mit einer intensiven Empfindung von Gefahr.

Howard schien es ebenso deutlich zu spüren wie ich, denn auch er hielt mitten in der Bewegung inne, sah sich alarmiert um - und warf sich ansatzlos durch die Tür.

Eine halbe Sekunde später folgte ich ihm auf die gleiche Weise. Ein Schatten tauchte im Halbdunkel des Zimmers auf; ich sah, wie Howard erschrocken die Arme hochriß und irgend etwas seine Hand traf. Er brüllte, taumelte zurück und versuchte die Pistole hochzubekommen, aber der Schatten schlug ein zweites Mal zu und schmetterte seine Hand beiseite.

Ein Schuß löste sich. Ich sah, wie die orangerote Mündungsflamme wie eine glühende Lanze nach dem schattenhaften Angreifer stach und ihn verfehlte. Der peitschende Knall schien meine Trommelfelle zum Zerplatzen und das gesamte Gebäude zum Erbeben zu bringen.

Aber wenn die Kugel auch ihr Ziel nicht traf, so zeigte der Schuß doch Wirkung. Der unheimliche Angreifer ließ von Howard ab, sprang mit einer behenden Bewegung zurück und packte einen Stuhl, um ihn nach Howard zu schleudern. Gleichzeitig gewahrte ich eine Bewegung aus den Augenwinkeln, warf mich instinktiv zur Seite und riß schützend die Arme über den Kopf.