Also holte ich die Koffer und begann schnaufend - und lautlos in mich hineinfluchend - die steile Treppe hinaufzusteigen.
Die morschen, gefährlich ausgetretenen Stufen ächzten und bebten unter meinem Gewicht, als wolle die gesamte Konstruktion jeden Moment zusammenbrechen, und die Luft roch zunehmend nach Staub und Alter, je höher ich kam.
Das Hotel war sonderbar still. Nicht der geringste Laut war zu hören, und viele der Türen standen offen. Die Zimmer dahinter waren leer und unbenutzt.
Als ich das dritte Stockwerk erreicht hatte, war ich vollkommen sicher, daß mir der Alte dieses Zimmer aus purer Gehässigkeit gegeben hatte, nachdem er sah, wie müde ich war und wieviel Gepäck ich schleppen mußte. Ich würde mich später gehörig über ihn beschweren.
Aber erst, nachdem ich zwölf Stunden geschlafen hatte.
Ich betrat das Zimmer, stellte das Gepäck neben der Tür ab und wankte zum Bett, Müdigkeit und Erschöpfung schlugen wie eine mächtige, warme Woge über mir zusammen, und für einen Moment wurde die Verlockung, mich einfach nach hinten sinken zu lassen und die Augen zu schließen, fast übermächtig.
Aber Howards Warnung war mir noch immer frisch im Gedächtnis. Ich war in der Nähe des vermutlich einzigen Ortes auf der ganzen Welt, an dem ich vollkommen sicher war. Und gleichzeitig in der Stadt, in der mir die größte Gefahr drohte, so absurd der Gedanke im ersten Moment klang.
Mühsam stand ich noch einmal auf, schlurfte zu meinen Koffern hinüber und klappte sie auf. Ich fand die beiden Kästchen unter ein paar Wäschestücken vergraben und klappte den Deckel des einen mit einer fast andächtigen Bewegung auf.
Sein Inneres war mit blauem Samt ausgeschlagen, auf dem drei kleine, unscheinbar aussehende fünfstrahlige Sterne aus porösem grauem Stein lagen. Sie waren nicht viel größer als ein Golddollar, und in ihre Oberflächen war ein grobes Muster eingeritzt - ein unregelmäßiger Rhombus mit einer Art Flammensäule in der Mitte, die - wenn man zu lange hinsah - hin und her zu wogen schien, als lebe sie.
Mit spitzen Fingern nahm ich zwei der Steine heraus und legte sie vor der Tür und dem einzigen Fenster auf den Boden.
Erst dann ging ich zu meinem Bett zurück und legte mich auf die zerknautschten Laken.
Gerade hatte ich die Augen geschlossen, als mir bewußt wurde, daß ich das Badezimmer vergessen hatte. Ich mußte es auf Fenster oder einen Hinterausgang überprüfen; eine Nachlässigkeit konnte ich mir nicht erlauben.
Wankend vor Müdigkeit und mit halb geschlossenen Augen ging ich auf das Bad zu, öffnete die Tür und tat einen großen Schritt in den Raum hinein.
Daß er keinen Boden hatte, bemerkte ich erst, als mein Fuß ins Leere trat und ich mit haltlos rudernden Armen nach vorne kippte. Die zerborstenen Wände huschten an mir vorüber, und mein eigener Schrei hallte wie boshaftes Hohngelächter in meinen Ohren wider. Verzweifelt warf ich mich herum, bekam etwas Hartes zu fassen und klammerte mich mit aller Gewalt fest.
Der Ruck schien mir die Arme aus den Gelenken zu reißen. Ich schrie vor Schmerz, als ein zweiter, noch brutalerer Ruck durch meinen Körper raste. Meine Hände glitten an rauhem Holz ab, drohten den Halt zu verlieren und klammerten sich mit verzweifelter Kraft fest. Ein Span riß mir die Rechte vom Daumen bis zur Handwurzel auf, meine Fingernägel brachen, und das Blut ließ den Balken glitschig werden, so daß ich erneut abzurutschen begann. Mit aller Kraft, die mir geblieben war, hangelte ich mich nach vorne und versuchte den grausamen Schmerz zu ignorieren, als die Bewegung den Holzspan wie ein Messer noch tiefer in meine Handwurzel trieb. Endlich fand ich Halt an dem Balken, der über mir aus der Wand ragte.
Sekundenlang blieb ich mit geschlossenen Augen so hängen und rang verzweifelt nach Atem.
Erst dann wagte ich es, die Augen zu öffnen und mich umzusehen.
Der Anblick ließ mein Herz einen schmerzhaften Satz machen.
Der Balken, an dem ich im letzten Moment Halt gefunden hatte, war alles, was vom Boden des Zimmers übrig geblieben war. Die Zwischendecke war zusammengebrochen, vielleicht schon vor Jahren, und hatte dabei die gesamte Einrichtung des kleinen Raumes mit sich gerissen. Aus den Wänden ragten die zerfetzten Überreste von Bleirohren und Leitungen wie im Todeskampf verkrümmte Schlangen. Selbst der Balken, an dem ich hing, war nur noch zu einem Drittel vorhanden. Wäre ich zehn Zentimeter weiter nach vorne gestürzt, hätten meine Hände ins Leere gegriffen.
Meine Beine pendelten frei über einem drei Stockwerke tiefen Abgrund. Nicht nur der Boden des Baderaumes war eingestürzt - die Trümmer mußten die darunterliegenden Etagen durchschlagen haben. Es war ein tödlicher, bis in die Kellergeschosse reichender Schacht.
Und an seinem Grunde bewegte sich etwas!
Ich vermochte nicht genau zu erkennen, was es war. Die Dunkelheit unter mir wogte und zitterte, als wäre sie zu einer glänzenden schwarzen Masse geronnen, und ich glaubte ein leises, unangenehmes Rauschen zu vernehmen.
Meine Hände meldeten sich mit pochenden Schmerzen. Ich löste meinen Blick von der wogenden Finsternis unter mir, biß die Zähne zusammen und versuchte, mich mit einem Klimmzug auf den Balken hinaufzuziehen.
Aber es blieb bei einem Versuch.
Meine Schultermuskeln schienen zu explodieren. Der Schmerz war so heftig, daß ich um ein Haar den Halt verlor und mich nur mit letzter Kraft festzuklammern vermochte. Die Bewegung trieb den Holzsplitter noch tiefer in meine Hand. Ich schrie auf und begann wie wild mit den Beinen zu strampeln. Im letzten Moment begriff ich, daß ich auf dem besten Wege war, in Panik zu geraten und so meine letzte Chance zu verspielen.
Wäre ich in der magischen Kunst schon geübter gewesen, ich hätte mich mit Leichtigkeit retten können. Doch ich stand erst am Anfang des Weges. Das geheimnisvolle Erbe meines Vaters eröffnete sich mir nur langsam. Ich mußte mir aus eigener Kraft helfen.
Ich wartete also, bis meine Muskeln aufgehört hatten, sich wie glühende Drähte in meinen Körper fressen zu wollen. Dann biß ich erneut die Zähne zusammen, löste ganz langsam die rechte Hand von ihrem Halt und versuchte sie zu heben, um den Holzsplitter herauszubekommen. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen. Warmes Blut lief klebrig an meinem Arm hinunter, aber ich machte weiter, biß die Zähne zusammen und bekam den reißenden Dorn schließlich aus dem Fleisch.
Langsam, unendlich langsam hangelte ich mich an dem Balken entlang auf die offenstehende Tür zu. Die Strecke war nicht weit - vielleicht dreißig Inch -, aber es hätten genausogut dreißig Meilen sein können. Meine Muskeln begannen, mir den Dienst zu versagen. Der Abgrund unter mir schien an meinen Beinen zu zerren wie ein unsichtbarer Sog.
Dann hörte ich das Geräusch.
Im ersten Moment klang es wie ein tiefes, mühevolles Stöhnen, dann steigerte es sich zu einem widerwärtigen Schmatzen und Saugen, gefolgt von einem sonderbar feuchten Schleifen. Ein Gleiten und Tasten, als ...
Ja - als kröche etwas zu mir herauf!
Ein gellender Schrei brach über meine Lippen, als ich in die Tiefe sah.
Der Abgrund unter mir war nicht mehr leer!
Was ich für Dunkelheit gehalten hatte, war in Wirklichkeit eine gigantische, sich windende Masse aus schwarzem Fleisch, ein Nest peitschender Schlangen und Tentakel, das unter mir wogte und zitterte wie schwarze Lava, die aus dem Schlund eines Vulkans emporsteigt.
Und noch während ich hinsah, lösten sich zwei, drei Peitschenarme aus der Masse und griffen mit zitternden unsicheren Bewegungen nach mir!
Ich schrie auf und hangelte mich mit verzweifelter Kraft auf die Tür zu.
Ich war nicht schnell genug. Ein dicker, von Narben und Pocken übersäter Arm griff an mir vorbei, holte wie in einer spöttischen Verbeugung aus und schlug wuchtig gegen die offenstehende Tür. Der Hieb spaltete das Holz und warf sie ins Schloß.