Die Bewegung rettete mir vermutlich das Leben. Etwas Schweres, Hartes bohrte sich splitternd in die morschen Fußbodenbretter, wo ich gerade noch gestanden hatte, gleichzeitig traf ein Fuß meine Seite, ließ meine Rippen knacken und trieb mir die Luft aus den Lungen. Dieses verdammte Zimmer war nichts als eine einzige große Falle!
Ich hörte Howard aufschreien, als sich sein schattenhafter Gegner erneut auf ihn stürzte.
Taumelnd wich ich ein, zwei Schritte zurück und hob kampfbereit die Hände. Ein Schatten wuchs vor mir in die Höhe, und der Zorn, der mich gerade noch erfüllt hatte, wandelte sich binnen Sekunden in Schrecken, als ich sah, wie gewaltig er war - ein Riese, breitschultrig wie ein Bär und mindestens zwei Meter groß, dabei aber seltsam verschoben und deformiert.
Neben mir kämpfte Howard verzweifelt mit seinem Gegner, aber ich fand keine Zeit, ihm beizustehen, denn der Riese griff mich knurrend und mit drohend erhobenen Armen an. Ich sah ihn noch immer nur als verschwommenes Schemen, aber das, was ich von ihm erkannte, reichte durchaus, mich jegliche Lust auf einen Zweikampf verlieren zu lassen.
Hastig sprang ich ein weiteres Stück zurück, riß den Stockdegen aus seiner Hülle und führte die Klinge mit drei, vier raschen Schlägen vor dem Gesicht des Riesen hin und her. Der rasiermesserscharfe Stahl zischte mit einem boshaft klingenden Laut durch die Luft. Der Angreifer erstarrte, blieb einen Moment mit pendelnden Armen stehen - und begann Schritt für Schritt vor mir zurückzuweichen. Neben mir ertönten plötzlich fünf, sechs klatschende Schläge, sehr schnell hintereinander und von einem überraschten Keuchen gefolgt, und einer der beiden Schatten, die unter dem Fenster miteinander rangen, fiel nach hinten.
»Howard?« fragte ich besorgt, ohne den Mann vor mir aus den Augen zu lassen.
»Alles in Ordnung, Robert«, antwortete Howard. »Halt sie in Schach - ich mache Licht.«
Ich hörte ihn im Dunkeln hantieren, dann wurde der schmutzige Lappen vor dem Fenster mit einem Ruck heruntergerissen, und helles Sonnenlicht erfüllte den Raum.
Der Anblick ließ Howard und mich im gleichen Moment aufschreien.
Unsere beiden Gegner hatten sich bis an die gegenüberliegende Seite zurückgezogen. Der, der mich attackiert hatte, hielt schützend die Arme vor das Gesicht, während der andere aus zusammengekniffenen Augen in die plötzliche Helligkeit blinzelte.
Wenigstens glaubte ich, daß es Augen waren.
Sein Gesicht war ein einziger Alptraum. Plötzlich erkannte ich, daß es nicht nur Dunkelheit und Furcht gewesen waren, die mich ihre Gestalten so seltsam deformiert und falsch hatten erkennen lassen. Im Gegenteil, die Dunkelheit hatte sie wie ein barmherziger Schleier verhüllt und das Schlimmste verborgen.
Die beiden Männer waren auf gräßliche Art mißgestaltet. Der Kleinere, der Howard angegriffen hatte, war ein Krüppel mit einem verunstalteten Gesicht und einem gewaltigen Buckel, ungleichen Armen und Beinen und Händen mit zu vielen Fingern, während der andere auf den ersten Blick beinahe normal erschien.
Bis er die Hände herunternahm, heißt das.
Howard überwand seinen Schrecken als erster. Er bückte sich nach der Pistole, die ihm der Kleinere aus der Hand geschlagen hatte, und richtete die Waffe auf die beiden Männer.
»Keine Bewegung«, sagte er drohend. »Wir tun Ihnen nichts, wenn Sie vernünftig sind. Warum haben Sie uns angegriffen? Wer sind Sie?«
Natürlich bekam er keine Antwort. Der Kleinere knurrte wie ein gereizter Hund und hob seine Hände wie Krallen in Howards Richtung, während sich der Riese langsam rücklings von uns fortbewegte.
»Verdammt noch mal, antworten Sie!« befahl Howard ungeduldig. »Wir -«
Was dann kam, ging einfach zu schnell, als daß Howard oder ich noch Zeit gefunden hätten, zu reagieren. Der Kleinere sprang mit einem wütenden Bellen auf uns zu und zur Seite, während der Riese mit einer Bewegung, die ich einem Menschen seiner Körpermasse niemals zugetraut hätte, mit einem Satz bei der Badezimmertür und hindurch war.
Aber hinter der Tür war kein Boden, wie ich aus eigener Erfahrung wußte, sondern nur ein Schacht, der bis in die Kellergewölbe hinabführte ...
»Robert!« brüllte Howard. »Halt ihn fest!«
Seine Worte galten dem Buckeligen, aber meine Reaktion kam um Bruchteile von Sekunden zu spät. Ich ließ den Degen fallen, warf mich nach vorne und bekam seinen Knöchel zu fassen, verlor aber das Gleichgewicht und fiel auf die Knie. Der Buckelige heulte auf, warf sich mit einer fast grotesken Bewegung herum und trat mit dem freien Bein nach meinem Gesicht.
Sein Fuß verfehlte meine Schläfe, aber ich lockerte instinktiv meinen Griff. Der Buckelige keuchte triumphierend, riß seinen Fuß aus meiner Umklammerung und raste auf allen vieren auf die offenstehende Tür zu.
Ich war mit einem Satz hinter ihm her, erreichte ihn aber nicht mehr.
Das letzte, was ich von ihm sah, war ein huschender Schatten, der behende wie ein Baumaffe den Schacht hinunterturnte und mit den glitzernden Schatten an seinem Grund verschmolz ...
Howards linkes Auge sah nicht besonders gut aus. Die Krallenhand des Buckeligen hatte einen langen, blutigen Kratzer in seine Wange gerissen; einen Zentimeter mehr, dachte ich schaudernd, und er hätte das Auge verloren.
»Verdammt noch mal, hör endlich auf«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen, während ich vorsichtig mit der Spitze meines Taschentuches das Blut aus seinem Augenwinkel tupfte. »Wir haben Wichtigeres zu tun.«
Er wollte meinen Arm herunterdrücken, aber ich schlug seine Hand grob beiseite und fuhr fort, sein Auge zu säubern.
»Was denn?« fragte ich. »Willst du ihnen nachklettern?«
»Unsinn.« Howard hielt still, bis ich sein Gesicht verarztet hatte, so gut mir das mit den zur Verfügung stehenden Mitteln möglich war. Dann stand er auf, ging noch einmal zum Bad hinüber und blickte eine ganze Weile stumm und mit gerunzelter Stirn in die Tiefe.
»Ich möchte wissen, wer die beiden waren«, murmelte er. »Und was sie von uns wollten.« Er seufzte, drückte die Tür sorgfältig ins Schloß und drehte sich mit gerunzelter Stirn um.
Das Zimmer bot einen chaotischen Anblick. Von der Einrichtung schien einzig der dreibeinige Tisch neben dem Fenster noch unbeschädigt zu sein.
Er war nicht leer. Auf der zerkratzten Platte lagen ... Dinge. Papiere, kleine, aus rechteckigen Lederstückchen und Schnüren selbstgebastelte Beutel, Gläser mit unidentifizierbaren Inhalten, ein Stapel pergamentener Blätter, die sich auf den zweiten Blick als aus einem Buch gerissene Seiten entpuppten, eine Kerze ...
Verwirrt starrte ich das sonderbare Sammelsurium einen Moment lang an, trat schließlich näher und wollte die Hand danach ausstrecken, aber Howard riß mich beinahe grob zurück.
»Nicht«, sagte er. »Rühr nichts an, ehe wir nicht wissen, was hier vorgegangen ist.«
Er beugte sich nun seinerseits über den Tisch und musterte die Sammlung obskurer Objekte mit einem Ausdruck von Mißtrauen und Sorge.
»Weißt du, was das ist?« fragte er schließlich.
Ich schüttelte den Kopf und zuckte gleich darauf mit den Achseln. »Wenn das hier ein Friedhof wäre und jetzt Mitternacht statt früher Morgen«, antwortete ich, »dann würde ich sagen, daß hier jemand sein Rheuma weghexen wollte.«
»Ich hoffe, dein Humor vergeht dir nicht so schnell«, murmelte Howard, ohne mich anzusehen. Seine Finger berührten die Pergamente und zuckten wieder zurück, als hätte er sich verbrannt.
»Ich weiß nicht genau, was es ist«, fuhr er fort, »aber es sieht aus, als hätten die beiden hier eine Beschwörung abgehalten. Oder es versucht.«
»Hier? Ausgerechnet hier?«
»Wundert dich das?« Howard lächelte, aber es wirkte, wie so oft bei ihm, eher düster. »Glaubst du wirklich, es wäre Zufall, daß wir ausgerechnet in diesem Haus auf die beiden getroffen sind?«