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Entsetzt warf ich mich nach vorn, spürte einen neuerlichen Schlag gegen die Seite und tauchte blindlings unter. Vier, fünf Züge weit schwamm ich unter Wasser, bis meine ausgestreckten Hände gegen rauhen Stein stießen, tauchte wieder auf und sah mich keuchend um.

Der Anblick ließ mich schaudern. Der Schacht lag hinter mir, nicht sehr weit, aber immerhin weit genug, daß ich nicht mehr von einem herabstürzenden Trümmerstück erschlagen werden konnte. Über uns schien eine blauweiße, lodernde Sonne aufgegangen zu sein. Eine Welle intensiver Hitze fauchte aus dem Schacht herab. Das Wasser kochte unter den Einschlägen der Steine, die ununterbrochen aus der Höhe herabstürzten, und selbst an seinem Grund loderte jetzt ein unheimliches Licht, als brenne das Höllenfeuer noch unter Wasser weiter.

Ich riß mich von dem furchtbaren Anblick los, sah mich nach Howard um und schwamm mit drei, vier kräftigen Zügen zu ihm hinüber.

Howard hatte mittlerweile das jenseitige Ufer des Sieles erreicht und war gerade dabei, sich schnaubend auf den schmalen gemauerten Sims hinaufzuziehen, der den Abwasserkanal säumte. Mit letzter Kraft zog ich mich hinter ihm auf den rettenden Stein und blieb sekundenlang, mühsam um Atem ringend, liegen. Mein Herz raste, und in meinen Ohren rauschte das Blut.

»Wir müssen ... weiter«, keuchte Howard neben mir. Seine Stimme klang seltsam; die gewölbte Decke des Kanals verzerrte sie und warf meckernde Echos zurück, und das Brausen der Flammen verlieh seinen Worten einen unheimlichen Klang.

Ich stemmte mich hoch, wischte mir Wasser und Schmutz aus dem Gesicht und versuchte zu antworten, brachte jedoch nur ein hilfloses Ächzen zustande.

»Schnell«, sagte Howard. »Wir müssen weg. Ich fürchte, die Decke hält nicht.«

Wie um seine Worte zu bestätigen, lief in diesem Moment ein spürbares Zittern durch den Tunnel, und irgendwo hinter uns löste sich ein Stein aus der gewölbten Decke und fiel klatschend ins Wasser.

Mühsam drehte ich mich herum und begann dicht gegen die Wand gepreßt auf dem schmalen Sims entlangzubalancieren.

Der Stollen ächzte unter dem Gewicht des zusammenstürzenden Hauses, und das Geräusch weckte die Erinnerung an einen anderen Brand in mir, ein Feuer, das ebenso unnatürlich gewesen war und lange zurücklag ...

Nach einer Strecke von vielleicht fünfzig Yard begann der Sims breiter zu werden. Gleichzeitig hob sich die Decke, bis aus dem niedrigen Tunnel plötzlich eine hohe, runde Höhle mit gemauerten Wänden wurde. Der Abwasserkanal verwandelte sich in einen flachen, runden See, der auf der anderen Seite der Kaverne gurgelnd durch einen zweiten, weitaus niedrigeren Tunnel abfloß.

Mit einem erleichterten Seufzen taumelte ich ein paar Schritte in die Kaverne hinein, ließ mich gegen die Wand fallen und sackte kraftlos daran zu Boden. Plötzlich begann sich der unterirdische Dom vor meinen Augen zu drehen; mir wurde schlecht. Für zwei, drei Sekunden kämpfte ich gegen die immer stärker werdende Übelkeit an, dann gab ich auf, beugte mich zur Seite und übergab mich würgend.

Als ich wieder klar zu sehen und zu denken vermochte, erblickte ich ein Paar Füße, die dicht vor meinem Gesicht inmitten der Pfütze von Erbrochenem standen, ohne daß es ihren Besitzer zu stören schien. Im Gegenteil - plötzlich klang ein dunkles, amüsiertes Lachen auf. Aber es war kein sehr freundliches Lachen ...

Ich blinzelte, stemmte mich mühsam in die Höhe und hob den Kopf.

Die Füße gehörten zu den gewaltigsten Beinen, die ich jemals erblickt hatte. Aber sie paßten zu dem Körper. Dem Körper eines Riesen, mehr als zwei Meter groß und so breitschultrig, daß er schon fast verkrüppelt wirkte.

Und sein Gesicht ...

Sein Gesicht war ein Alptraum.

Aber das war der letzte Gedanke, den ich dachte. Dann traf mich eine Faust und löschte mein Bewußtsein aus.

»Sie haben ihn«, sagte Ayres. Das Gesicht der alten Frau war zu einer Maske der Konzentration geworden, wie immer, wenn sie in Trance fiel. Aber etwas war anders als die anderen Male, da Lowry die Hexe in diesem Zustand gesehen hatte. Ihre Stimme bebte vor Erregung. »Sie haben ihn«, sagte Ayres noch einmal. »Ihn und noch einen Mann. Einen Fremden.« Sie zögerte. »Etwas stimmt nicht«, fügte sie mit veränderter Betonung hinzu.

Lowry sah, wie Bannister und Floyd alarmiert aufblickten. Das Licht der einzigen Kerze, die den großen, abgedunkelten Raum tief unter der Erde erhellte, schien für einen Moment zu flackern, obwohl es keinen Luftzug gab.

»Was heißt das?« fragte er. »Gibt es Schwierigkeiten?«

»Nein«, sagte Ayres hastig. Sie öffnete die Augen, fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Lippen ihres faltigen, zahnlosen Mundes und sagte noch einmal und mit größerer Überzeugung: »Nein. Curd und Wulf bringen sie hierher. Es ist alles so gekommen, wie du geplant hast, Lowry.« Sie lächelte, und in ihren vom Alter trüb gewordenen Augen glühte Triumph auf. »In zwei Stunden werden sie hier sein. Dieser andere zählt nicht. Ich werde Curd sagen, daß er ihn töten soll.«

»Nein«, sagte Lowry schnell. »Ich ... möchte nicht, daß ein Unschuldiger stirbt. Ich will nur ihn.«

In Ayres Augen blitzte es spöttisch auf, aber zu Lowrys eigener Verwunderung nickte sie. »Wie du willst. Aber er wird alles verraten. Du wirst Schwierigkeiten bekommen, wenn alles vorbei ist.«

Lowry machte eine ungeduldige, wegwerfende Handbewegung. »Das zählt nicht«, sagte er. »Ich will ihn, alles andere ist gleich.« Er funkelte die Alte an. »Du wirst deinem Kretin sagen, daß er dem anderen nichts zuleide tut, hast du das verstanden?«

Ayres nickte. »Wie du befiehlst, Meister«, sagte sie spöttisch. »Es ist dein Leben, das du wegwirfst.«

Ein kurzes, eisiges Frösteln lief über Lowrys Rücken, als er die Worte der Alten hörte. Aber dann dachte er an ihn, den Mann, den Curd und der Wolfmann brachten - und an seinen neugeborenen Sohn. Und plötzlich spürte er nur noch Haß.

Ein dumpfer Schmerz pochte in meinem Nacken, als ich erwachte. Ich lag mit dem Gesicht auf hartem, schmierigfeuchtem Stein, und als ich die Hände zu bewegen versuchte, spürte ich, daß meine Arme brutal auf den Rücken gedreht und mit groben Stricken zusammengebunden worden waren. Es tat ziemlich weh.

Ich stöhnte und wälzte mich herum. Ein Fuß traf meine Seite und preßte mir die Luft aus den Lungen.

»Versuch lieber keinen Unsinn«, sagte eine Stimme irgendwo über mir. »Es sei denn, du legst Wert darauf, daß ich dich gleich hier fertigmache.«

»Was ... was soll das?« keuchte ich, als ich wieder einigermaßen zu Atem gekommen war. »Wer sind Sie und was ... was wollen Sie von uns?«

Der Mann über mir lachte hart. Es war der Riese, auf den wir schon oben im Hotel getroffen waren, und hinter ihm glaubte ich den verzerrten Schatten eines zweiten Mannes zu erkennen. Ein seltsam hechelndes, kaum mehr menschliches Atmen drang an mein Ohr.

»Spielen Sie nicht den Narren, Andara«, sagte der Riese ärgerlich. Im Gegensatz zu seinem abstoßenden Gesicht klang seine Stimme beinahe sympathisch, obwohl sie vor Zorn und mühsam unterdrückter Wut bebte. »Sie hätten niemals wieder hierher kommen sollen«, fuhr er fort.

»Ich ... ich verstehe nicht«, murmelte ich, sprach aber vorsichtshalber nicht weiter, als er den Fuß hob, als wolle er mich schon wieder treten. Offensichtlich verwechselte er mich - mit meinem Vater.

»Sie bleiben hier liegen und rühren sich nicht, bis ich zurück bin«, sagte er drohend. »Ich lasse Wulf bei Ihnen. Wenn Sie zu fliehen versuchen, zerreißt er Sie.«

Ich antwortete nicht. Allmählich begannen sich die grauen Schlieren vor meinem Blick zu lichten, und ich erkannte mehr von meiner Umgebung. Ich konnte nicht lange bewußtlos gewesen sein, denn wir befanden uns noch immer in der unterirdischen Kaverne, und aus dem Abwasserkanal drang flackernder Lichtschein. Ein schwacher Brandgeruch mischte sich in den Gestank des fauligen Wassers, und irgendwo, sehr weit entfernt, wie es schien, ertönte ein ununterbrochenes Poltern und Bersten. Aber das alles registrierte ich nur am Rande. Der größte Teil meines Bewußtseins konzentrierte sich auf den Riesen, der mit drohend geballten Fäusten und gespreizten Beinen über mir stand und auf eine Antwort zu warten schien.