Выбрать главу

Ich schrie auf, als ich begriff, daß ich bei allem die Hexe total vergessen hatte, wirbelte herum - die Stelle, an der die Alte gestanden hatte, war leer. Die Hexe war verschwunden.

Hinter mir erscholl ein dumpfer Schlag, gefolgt von einem wimmernden Heulen. Als ich wieder herumfuhr, sah ich, wie Shannon und der Wolfmann aneinandergeklammert über den Fußboden rollten. Shannon hieb mit aller Kraft auf die halbtierische Kreatur ein, aber Wulf schien die Hiebe gar nicht zu spüren. Immer wieder schnappte sein Raubtiergebiß nach der Kehle des jungen Magiers. Shannons Gesicht war blutüberströmt.

Ich erwachte endlich aus meiner Erstarrung, sprang mit einem raschen Satz über den bewußtlosen Temples hinweg und schlug Wulf die Faust in den Nacken. Der Wolfmann heulte auf. Der Griff, mit dem er sich an Shannon festgeklammert hatte, lockerte sich für einen Moment - und der junge Magier nutzte diese Chance sofort!

Blitzschnell sprengte er Wulfs Umklammerung ganz, stieß den Wolfmann von sich und versetzte ihm einen Kinnhaken.

Die bedauernswerte Kreatur verdrehte die Augen, sackte nach hinten und verlor mit einem seufzenden Laut das Bewußtsein.

Rasch drehte ich mich herum, um auch Rowlf beizuspringen, aber das erwies sich nicht mehr als nötig; sein Gegner lag bereits am Boden. Ich tauschte einen raschen, fragenden Blick mit Rowlf, und er deutete ihn richtig und schüttelte fast unmerklich den Kopf. Shannon wußte also noch immer nicht, wer ich wirklich war. Im Moment schien mir auch nicht unbedingt der richtige Zeitpunkt, mich ihm zu erkennen zu geben.

Shannon wirkte benommen, als ich ihm auf die Füße half. »Danke, Jeff«, murmelte er. »Das war ... in letzter Minute.« Er stöhnte, wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Gesicht und sah verwirrt auf den reglosen Wolfmann hinunter.

»Was ist das für eine Kreatur?« murmelte er verstört.

»Das erkläre ich dir später«, antwortete ich. »Wo kommt ihr her? Jetzt müssen wir Ayres finden.«

»Ayres?«

»Die Frau, die hier war, als -« Ich sprach nicht weiter, als ich den fragenden Ausdruck in seinen Augen sah.

»Ihr habt ... niemanden gesehen?«

»Keinen Menschen nich«, bestätigte Rowlf. »Schon gar keine alte Frau - nur die drei Typen da. Wo is Howard?«

»In einem Haus am anderen Ende des Dorfes«, antwortete ich ungeduldig. »Wir holen ihn später.« Ich kniete neben Temples nieder. Er war noch immer ohne Bewußtsein, schlug aber die Augen auf, als ich seinen Kopf anhob und nach einem bestimmten Nervenknoten in seinem Nacken tastete. Ich wußte, daß die Berührung ihm sehr weh tun mußte, aber das mußte ich in Kauf nehmen. Es war gut möglich, daß nicht nur sein Leben davon abhing, daß wir die vermeintliche Alte fanden.

Temples’ Blick flackerte, als er mich erkannte. Sein Mund öffnete sich, aber ich kam ihm zuvor, bannte seinen Blick und hinderte ihn mit aller Macht daran, von sich aus zu reden - oder gar meinen Namen auszusprechen.

»Hören Sie zu, Lowry«, sagte ich hastig. »Wir müssen Ayres finden. Ich glaube, daß die alte Frau ganz genau weiß, was hier vorgeht. Wo ist sie? Lebt sie hier in Innsmouth?«

Temples’ Lippen begannen zu zittern. Schweiß erschien auf seiner Stirn, und sein Adamsapfel begann wie wild auf und ab zu hüpfen, als er verzweifelt versuchte, zu antworten. Aber alles, was er herausbekam, war eine Folge unverständlicher, würgender Töne.

Es ging ganz schnell. Wieder hatte ich das Gefühl, nicht allein zu sein, sondern die Anwesenheit eines fremden, unglaublich bösen Bewußtseins zu spüren - und plötzlich bäumte sich Temples auf, stieß einen gellenden, abgehackten Schrei aus und starb.

»Was is los?« keuchte Rowlf erschrocken.

Langsam ließ ich Temples’ erschlafften Körper zu Boden sinken, stand auf und wandte mich um. »Er ist tot«, sagte ich verwirrt. »Ich verstehe das nicht. Er -«

»- wurde umgebracht«, führte Shannon den Satz zu Ende.

Ich starrte ihn an. »Umgebracht?« wiederholte ich. »Wie kommst du darauf?«

Shannon schluckte nervös. Auf seiner Stirn perlte Schweiß, und seine Hände zitterten. Langsam hob er den Arm, trat auf mich zu und berührte meine rechte Hand.

Es war wie ein Blitz, unerwartet und grell und schmerzhaft und so warnungslos, daß ich instinktiv zurückprallte und versuchte, mich Shannons Griff zu entziehen. Aber seine Hand hielt meine Finger fest.

Ich sah Bilder.

Im ersten Moment glaubte ich, in einer vollkommen fremden Umgebung zu sein, einer Welt, die mit der realen nichts zu tun hatte, aber dann begriff ich, daß ich wieder in dem kleinen Haus in Innsmouth war.

Aber ich sah es jetzt durch Shannons Augen!

Es gab keine Farben mehr, nur noch Schwarz und Weiß und alle nur denkbaren Schattierungen dazwischen, und auch sie waren verdreht. Was dunkel sein mußte, war hell, und umgedreht. Die flackernde Kerze auf dem Kaminsims verströmte Dunkelheit, und Shannons und Rowlfs Gestalten hoben sich als helle Umrisse vor dem schwarzen Rechteck der Tür ab.

Aber ich sah nicht nur ihre beiden Schatten.

Über unseren Köpfen, scheinbar schwerelos und eine Handbreit unter der nackten Holzdecke, schwebte ein Gespinst dünner, weißleuchtender Fäden. Auf den ersten Blick schien es sinnlos ineinander verstrickt und verknotet, und doch bildete es ein kunstvolles Muster wie ein unendlich kompliziertes Spinnennetz.

Das Gespinst bewegte sich. Überall dort, wo sich die Fäden berührten und kreuzten, pulsierten winzige, strahlend helle Lichtpunkte wie Sterne, und die dünnen Fäden selbst schienen sich in einem unfühlbaren Wind zu wiegen und sanft hin und her zu schwingen.

Und aus seiner Mitte wuchs ein schlauchförmiger Ausläufer in die Tiefe und verschmolz mit Temples’ Nacken ...

»Mein Gott!« flüsterte ich. »Was ist das?«

Temples antwortete nicht. Statt dessen deutete er auf die Tür am anderen Ende des Raumes. Das Gespinst setzte sich auch dort fort, und ein dünner, pulsierender Teil des gewaltigen grauen Netzes wuchs durch die geschlossene Tür hindurch und verschwand im Nebenzimmer.

Ich wußte, was ich sehen würde. Trotzdem begann mein Herz wie rasend zu hämmern, als ich, Shannons Hand fest umklammert, den Raum durchquerte und die Tür aufstieß.

Temples Frau schlief noch immer, aber aus der Wiege neben dem Bett drangen kleine, meckernde Laute, die das Neugeborene ausstieß.

Widerstrebend beugte ich mich über die Wiege und starrte aus schreckgeweiteten Augen auf den silbernen, noch dünnen Faden, der sich wie ein tastender Finger aus dem Gespinst unter der Decke herabsenkte und seinen Nacken berührte.

Mit einem Ruck löste ich meine Hand aus der Shannons, fuhr herum und stürmte aus dem Zimmer. Die bizarre Vision erlosch. Plötzlich war der Raum wieder normal und vertraut, aber ich glaubte, das grauenhafte Gespinst noch immer zu sehen.

Shannon folgte mir, aber als ich mich herumdrehte und ihn ansah, war sein Blick leer. Seine Finger zuckten unkontrolliert, und seine Lippen bewegten sich unablässig, ohne daß er auch nur den geringsten Laut hervorbrachte.

»Was is’n mit dem los?« fragte Rowlf. Auch ihm fiel Shannons sonderbares Verhalten auf, aber anders als ich hatte er das Ding nicht gesehen, das mit uns unsichtbar im Raum war.

Ich berührte Shannon am Arm und zwang ihn, mich anzusehen. »Shannon!« sagte ich laut. »Was ist mit dir? Rede!«

»Der Seelenfresser«, murmelte er. Die Worte schienen kaum mir zu gelten; er wirkte noch immer benommen. Nein - nicht benommen -, erschüttert - so tief erschüttert, wie ich selten zuvor einen Menschen erlebt hatte. »Er ... er ist es, Jeff. Ich täusche mich nicht.«