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Vielleicht die Panik, dachte ich matt, die ein Mensch empfinden mochte, der sich für unsterblich gehalten hat und plötzlich begreift, daß seine Zeit abgelaufen ist.

Ich sah nicht weiter zu, was geschah, denn dies war ein Kampf, der mich nichts anging.

Aber ich dachte auch diesen Gedanken nicht zu Ende, denn mit einem Male fühlte ich mich nur noch müde, unendlich müde.

Während hinter mir ein Kampf endete, der vor zweihundert Jahren seinen Anfang genommen hatte, trat ich wieder auf die Straße hinaus, wo Howard, Rowlf und ein sehr nachdenklicher junger Magier namens Shannon bereits auf mich warteten.

Necron erwachte.

Seine Lider hoben sich, aber der Blick der dunklen, fast pupillenlosen Augen dahinter blieb leer. Es dauerte lange, bis sich seine Brust in einem ersten, mühsamen Atemzug hob.

Sein Herz hatte nicht geschlagen, und seine Haut war so kalt gewesen wie der Fels, auf dem er lag. Jeder Arzt hätte seinen Tod festgestellt. Und doch - er lebte!

Seine Gedanken fanden nur allmählich in die Wirklichkeit zurück. Die Hände rührten sich, fahrig und unsicher. Es waren schmale, sehnige Hände, ausgemergelt vom Alter und mit pergamentener, trockener Haut, aber trotzdem noch voller Kraft. Die langen Fingernägel fuhren scharrend über den Stein und fanden Halt. Dann stemmten die Hände den Körper hoch, und nach einer weiteren sekundenlangen Pause, die er brauchte, um neue Kräfte zu sammeln, setzte sich Necron vollends auf und sah sich um.

Der Raum hatte die exakte geometrische Form eines Würfels. Wände, Decke und Boden bestanden aus Stein, in dem noch die Spuren der primitiven Werkzeuge sichtbar waren, mit denen der Raum vor Urzeiten aus dem Fels gemeißelt worden war. Es hatte zwei Menschenalter gedauert und zehn Dutzend Menschenleben gefordert, dem Berg diese Kaverne abzuringen. Der Raum hatte Blut und Leid und Tränen gesehen, aber nichts davon war geblieben, die Wände waren kalt und hart und bar jeden Lebens, und etwas Dunkles, Böses schien ihm zu entströmen wie ein finsterer Atem.

Das Licht der einzelnen, blakenden Fackeln warf zuckende Reflexe und dunkle Schatten gegen die Wände, und von irgendwo, weit entfernt, kam das monotone Geräusch von tropfendem Wasser. Trotzdem war es still in der Kammer.

Still wie in einem gewaltigen steinernen Grab.

Necrons Blick blieb an einem hölzernen Gestell vor der gegenüberliegenden Wand hängen. Auf der tischähnlichen Platte flackerte eine tiefschwarze, armdicke Kerze, daneben waren die heruntergebrannten Stummel von fünf weiteren Kerzen zu erkennen. Zerschmolzenes Wachs war über die schräge Platte gelaufen und zu Boden getropft.

Necron runzelte einen Moment nachdenklich die Stirn. Fünf Kerzen - das bedeutete, daß fünf Tage vergangen waren, seit er sich auf dem steinernen Tisch ausgestreckt hatte und in Trance verfallen war.

Viel mehr, als er geglaubt hatte. Ihm war es vorgekommen, als wären nur Augenblicke vergangen. Nicht mehr als ein rasches Schließen und Öffnen der Augen. Er erinnerte sich nicht einmal, eingeschlafen zu sein.

Aber die Kräfte, derer er sich bediente, waren unergründlich. Nicht einmal er wußte vorher zu sagen, ob er fünf Minuten oder Wochen oder Monate ins Reich der Schatten eintreten würde. Oder gar für ...

Er vertrieb den Gedanken schnell, stand auf und wandte sich zum Ausgang. Es gab keine Tür, sondern nur eine halbhohe Öffnung in der Felswand, hinter der sich ein dunkler Gang erstreckte.

Das Licht der Kerzen reichte nicht bis in den Gang hinein, sondern schien dicht hinter seinem Eingang absorbiert zu werden, als gäbe es dort einen unsichtbaren Vorhang, aber die Schatten teilten sich vor Necron, als er gebückt durch die niedrige Öffnung trat und den Stollen hinabging.

Kälte umfing ihn wie ein Hauch aus einer anderen, verbotenen Welt, und die Schatten schienen sich zu verdichten und seinen Körper zu umkreisen, wie kleine, aufmerksame Wächter, die in ihrer Ruhe gestört wurden.

Die Schatten wogten stärker, und plötzlich glaubte Necron Lichter zwischen ihnen aufblitzen zu sehen; boshaftgrüne Lichter, die nicht von dieser Welt stammten. Ein Schwall eisiger, lähmender Kälte ergriff ihn. Er schauderte, fuhr herum - und erstarrte.

Der Gang war verschwunden. Hinter ihm dehnte sich plötzlich eine endlose, von grünem Licht beschienene Ebene!

Necron unterdrückte im letzten Moment einen Schrei. Das war es gewesen, was er gespürt hatte, als er den Schritt in die Wirklichkeit zurück tat!

Er war nicht allein gekommen. Er hatte das Tor benutzt, und mit ihm waren Wesen aus der anderen, fremden Welt hinübergekommen, Wesen, die nur für den einen Zweck lebten - um zu töten!

Necron krümmte sich, als einer der Schatten plötzlich zu einem schwarzen, glitzernden Etwas gerann, groß und häßlich und wie ein Haufen feuchtschwarzer, sich windender Schlangen oder Würmer. Ein dünner, mit Stacheln besetzter Tentakel peitschte auf ihn zu und wickelte sich wie eine Peitschenschnur um seinen Hals.

Necrons Schrei wurde zu einem erstickten Keuchen. Blut lief über sein Gewand, und mit einem Male spürte er einen grausamen, nie gekannten Schmerz, der wie flammende Lava durch seine Adern pulsierte.

Verzweifelt packte Necron den Tentakel und versuchte ihn herunterzureißen, erreichte damit aber nur, daß sich die tödliche Schlinge noch weiter zusammenzog. Sein Herz raste.

Er bekam keine Luft mehr, und vor seinen Augen begannen bunte, farbige Kreise zu flimmern. Das Ungeheuer und die endlose Ebene begannen sich vor seinem Blick aufzulösen.

Und dann war es vorbei.

Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, verging die Vision, und um ihn herum waren wieder die massiven Wände des Ganges. Necron keuchte, fiel kraftlos gegen den rauhen Fels und schlug mit einem würgenden Laut die Hände gegen den Hals. Unter seinen Fingern war warmes Blut, und er spürte die winzigen, tiefen Wunden, die der Schlangenarm des Ungeheuers in seine Haut gerissen hatte.

Aber warum lebte er noch?

Weil ich dich noch brauche, du Narr.

Necron fuhr wie unter einem Peitschenhieb zusammen, richtete sich auf und sah sich wild um. Aber er war allein. Erst nach Sekunden begriff er, daß die Stimme - war es überhaupt eine Stimme? - direkt in seinen Gedanken erscholl, ein ungeheuer machtvoller, dröhnender Klang, der Necron erschauern ließ wie das Zürnen eines finsteren Gottes.

»Wer ... wer bist du?« fragte er zitternd.

Weißt du es wirklich nicht? antwortete die gedankliche Stimme.

Necron schwieg einen Moment. Wieder glaubte er eine Bewegung in den Schatten vor sich wahrzunehmen. Dann nickte er. »Doch. Ich ... glaube.«

Dann ist es gut, antwortete der Unsichtbare. Du hast die Macht, die dir gegeben wurde, mißbraucht, Necron. Ich müßte dich dafür bestrafen. Doch dein Ziel ist auch das meine.

»Was ... was soll ich tun?« flüsterte Necron.

Was du ohnehin vorhattest, erwiderte die Stimme des GROSSEN ALTEN in seinen Gedanken. Doch du wirst es in unserem Sinne tun. Ich kam nur, um dich zu warnen. Versuche nicht, persönliche Vorteile aus Dingen zu ziehen, die zu wichtig sind, als daß du sie begreifen könntest.

»Ich ... werde gehorchen, Herr« antwortete Necron demütig.

Aber der Unsichtbare war schon nicht mehr da. Necron schauderte. Es war lange her, daß er einem GROSSEN ALTEN selbst gegenübergestanden hatte. Er hatte vergessen, wie mächtig diese Wesen jenseits von Raum und Zeit wirklich waren.

Er blieb stehen, bis sich das Zittern seiner Hände beruhigt hatte, dann wischte er sich das Blut vom Hals, wandte sich um und ging mit raschen Schritten weiter. Der Lichtschein am Ende des Stollens gewann an Leuchtkraft und Wärme. Es war, als träte er nun auch körperlich aus dem Reich des Todes und der Schatten wieder hinaus in die Welt der Lebenden.

Die beiden Posten rechts und links des Durchganges strafften sich, als der Alte gebückt auf den Korridor hinaustrat.