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Ich zog den Kragen des pelzgefütterten Mantels mit einer Hand enger zusammen und vergrub die andere in der Tasche. Trotzdem zitterte ich vor Kälte.

»Zuviel alten englischen Scotch oder zu viele junge englische Mädchen?« fragte Dr. Gray lächelnd.

»Zu wenig guten amerikanischen Schlaf«, erwiderte ich finster. Der beißende Spott, den ich in die Worte hatte legen wollen, blieb allerdings aus. Dafür klapperten meine Zähne im Takt der Erschütterungen, mit denen uns der kaum gefederte Wagen beutelte. Grays Grinsen wurde jetzt eindeutig unverschämt.

Ich mußte mich beherrschen, um ihn nicht anzufahren. Wenn es etwas gibt, das mich noch mehr in Rage bringt als sture Beamte oder Leute, die auf mich schießen oder ähnliche Unfreundlichkeiten im Sinn haben, dann sind es Typen wie Gray. Menschen, deren Tag schon vor Sonnenaufgang anfängt, und die noch dazu perfide genug sind, dann bereits guter Laune und strahlenden Frohsinns zu sein.

Gray war ein besonders ausgeprägtes Exemplar jener Gattung. Nicht genug, daß er mich vor dem Frühstück aus dem Bett geworfen hatte - ich frühstücke normalerweise gegen neun und betrachte Störungen vor acht als vorsätzliche Körperverletzung -, nein, er hatte es sich nicht einmal verkneifen können, noch dazu ununterbrochen zu lächeln, Scherze zu machen und vor lauter guter Laune schier aus den Nähten zu platzen.

Ich hätte ihn erwürgen können, wäre ich dazu nicht zu müde gewesen. Ich hatte kaum drei Stunden geschlafen.

»Du hast es bald überstanden, Robert«, sagte er. »Das Schlimmste liegt hinter dir. Die paar Formalitäten; die jetzt noch ausstehen, erledige ich.«

»Wie weit ist es noch?« fragte ich.

Gray lehnte sich zur Seite, zog den Vorhang vor dem schmalen Kutschfenster zurück und spähte aus zusammengekniffenen Augen in den Nebel hinaus.

»Wir sind fast da«, sagte er. »Ich habe den Dienstboten gestern abend schon Anweisungen gegeben, ein kräftiges Essen bereitzuhalten. Und literweise starken Kaffee.«

Baldrian und ein warmes Bett wären mir lieber gewesen, aber ich schickte mich mit einem lautlosen Seufzer in mein Schicksal, lehnte den Kopf gegen die weichen Polster und versuchte für die wenigen Minuten, die mir noch blieben, so etwas wie Schlaf zu finden.

Natürlich fand ich ihn nicht, denn trotz meiner Müdigkeit war ich von Ungeduld und Vorfreude erfüllt. Gray hatte es sich trotz seines achtunggebietenden Alters nicht verkneifen können, mich den ganzen Vormittag über mit geheimnisvollen Andeutungen neugierig zu machen. Ich wußte weder, wohin wir jetzt fuhren, noch, was uns dort erwarten mochte. Ein Haus vermutlich, das er und Howard für mich gefunden hatten, damit ich eine ständige Bleibe in der Stadt hatte und nicht wechselweise in Hotels und Pensionen leben mußte. Sicher. Aber das war auch schon alles.

Endlich hielt die Kutsche mit einem letzten Ruck an. Das Pferd stampfte unruhig auf dem nassen Kopfsteinpflaster. Sein Zaumzeug klirrte. Die Geräusche hallten unheimlich von den Häusern beiderseits der Straße wider. Dann wurde die Tür aufgerissen, und der zylinderbewehrte Schädel des Kutschers lugte zu uns herein.

»Wir sind da, Sir«, sagte er, an Gray gewandt. »Ashton Place Nummer 9.«

»Ashton -« Ich sprach nicht weiter, als ich das spöttische Glitzern in Grays Augen gewahrte. Deshalb also hatte er ein solches Brimborium um mein neues Domizil gemacht! Ich war zwar noch nicht lange wieder in London, aber das mußte auch nicht sein, um den Klang dieses Namens kennenzulernen. Natürlich ist es nicht die teuerste Adresse in London; es gibt noch ein paar, die feudaler sind. Den Buckingham-Palast zum Beispiel ...

Der Nebel schlug uns wie ein eisiger, klammer Hauch entgegen, als ich um die Kutsche herumtrat und stehenblieb, um das Haus zu begutachten.

Es war nicht sehr viel zu erkennen. Der Nebel lag wie eine vom Himmel gefallene Wolke über dem Haus und dem Anwesen, tauchte alles in faseriges Grau und ließ die Konturen des Gebäudes verschwimmen. Aber das, was ich erkennen konnte, war eindrucksvoll genug.

Das Haus war gewaltig. Hinter dem Nebel ragte es auf wie ein grauschwarzer Koloß, dreieinhalb Stockwerke hoch und an die hundert Schritte breit. Im ersten Moment erschrak ich fast; die Masse dieses ungeheuerlichen Hauses schien mich Armen aus erstarrtem Nebel erschlagen zu wollen, neigte sich wie ein gewaltiger Berg über mich und -

Die Vision zerplatzte so schnell, wie sie gekommen war. Plötzlich war der Nebel wieder Nebel und das Haus ein Haus, mehr nicht.

Was blieb, war ein dumpfes Gefühl von Beklemmung. Der logische Teil meines Denkens sagte mir, daß jedes Haus so aussehen würde, bei schlechtem Licht und noch dazu bei Nebel betrachtet.

Aber ich hatte zu viel erlebt, um nur noch auf die Logik zu hören.

»Nun, Robert - gefällt es dir?« Grays aufreizend fröhliche Stimme brach den Bann vollends und brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Plötzlich spürte ich die Kälte wieder, und die Nässe, die mich frösteln ließ.

Ich lächelte und zuckte mit den Achseln. »Es ist eine Nummer zu groß«, sagte ich. »Oder zwei.«

Gray lachte. »Das mag sein. Aber es wird dir gefallen. Und jetzt geh weiter. Wahrscheinlich werden wir schon ungeduldig erwartet. Und mir ist kalt. Schließlich bin ich ein alter Mann.«

Er zog in einer absichtlich übertriebenen Geste die Schultern zusammen und ging mit weit ausgreifenden Schritten durch das Gittertor, das in den Vorgarten führte. Nach einem kurzen Zögern folgte ich ihm.

Der Nebel verwandelte den Garten in eine bizarre Landschaft, in der alles irgendwie unwirklich und verzerrt schien. Kleine, graue Schwaden umspielten meine Füße, so daß ich den Kies, mit dem die Zufahrt bestreut war, nicht einmal sehen konnte, sondern nur sein Knirschen hörte. Ich fror, stärker, als es durch die Kälte allein zu begründen gewesen wäre. Unwillkürlich ging ich langsamer.

Gray blieb stehen, drehte sich ungeduldig zu mir herum. »Was ist los?« fragte er.

Einen Moment lang suchte ich nach den richtigen Worten, um das sonderbare Gefühl, mit dem mich das Haus und der Nebel erfüllten, zu beschreiben, aber schließlich zuckte ich nur mit den Achseln. »Nichts«, sagte ich. »Es ist nichts. Gehen wir.«

Gray sah mich einen Herzschlag lang scharf an, wandte sich dann aber wieder um und hob die Hand zum Türklopfer.

Ein dröhnender Schlag erscholl.

Es war nicht das Geräusch des Messinglöwen, mit dem der Türklopfer gegen das Eichenholz schlug, sondern ein Ton wie von einer gewaltigen, hallenden Kirchenglocke, unglaublich tief und laut.

Gray zuckte zusammen, prallte einen halben Schritt von der Tür zurück und starrte mich an. Seine Lippen bewegten sich, aber seine Worte gingen in einem zweiten, vielleicht noch lauteren Gongschlag unter.

Vier, fünf, schließlich sechs Mal erscholl das ungeheure laute Dröhnen. Ich ließ meinen Spazierstock und die Reisetasche fallen und preßte die Hände gegen Schläfen und Ohren. Das Dröhnen schien aus keiner bestimmten Richtung zu kommen, sondern von überallher zugleich, als schwänge jedes einzelne Molekül der Luft, die uns umgab, im Rhythmus der dumpfen Vibrationen.

Dann, mit einer Plötzlichkeit, die fast noch erschreckender war als das Dröhnen, herrschte wieder Stille, aber Gray und ich blieben noch sekundenlang reglos stehen, die Hände gegen die Ohren gepreßt und jederzeit darauf gefaßt, dieses ungeheuerliche Dröhnen noch einmal zu hören.

Schließlich nahm ich zögernd die Arme herunter, bückte mich nach der Reisetasche und dem Stockdegen und sah wieder zum Haus hinüber. Die Tür war aufgerissen worden, und ein verstört dreinblickender Mann in der gestreiften Livree eines Butlers lugte zu uns heraus.

Ich straffte mich, trat auf ihn zu und streckte ihm die Hand entgegen. »Guten Tag«, sagte ich, so ruhig, wie es mir im Moment überhaupt möglich war. »Man sagte mir, daß ich erwartet würde. Mein Name ist Craven. Robert Craven.«