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Auf dem Gesicht des Alten erschien zuerst Verblüffung, dann ein Ausdruck wachsenden Unglaubens und - ja, und dann beinahe Schrecken.

»Mister ... Craven?« vergewisserte er sich. »Sie sind ... Robert? Robert Craven?«

Ich kam nicht dazu, zu antworten, denn in diesem Moment erscholl ein erfreutes »Robert! Junge!« und Howard stürmte mit weit ausgreifenden Schritten auf mich zu. Er trug einen rotbraunen Hausmantel, und in seinem Mundwinkel qualmte die unvermeidliche Zigarre.

Ich setzte die Tasche ab, drückte dem Butler Hut und Stock in die Hände und fiel Howard in die Arme. Es war beinahe albern - seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten, waren nur ein paar Wochen vergangen, aber ich freute mich, als hätten wir uns seit einem Jahr nicht mehr gesehen.

»Schön, daß du endlich da bist«, sagte Howard, nachdem er mich umarmt und mir dabei fast das glühende Ende seiner Zigarre ins Gesicht gedrückt hätte. Er machte eine weit ausholende Geste.

»Wie gefällt dir dein neues Domizil?«

»Die Türglocke ist zu laut«, antwortete ich. »Aber nur eine Spur.«

Howard runzelte die Stirn. »Die Glocke? Was meinst du damit? Wir ... haben keine Türglocke.«

»Dann muß einer der Diener eine Taschenuhr mit einem ziemlich lauten Läutwerk haben.« Ich lachte leise, wurde aber sofort wieder ernst und drehte mich halb herum, um Gray zu uns zu winken. »Sagen Sie ihm, was passiert ist, Doktor.«

Gray kam gehorsam heran, wandte sich aber nicht an Howard, sondern blickte mich verwirrt an und runzelte die Stirn. »Ich fürchte, ich verstehe nicht, Robert«, sagte er.

»Kommen Sie, Doc - Sie verstehen recht gut. Was war das gerade? Ein kleiner Scherz zur Begrüßung?« Ich steckte den kleinen Finger ins linke Ohr und bohrte demonstrativ darin herum. »Also?«

Grays einzige Reaktion bestand aus einem raschen, verwirrten Blick in Howards Richtung.

»Was meinst du, Robert?« fragte er. »Ich habe nichts gehört.«

»Sie -« Ich stockte, sah abwechselnd ihn und Howard an. Ich hatte doch gesehen, wie Gray genau wie ich schmerzhaft das Gesicht verzog!

Aber wenn die beiden sich darin gefielen, mich wie zwei Sextaner auf den Arm zu nehmen - warum nicht?

»Lassen wir das«, sagte ich achselzuckend. »Ihr könnt ja später darüber lachen. Wenn ich nicht dabei bin. Jetzt gibt es anderes zu besprechen.«

Howard starrte mich weiter mit so echt gespielter Verblüffung an, daß ich mich für einen Moment ernsthaft fragte, ob ich mir nicht alles nur eingebildet haben konnte. Aber nur für einen Moment. Mir klingelten noch jetzt die Ohren. Nein - das einzige, was hier nicht stimmte, waren Grays und Howards infantiler Humor.

»Vergessen wir es«, sagte ich noch einmal.

Howard blinzelte, starrte Gray für die Dauer eines Herzschlages blöde an und nickte plötzlich. »Sicher. Es wird sich schon eine Erklärung finden.« Plötzlich lächelte er. »Wie gefällt dir das Haus, Robert?«

Statt einer Antwort trat ich einen Schritt zurück und sah mich erst einmal um. Die Halle, in der ich stand, war groß genug, um das ganze Haus aufzunehmen, in dem ich die ersten fünfzehn Jahre meines Lebens verbracht hatte.

»Ein bißchen groß für meinen Geschmack«, sagte ich.

Howards Enttäuschung war nicht zu übersehen. »Es gefällt dir nicht?«

»Doch doch«, sagte ich hastig - obwohl mir dieses Monstrum von Haus ganz und gar nicht gefiel -, »es ist nur ... etwas zu bombastisch, findest du nicht? Ich weiß ja, daß ich jetzt reich bin, aber ...«

»Es hat dich keinen Penny gekostet, wenn es das ist, was dir Sorgen bereitet«, unterbrach mich Gray. »Das Haus und das Grundstück gehören zur Erbmasse.«

Ich begriff nicht gleich. »Erbmasse?« wiederholte ich. »Sie meinen, mein Vater besaß auch Grundstücke?«

»Mehrere«, bestätigte Howard. »Das Haus hier gehörte ihm. Er hat immer hier gewohnt, wenn er in England war.«

Einen Moment lang blickte ich ihn verwirrt an, dann drehte ich mich um und musterte den Diener, der mich eingelassen hatte. Er hatte die Tür geschlossen, sich aber nicht von der Stelle gerührt, sondern starrte mich noch immer mit dieser Mischung aus Verblüffung und kaum verhohlenem Schrecken an. Nach allem, was ich bisher von den englischen Butlern gehört hatte, ein sehr sonderbares Benehmen. Aber es war nicht das erste Mal, daß ich einen solchen Blick sah. Jeder, der meinen Vater gekannt hat und mich zum ersten Mal sieht, blickt mich so an. Die Ähnlichkeit zwischen uns war verblüffend.

»Ich verstehe«, sagte ich leise. »Die Angestellten kannten meinen Vater.«

Howard nickte. »Einige. Sieh es ihnen nach; wenn sie vielleicht ein bißchen ... sonderbar sind, in den ersten Tagen. Sie haben deinen Vater alle gemocht. Viele sind schon ihr Leben lang hier.« Plötzlich lachte er. »Und jetzt komm. Es gibt noch jemanden, der schon ganz ungeduldig auf dich wartet.«

Er grinste und deutete auf die Treppe, die nach oben führte. Und auch auf Grays Zügen erschien das gleiche, dämliche Verschwörerlächeln. Ich schluckte die bissige Bemerkung, die mir auf den Lippen lag, herunter und fügte mich in mein Schicksal. Offenbar hatten die beiden ihren senilen Tag. Und ich hatte keine Lust, ihnen die Freude zu verderben.

Ein leises Klingen drang an mein Ohr, und ich blieb unwillkürlich stehen und sah mich um.

»Was ist?« fragte Howard spöttisch. »Hörst du wieder Kirchenglocken?«

Ich schenkte ihm einen giftigen Blick, drehte mich mit einem Ruck um und ging weiter.

Wieder war es anders als sonst gewesen.

Selbst ihm, der es gewöhnt war, Wege zwischen den Wirklichkeiten zu gehen und in den Schatten zu wandeln, war es jedesmal neu und erschreckend, das goldbeschlagene, lebende Tor zu benutzen. Necron wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war; Stunden, vielleicht auch Tage oder Wochen. Wie die Wege, die seinen Geist befähigten, losgelöst von seinem Körper die Welt zu durchstreifen, durch die Augen anderer zu sehen und mit den Händen anderer zu handeln, war auch das Tor unberechenbar.

Necron besaß die Macht, seinen Ausgang zu bestimmen, vorherzusagen, in welchem Teil der Welt er aus den Schatten treten würde, aber seine Macht reichte nicht, die Dauer seines Aufenthaltes in der anderen Welt zu bestimmen.

Jetzt, als er sich langsam auf die Knie erhob und darauf wartete, daß das quälende Schwindelgefühl zwischen seinen Schläfen verebbte, spürte er, daß diesmal nur wenig Zeit vergangen war. Vielleicht weniger, als wirklich verstrichen war, seit er den Schritt in die Schatten getan hatte. Manchmal lief die Zeit auch rückwärts, wenn er das Tor benutzte.

Langsam klärte sich sein Blick. Er war in einem niedrigen, dunklen Raum von unbestimmbaren Ausmaßen und mit gewölbter Decke. Es roch nach Ratten und Moder, und von irgendwoher kam graues, flackerndes Licht. Gestalten waren um ihn herum, schlanke drohende Schatten vor der Dunkelheit des Kellergewölbes.

Er versuchte auf die Knie zu kommen, sank kraftlos wieder zurück und griff dankbar nach der Hand, die sich helfend nach ihm ausstreckte. Necron fühlte sich schwach und ausgelaugt wie immer, wenn er das Tor benutzte, nur daß es diesmal viel, viel schlimmer gewesen war. Er hatte nicht nur für sich, sondern auch für zehn andere einen Weg durch die Schatten bahnen müssen. Selbst er, der die Zeit so viele Male betrogen hatte, spürte plötzlich das Gewicht der Jahrhunderte, die unsichtbar auf seinen Schultern lasteten.

Einen Moment lang wurde das Schwindelgefühl so stark, daß er echte Angst empfand, sich übernommen zu haben. Er wußte, daß die Tore nicht ungefährlich waren, nicht einmal für einen so mächtigen Magier wie ihn. Schon so mancher war nicht wieder zurückgekommen aus der Welt der Alpträume und der Furcht. Und so mancher, der zurückgekommen war, war als bloßer Körper wieder aufgetaucht, als ausgebrannte, leere Hülle.